08.07.1999



Absturz mit Ansage

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*   Absturz mit Ansage
Von Pascal Beucker

Zum ersten Mal urteilten die NRW-Verfassungsrichter 1994 über die Fünf-Prozent-Klausel. Der Landtag ignorierte die Warnung. Und bekam jetzt die Quittung.

1994 hatte die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP) ihren ersten Anlauf genommen, die Fünf-Prozent-Hürde bei den nordrhein-westfälischen Kommunalwahlen zu kippen. Sie scheiterte - aber errang immerhin einen Teilerfolg. Denn der Verfassungsrichtshof (VGH) in Münster machte dem Landtag zur Pflicht, die Fünf-Prozent-Sperrklausel für die Kommunalwahlen 1999 zu überprüfen, und dabei "alle Gesichtspunkte heranzuziehen, die in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht für die Einschätzung der weiteren Erforderlichkeit einer Sperrklausel erheblich sind". Schon seinerzeit war die Skepsis der Landesverfassungsrichter gegenüber der bestehenden Regelung unüberhörbar.

Doch die sozialdemokratische Landtagsmehrheit, die sich stets vehement gegen eine Veränderung des seit 50 Jahren geltenden Status Quo ausgesprochen hatte, sah sich weiter auf der sicheren Seite. "Die Fünf-Prozent-Klausel ist unter allen politisch erstzunehmenden Kräften so unstreitig, daß ich mir nicht ernsthaft Widerstand dagegen vorstellen kann", erklärte der langjährige SPD-Fraktionsvorsitzende Friedhelm Farthmann nach der VGH-Entscheidung.

Die rot-grüne Koalition ließ sich Zeit mit dem von Münster aufgegebenen Prüfauftrag. Fast vier Jahre. Erst am 6. Mai 1998 erfüllte der Landtag seine Pflicht. Das Ergebnis: Mit den Stimmen von SPD und Grünen entschied sich das Parlament dafür, alles beim Alten zu belassen. "Ich stelle fest, daß damit der Landtag Nordrhein-Westfalen die Aufforderung des Verfassungsgerichtshofes des Landes Nordrhein-Westfalen zur eigenständigen Überprüfung der Fünf-Prozent-Sperrklausel im Kommunalwahlrecht erfüllt und beschlossen hat, diese Fünf-Prozent-Sperrklausel beizubehalten", verkündete die Sitzungsleiterin, die grüne Landtagsvizepräsidentin Katrin Grüber.

Die Grünen beugten sich damit ihrem großen Koalitionspartner. Eine notwendige Reform des Kommunalwahlrechts sei "an Bedenken und am Beharrungsvermögen unseres Koalitionspartners gescheitert", hatte der Grünen-Abgeordnete Ewald Groth zuvor in der Debatte resigniert konstatiert.

Die ÖDP konnte die Landtagsentscheidung allerdings nicht entmutigen. Gerade erst im Saarland mit einer Klage gegen die fünf Prozent an einem Vier-zu-vier-Patt unter den dortigen Verfassungsrichtern gescheitert, strengte die kleine konservative Partei am 5. November letzten Jahres erneut ein Organstreitverfahren gegen den NRW-Landtag zur Abschaffung der Fünf-Prozent-Hürde. Und nun bekam die ÖDP auch noch Verstärkung: Die PDS reichte jetzt ebenfalls Klage in Münster ein.

Offensichtlich nahm der Landtag und sein Präsident Ulrich Schmidt (SPD) die Klage der beiden kleinen Parteien jedoch nicht allzu ernst. Einen Tag nach der Klageeinreichung schrieb Verfassungsgerichtspräsident Michael Bertrams an die ÖDP, daß er dem Landtag als Antragsgegner bis zum 15. Februar 1999 Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben habe. Doch Landtagspräsident Schmidt ließ nicht nur die Frist verstreichen, sondern hielt es nicht einmal für nötig, während dieser Zeit eine anwaltliche Vertretung zu engagieren. Erst am 17. Februar teilte die Rechtsanwaltskanzlei Busse & Miessen dem VGH mit, daß sie die Vertretungsberechtigten des Landtages seien und Prof. Dr. Raimund Wimmer mit der Bearbeitung des Falles befaßt sei. Sie baten zudem um Aufschub: "Da uns das Mandat soeben erteilt worden ist, erbitten wir freundlichst um Verlängerung der Frist zur Stellungnahme bis zum 20.03.1999."

Der VGH gewährte die Fristverlängerung, und am 15. März reichte Raimund Wimmer, die Erwiderung des Landtags auf die ÖDP-Klage ein. Das Hauptargument des Landtags gegen eine Abschaffung der Sperrklausel: Die Funktionsfähigkeit der Kommunalparlamente wäre gefährdet, wenn dort eine Zersplitterung in unzählige Parteien und Wählergruppen stattfinden würde. Wenig überzeugend, reicht doch ein Blick über die Landesgrenze aus, um es zu widerlegen. So sind in Niedersachsen, wo die Hürde seit längerem abgeschafft ist, von den bei den letzten Kommunalwahlen verteilten 16.555 Ratsmandaten gerade mal 27 auf Parteien entfallen, die weniger als fünf Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnten. Ohnehin gilt die Kleine-Parteien-Verhinderungsklausel nur noch in einer Minderheit der Bundesländer: Außer in NRW und dem Saarland besteht sie nur noch in Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen, Hessen und Schleswig-Holstein.

So war die Niederlage absehbar. Als in der mündlichen Verhandlung am 15. Juni der Prozeßbevollmächtigte Wimmer in Absprache mit Landtagsdirektor Heinrich Große-Sender (SPD) auch noch das VGH-Angebot ausschlug, bis zum 14. September weitere und etwas stichhaltigere Argumente für die Beibehaltung der Klausel vorzutragen, war der Prozeß für den Landtag verloren.


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