Die Sozialdemokraten
an Rhein und Ruhr erlebten am Sonntag ein Wahldesaster.
Die Niederlage in ihrer für uneinnehmbar gehaltenen
Festung ist historisch - und verdient.
Es war kein angenehmer Gang für
Wolfgang Clement. Wie konnte es bloß zu diesem Desaster
kommen? Noch immer können es viele Sozialdemokraten
nicht fassen, was ihrer Partei am vergangenen Sonntag
widerfahren ist. Am Dienstag beriet die
SPD-Landtagsfraktion über das verheerende Wahldebakel
für die erfolgsverwöhnten Genossen an Rhein und Ruhr.
Und der Ministerpräsident versuchte, den verunsicherten
Abgeordneten wieder neuen Mut zu geben. Denn am 26.
September gilt es für die SPD, zu retten, was noch zu
retten ist. In 13 Städten hat sie die Chance, doch noch
den kommenden Oberbürgermeister zu stellen. In acht
Kreisen ist sie noch im Rennen um einen Landratsposten.
Doch es wird nicht einfach werden, das weiß auch
Clement. "Es ist völlig klar, dass die
Kommunalwahlen in ihrem ersten Teil für uns eine
schlimme Ohrfeige gewesen sind." Nach diesem
Ergebnis sei die CDU auch bei den Stichwahlen im Vorteil,
"weil Menschen natürlich gerne bei den Siegern
sind". Also nicht mehr bei den Sozialdemokraten.
Ein Erdrutsch: 1.745
Millionen Wähler weniger als bei den Kommunalwahlen 1994
entschieden sich am vergangenen Sonntag für die SPD.
Landesweit landete sie bei gerade mal 33,9 Prozent der
Stimmen. Dass dabei nur wenige SPD-Stammwähler zu den
Christdemokraten übergelaufen sind, sondern die Mehrzahl
von ihnen einfach die Wahlen boykottierten, kann dabei
nur wenig beruhigen. Die 50,3 Prozent im Land für die
CDU erscheinen zwar bei näherem Hinsehen gar nicht mehr
so großartig, haben doch die Christdemokraten keine
Stimmen hinzugewonnen, sondern im Gegenteil rund 540.000
Wähler gegenüber 1994 verloren. Aber den
Sozialdemokraten ist mehr als das Dreifache abhanden
gekommen.
Mit Blick auf die Skandale
sozialdemokratischer Kommunalpolitiker, wie dem Kölner
Klaus Heugel oder dem Dortmunder Franz-Josef Drabig, hat
Clement "Fehlleistungen und Fehlverhalten von
einzelnen" als eine Ursache für das schlechte
Abschneiden seiner Partei ausgemacht. Damit müsse jetzt
Schluss sein. Der Rau-Nachfolger kündigte an, denen
nichts mehr durchgehen zu lassen, "die den bösen
Schein erwecken, die Partei sei gewissermaßen ein
Selbstbedienungsladen".
Und welche Konsequenzen
müssen noch gezogen werden? Vielleicht eine Änderung
der von vielen Menschen als unsozial empfundenen Politik
der rot-grünen Bundesregierung? Für Clement kein Thema.
Ausdrücklich stellte er sich hinter die Linie
Schröders. "Wir dürfen jetzt nicht irgendwelchen
opportunistischen Stimmungen nachgeben." Es sei
"seine feste Überzeugung", so Clement, dass
das Sparpaket zusammengehalten werden müsse. Die
Schröder-Regierung dürfe sich nicht von ihrem Weg
abbringen lassen, weil sie sich sonst "in eine
isolierte Lage" begäbe. Damit kalkuliert der
Ministerpräsident bereits die nächsten Niederlagen ein:
"Wir bewegen uns noch einige Zeit auf einem überaus
schwierigen Gelände, bevor wir wieder Boden unter die
Füße bekommen werden, was die bundespolitische Szenerie
angeht." Ein riskantes Spiel: In acht Monaten sind
Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen. Kann der
Abwärtstrend bis dahin nicht gestoppt werden, droht
Clement das gleiche Schicksal, wie den nunmehr ehemaligen
sozialdemokratischen Oberbürgermeisterinnen von
Bielefeld und Münster: Er kann sich einen neuen Job
suchen. Nach der verlorenen Europawahl hatte
Bundeskanzler Gerhard Schröder noch verkündet:
"Wir haben verstanden." Aber offensichtlich
nicht begriffen. Nun hat es den nächsten Denkzettel
gesetzt. Einen, der sich gewaschen hat: Denn nicht nur in
traditionell umkämpften Städten wie Bonn, Bielefeld,
Düsseldorf oder Münster wurden die Sozialdemokraten
für ihre Begriffsstutzigkeit abgestraft. Ausgerechnet im
Ruhrgebiet, ihrer als uneinnehmbar geltenden Festung, ist
die SPD seit dem vergangenen Wochenende in vielen
Städten und Gemeinden nur noch zweite Wahl.
Dass gerade hier die SPD
ihre dramatischsten Einbrüche erlebte, verdankt sie
nicht nur der Unzufriedenheit über die Politik des
Kaschmir-Kanzlers und der Empörung über lokale
Affären. Viele Bürgerinnen und Bürger hatten es
schlichtweg satt, in einer Stadt zu leben, die von einer
Partei seit zum Teil über 50 Jahren regiert wird als
wäre sie ihr Eigentum. Eine Wahlbeteiligung von unter 44
Prozent wie in Duisburg oder Verlusten von bis zu 14,3
Prozent wie in Essen: Deutlicher ließ sich das
Aufbegehren gegen die sozialdemokratische Arroganz der
Macht im Revier nicht demonstrieren.
Nur in Oberhausen ist die
sozialdemokratische Welt mit dem Gewinn der absoluten
Mehrheit und der Wahl Burkhard Dreschers zum
Oberbürgermeister noch in Ordnung. Aber auch hier
büßte die Partei über 7 Prozent ihrer Stimmen
gegenüber der Wahl 1994 ein.
Über 13 Prozent verlor
die SPD in Duisburg. Zwar konnte sich die SPD-Kandidatin
Bärbel Zieling bei der Oberbürgermeisterwahl behaupten
- die sicher geglaubte absolute Ratsmehrheit ist jedoch
futsch. Nun müssen die Genossen etwas lernen, was sie
bisher nicht kannten: die Zusammenarbeit mit anderen
Parteien. Den "Beginn einer neuen politischen
Kultur" prophezeit denn auch der Chef des Duisburger
Amtes für Statistik, German Bensch. Daran wird sich die
alte und neue Oberbürgermeisterin Bärbel Zieling erst
noch gewöhnen müssen. Besonders der Einzug der PDS in
den Stadtrat schmerzt sie. Die Demokratischen Sozialisten
holten mit 4,2 Prozent ausgerechnet in Duisburg ihr
landesweites Rekordergebnis und werden im neuen Rat mit
drei Mandaten in Fraktionsstärke vertreten sein.
"Dieses Ergebnis halte ich für den eigentlichen
Skandal der heutigen Wahl", kommentierte Zieling
verbittert den Erfolg des lokalen Ablegers der
Gysi-Truppe.
Was sollen da erst ihre
Parteifreunde in Gelsenkirchen sagen? Hier schaffte nicht
nur die PDS den Sprung in den Stadtrat, sondern ebenfalls
noch die von der maoistischen MLPD unterstützte Liste
"AUF Gelsenkirchen". Ihre jeweils zwei
Abgeordneten können sich jetzt fünf Jahre lang über
den echten und den wahren Sozialismus streiten. Und die
SPD? Die muss hoffen, dass ihr blasser OB-Kandidat Klaus
Haertel wenigstens in der Stichwahl seinen
CDU-Kontrahenten Oliver Wittke schlagen kann. Noch liegt
der CDUler knapp vorn.
Vor dem 12. September
hatte Wittke vor allem mit dem Argument für sich
geworben, in Gelsenkirchen sei es "genauso, wie es
in der DDR war". Das ist es - trotz PDS - nicht
mehr: Im Rat liegt die CDU einen Sitz vor der SPD, die
von 40 auf 27 Sitze abrutschte.
Kommt es nicht zu einer
großen Koalition, muss eine der großen mindestens zwei
kleine Parteien mit ins Boot nehmen, um eine Mehrheit zu
erlangen. Neben PDS und AUF stehen hierzu noch die
Grünen mit 4, die FDP mit einem und die
"Republikaner" mit zwei Mandaten zur
Verfügung.
Probleme, mit denen sich
die Essener Sozialdemokraten die nächsten fünf Jahre
nicht beschäftigen müssen. Sie dürfen sich mit 35
Prozent der Stimmen - von 49,3 1994 - ganz auf ihre neue
Rolle als Oppositionspartei konzentrieren. Denn direkt im
ersten Anlauf schaffte der CDU-Oberbürgermeisterkandidat
Wolfgang Reiniger gegen seinen SPD-Konkurrenten Detlev
Samland die Sensation und erreichte mit 51,7 Prozent der
Stimmen die absolute Mehrheit. Und als wäre das nicht
genug: Auch im Rat der Stadt Essen haben sich die
Verhältnisse grundlegend geändert. Die CDU liegt mit
ihren 49,3 Prozent nur einen Sitz unter der absoluten
Mehrheit und kann sich aussuchen, mit wem sie im Rat
zusammenarbeiten will. Sie hat die freie Wahl zwischen
SPD, Grünen, FDP, PDS und "Republikanern".
Aber eine definitive Festlegung wird es wohl nicht geben.
Der neue Oberbürgermeister Reiniger hat bereits
angekündigt, mit wechselnden Mehrheiten operieren zu
wollen.
Bunt sieht es im Bottroper
Stadtrat aus. Auch hier liegt die CDU mit zwei Prozent
und einem Sitz vor der SPD, die von 52,5 auf 40,2 Prozent
abstürzte. Neben den schon bisher im Rat vertretenen
Grünen schafften auch noch die konservative
"Ökologisch-demokratische Partei" - mit 6,3
Prozent - und die FDP den Sprung ins Parlament. Und,
natürlich: die DKP. Nach fünfjähriger Zwangspause sind
die Bottroper Kommunisten mit 4,4 Prozent und 3 Sitzen
jetzt wieder dabei.
Interessant wird es auch
in den Räten von Bochum und Dortmund. Hier können sich
Grünen mit ihren rund 10 Prozent aussuchen, ob sie der
SPD oder der CDU, die in beiden Städten etwa gleichauf
liegen, zur Mehrheit verhelfen will. Für wen sie sich
jeweils entscheiden werden, ist noch völlig offen. Eine
Wahlempfehlung für den SPD- oder den
CDU-Oberbürgermeisterkandidaten bei der Stichwahl am 26.
September will die Öko-Partei jedenfalls weder in Bochum
noch in Dortmund aussprechen.
Wie schnell jedoch
schwarz-grüne Spiele die Grünen ins Abseits stellen
können, zeigt das Beispiel Mülheim. Bisher war die
Millionärsstadt immer eine Hochburg der Alternativen
gewesen. Seit 1985 holten sie hier regelmäßig
zweistellige Wahlergebnisse. Nun mussten die Grünen eine
Erdrutschniederlage hinnehmen: Sie stürzten von 14,7 auf
gerade mal noch 6 Prozent ab. Damit bekamen die Grünen
die Quittung für ein Experiment, das bundesweit für
Schlagzeilen gesorgt hatte: Sie hatten sich nach den
letzten Kommunalwahlen für eine schwarz-grüne Koalition
entschieden. Von dem schlechten Abschneiden der
Alternativen profitierte eine kleine
Bürgerinitiativen-Liste, die sich in Abgrenzung zu
Schwarz-Grün gegründet hatte. Sie erreichte 5,5 Prozent
und wird im neuen Mülheimer Stadtrat ebenso wie die
Grünen mit drei Sitzen vertreten sein.
Aber auch die SPD konnte
aus dem schwarz-grünen Versuch ihren Gewinn ziehen. Sie
gewann entgegen dem Landestrend Stimmen hinzu und konnte
die bisherige schwarz-grüne Mehrheit brechen. Ein
Vorbild? Wenn die NRW-SPD nicht aufpasst, wird sie bei
der Landtagswahl im Jahr 2005 die gleiche Chance haben,
aus der Opposition heraus die CDU wieder von der
Regierung zu verdrängen.
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