16.09.1999



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Von Pascal Beucker

Die Sozialdemokraten an Rhein und Ruhr erlebten am Sonntag ein Wahldesaster. Die Niederlage in ihrer für uneinnehmbar gehaltenen Festung ist historisch - und verdient.

Wolfgang ClementEs war kein angenehmer Gang für Wolfgang Clement. Wie konnte es bloß zu diesem Desaster kommen? Noch immer können es viele Sozialdemokraten nicht fassen, was ihrer Partei am vergangenen Sonntag widerfahren ist. Am Dienstag beriet die SPD-Landtagsfraktion über das verheerende Wahldebakel für die erfolgsverwöhnten Genossen an Rhein und Ruhr. Und der Ministerpräsident versuchte, den verunsicherten Abgeordneten wieder neuen Mut zu geben. Denn am 26. September gilt es für die SPD, zu retten, was noch zu retten ist. In 13 Städten hat sie die Chance, doch noch den kommenden Oberbürgermeister zu stellen. In acht Kreisen ist sie noch im Rennen um einen Landratsposten. Doch es wird nicht einfach werden, das weiß auch Clement. "Es ist völlig klar, dass die Kommunalwahlen in ihrem ersten Teil für uns eine schlimme Ohrfeige gewesen sind." Nach diesem Ergebnis sei die CDU auch bei den Stichwahlen im Vorteil, "weil Menschen natürlich gerne bei den Siegern sind". Also nicht mehr bei den Sozialdemokraten.

Ein Erdrutsch: 1.745 Millionen Wähler weniger als bei den Kommunalwahlen 1994 entschieden sich am vergangenen Sonntag für die SPD. Landesweit landete sie bei gerade mal 33,9 Prozent der Stimmen. Dass dabei nur wenige SPD-Stammwähler zu den Christdemokraten übergelaufen sind, sondern die Mehrzahl von ihnen einfach die Wahlen boykottierten, kann dabei nur wenig beruhigen. Die 50,3 Prozent im Land für die CDU erscheinen zwar bei näherem Hinsehen gar nicht mehr so großartig, haben doch die Christdemokraten keine Stimmen hinzugewonnen, sondern im Gegenteil rund 540.000 Wähler gegenüber 1994 verloren. Aber den Sozialdemokraten ist mehr als das Dreifache abhanden gekommen.

Mit Blick auf die Skandale sozialdemokratischer Kommunalpolitiker, wie dem Kölner Klaus Heugel oder dem Dortmunder Franz-Josef Drabig, hat Clement "Fehlleistungen und Fehlverhalten von einzelnen" als eine Ursache für das schlechte Abschneiden seiner Partei ausgemacht. Damit müsse jetzt Schluss sein. Der Rau-Nachfolger kündigte an, denen nichts mehr durchgehen zu lassen, "die den bösen Schein erwecken, die Partei sei gewissermaßen ein Selbstbedienungsladen".

Und welche Konsequenzen müssen noch gezogen werden? Vielleicht eine Änderung der von vielen Menschen als unsozial empfundenen Politik der rot-grünen Bundesregierung? Für Clement kein Thema. Ausdrücklich stellte er sich hinter die Linie Schröders. "Wir dürfen jetzt nicht irgendwelchen opportunistischen Stimmungen nachgeben." Es sei "seine feste Überzeugung", so Clement, dass das Sparpaket zusammengehalten werden müsse. Die Schröder-Regierung dürfe sich nicht von ihrem Weg abbringen lassen, weil sie sich sonst "in eine isolierte Lage" begäbe. Damit kalkuliert der Ministerpräsident bereits die nächsten Niederlagen ein: "Wir bewegen uns noch einige Zeit auf einem überaus schwierigen Gelände, bevor wir wieder Boden unter die Füße bekommen werden, was die bundespolitische Szenerie angeht." Ein riskantes Spiel: In acht Monaten sind Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen. Kann der Abwärtstrend bis dahin nicht gestoppt werden, droht Clement das gleiche Schicksal, wie den nunmehr ehemaligen sozialdemokratischen Oberbürgermeisterinnen von Bielefeld und Münster: Er kann sich einen neuen Job suchen. Nach der verlorenen Europawahl hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder noch verkündet: "Wir haben verstanden." Aber offensichtlich nicht begriffen. Nun hat es den nächsten Denkzettel gesetzt. Einen, der sich gewaschen hat: Denn nicht nur in traditionell umkämpften Städten wie Bonn, Bielefeld, Düsseldorf oder Münster wurden die Sozialdemokraten für ihre Begriffsstutzigkeit abgestraft. Ausgerechnet im Ruhrgebiet, ihrer als uneinnehmbar geltenden Festung, ist die SPD seit dem vergangenen Wochenende in vielen Städten und Gemeinden nur noch zweite Wahl.

Dass gerade hier die SPD ihre dramatischsten Einbrüche erlebte, verdankt sie nicht nur der Unzufriedenheit über die Politik des Kaschmir-Kanzlers und der Empörung über lokale Affären. Viele Bürgerinnen und Bürger hatten es schlichtweg satt, in einer Stadt zu leben, die von einer Partei seit zum Teil über 50 Jahren regiert wird als wäre sie ihr Eigentum. Eine Wahlbeteiligung von unter 44 Prozent wie in Duisburg oder Verlusten von bis zu 14,3 Prozent wie in Essen: Deutlicher ließ sich das Aufbegehren gegen die sozialdemokratische Arroganz der Macht im Revier nicht demonstrieren.

Nur in Oberhausen ist die sozialdemokratische Welt mit dem Gewinn der absoluten Mehrheit und der Wahl Burkhard Dreschers zum Oberbürgermeister noch in Ordnung. Aber auch hier büßte die Partei über 7 Prozent ihrer Stimmen gegenüber der Wahl 1994 ein.

Über 13 Prozent verlor die SPD in Duisburg. Zwar konnte sich die SPD-Kandidatin Bärbel Zieling bei der Oberbürgermeisterwahl behaupten - die sicher geglaubte absolute Ratsmehrheit ist jedoch futsch. Nun müssen die Genossen etwas lernen, was sie bisher nicht kannten: die Zusammenarbeit mit anderen Parteien. Den "Beginn einer neuen politischen Kultur" prophezeit denn auch der Chef des Duisburger Amtes für Statistik, German Bensch. Daran wird sich die alte und neue Oberbürgermeisterin Bärbel Zieling erst noch gewöhnen müssen. Besonders der Einzug der PDS in den Stadtrat schmerzt sie. Die Demokratischen Sozialisten holten mit 4,2 Prozent ausgerechnet in Duisburg ihr landesweites Rekordergebnis und werden im neuen Rat mit drei Mandaten in Fraktionsstärke vertreten sein. "Dieses Ergebnis halte ich für den eigentlichen Skandal der heutigen Wahl", kommentierte Zieling verbittert den Erfolg des lokalen Ablegers der Gysi-Truppe.

Was sollen da erst ihre Parteifreunde in Gelsenkirchen sagen? Hier schaffte nicht nur die PDS den Sprung in den Stadtrat, sondern ebenfalls noch die von der maoistischen MLPD unterstützte Liste "AUF Gelsenkirchen". Ihre jeweils zwei Abgeordneten können sich jetzt fünf Jahre lang über den echten und den wahren Sozialismus streiten. Und die SPD? Die muss hoffen, dass ihr blasser OB-Kandidat Klaus Haertel wenigstens in der Stichwahl seinen CDU-Kontrahenten Oliver Wittke schlagen kann. Noch liegt der CDUler knapp vorn.

Vor dem 12. September hatte Wittke vor allem mit dem Argument für sich geworben, in Gelsenkirchen sei es "genauso, wie es in der DDR war". Das ist es - trotz PDS - nicht mehr: Im Rat liegt die CDU einen Sitz vor der SPD, die von 40 auf 27 Sitze abrutschte.

Kommt es nicht zu einer großen Koalition, muss eine der großen mindestens zwei kleine Parteien mit ins Boot nehmen, um eine Mehrheit zu erlangen. Neben PDS und AUF stehen hierzu noch die Grünen mit 4, die FDP mit einem und die "Republikaner" mit zwei Mandaten zur Verfügung.

Probleme, mit denen sich die Essener Sozialdemokraten die nächsten fünf Jahre nicht beschäftigen müssen. Sie dürfen sich mit 35 Prozent der Stimmen - von 49,3 1994 - ganz auf ihre neue Rolle als Oppositionspartei konzentrieren. Denn direkt im ersten Anlauf schaffte der CDU-Oberbürgermeisterkandidat Wolfgang Reiniger gegen seinen SPD-Konkurrenten Detlev Samland die Sensation und erreichte mit 51,7 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit. Und als wäre das nicht genug: Auch im Rat der Stadt Essen haben sich die Verhältnisse grundlegend geändert. Die CDU liegt mit ihren 49,3 Prozent nur einen Sitz unter der absoluten Mehrheit und kann sich aussuchen, mit wem sie im Rat zusammenarbeiten will. Sie hat die freie Wahl zwischen SPD, Grünen, FDP, PDS und "Republikanern". Aber eine definitive Festlegung wird es wohl nicht geben. Der neue Oberbürgermeister Reiniger hat bereits angekündigt, mit wechselnden Mehrheiten operieren zu wollen.

Bunt sieht es im Bottroper Stadtrat aus. Auch hier liegt die CDU mit zwei Prozent und einem Sitz vor der SPD, die von 52,5 auf 40,2 Prozent abstürzte. Neben den schon bisher im Rat vertretenen Grünen schafften auch noch die konservative "Ökologisch-demokratische Partei" - mit 6,3 Prozent - und die FDP den Sprung ins Parlament. Und, natürlich: die DKP. Nach fünfjähriger Zwangspause sind die Bottroper Kommunisten mit 4,4 Prozent und 3 Sitzen jetzt wieder dabei.

Interessant wird es auch in den Räten von Bochum und Dortmund. Hier können sich Grünen mit ihren rund 10 Prozent aussuchen, ob sie der SPD oder der CDU, die in beiden Städten etwa gleichauf liegen, zur Mehrheit verhelfen will. Für wen sie sich jeweils entscheiden werden, ist noch völlig offen. Eine Wahlempfehlung für den SPD- oder den CDU-Oberbürgermeisterkandidaten bei der Stichwahl am 26. September will die Öko-Partei jedenfalls weder in Bochum noch in Dortmund aussprechen.

Wie schnell jedoch schwarz-grüne Spiele die Grünen ins Abseits stellen können, zeigt das Beispiel Mülheim. Bisher war die Millionärsstadt immer eine Hochburg der Alternativen gewesen. Seit 1985 holten sie hier regelmäßig zweistellige Wahlergebnisse. Nun mussten die Grünen eine Erdrutschniederlage hinnehmen: Sie stürzten von 14,7 auf gerade mal noch 6 Prozent ab. Damit bekamen die Grünen die Quittung für ein Experiment, das bundesweit für Schlagzeilen gesorgt hatte: Sie hatten sich nach den letzten Kommunalwahlen für eine schwarz-grüne Koalition entschieden. Von dem schlechten Abschneiden der Alternativen profitierte eine kleine Bürgerinitiativen-Liste, die sich in Abgrenzung zu Schwarz-Grün gegründet hatte. Sie erreichte 5,5 Prozent und wird im neuen Mülheimer Stadtrat ebenso wie die Grünen mit drei Sitzen vertreten sein.

Aber auch die SPD konnte aus dem schwarz-grünen Versuch ihren Gewinn ziehen. Sie gewann entgegen dem Landestrend Stimmen hinzu und konnte die bisherige schwarz-grüne Mehrheit brechen. Ein Vorbild? Wenn die NRW-SPD nicht aufpasst, wird sie bei der Landtagswahl im Jahr 2005 die gleiche Chance haben, aus der Opposition heraus die CDU wieder von der Regierung zu verdrängen.


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