28.10.1999



Die Qual der Wahl

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*   Die Qual der Wahl
Von Pascal Beucker

Bei den NRW-Grünen ist der Wahlkampf in vollem Gange: Um sichere Plätze auf der Liste für die Landtagswahl. Mancher Promi bangt noch.

Der Countdown läuft. In einem guten halben Jahr entscheidet sich mit der Landtagswahl am 14. Mai 2000 die Zukunft von Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen. Für über 75 Grüne hat der Wahlkampf schon heute begonnen. In eigener Sache. Denn sie bewerben sich um einen der 10 bis 16 aussichtsreichen Plätze auf der grünen Reserveliste für die Landtagswahl. Vom 12. bis zum 14. November wollen die nordrhein-westfälischen Grünen auf einer Landesdelegiertenkonferenz in Düsseldorf ihre Kandidatinnen und Kandidaten küren.

Bislang gelten nur die beiden ersten Plätze als sicher vergeben: Wie auch schon zur letzten Landtagswahl 1995 werden wohl Bärbel Höhn und Michael Vesper erneut die Liste anführen. Das Ministerduo ist in der Partei weitgehend unumstritten. Dahinter jedoch fängt bereits das große Hauen und Stechen an. Nicht einmal der grüne Landtagsfraktionschef Roland Appel kann sich seiner Wiederaufstellung sicher sein. Nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins "Focus" sollen hinter den Kulissen Regierungslinke und Realos bereits diejenigen KandidatInnen ausgekungelt haben, die auf einem der als relativ sicher geltenden Plätze für einen Einzug in den Landtag platziert werden sollen. Appel soll nicht unter ihnen sein. Bärbel Höhn bestreitet allerdings die Existenz einer solchen Kungelliste. Der "Focus"-Bericht sei "Unsinn". Er könne "alleine deswegen nicht stimmen, weil es noch nie funktioniert hat, dass jemand im Landesverband Nordrhein-Westfalen erfolgreich irgendwelche Listen ausgekungelt und vorbestimmt hat", sagt die grüne Frontfrau im taz-Gespräch. Da stünde zum Glück die Partei gegen.

Tatsache ist allerdings, dass sich Appel auf dem Parteitag harter Konkurrenz wird erwehren müssen. So bewirbt sich auch Parteisprecher Reiner Priggen um einen der vorderen Plätze. Während seine linke Sprecherkollegin Barbara Steffens, die auch an den Start geht, noch um eine gute Platzierung bangen muss, scheint sich Realo Priggen dabei seiner Sache sicher zu sein. Er lässt sich bereits als künftiger Fraktionschef handeln.

Spannend wird auch das Abschneiden der Koalitionskritiker sein. Im Landesverband wird besonders aus den Reihen der Realos kräftig Stimmung gegen die vermeintlichen Nestbeschmutzer gemacht. So verweigerte der Düsseldorfer Kreisverband in der vergangenen Woche seinem Abgeordneten Stefan Bajohr das Rederecht, als dieser seine Bilanz von viereinhalb Jahren Rot-Grün in NRW ziehen wollte. Dass Parteitagsbeschlüsse von einst heute nichts mehr gelten würden und er deprimiert sei, "über den Scherbenhaufen, vor dem wir stehen", wollte niemand hören. Für den früheren Mitarbeiter des SPD-Enfant terrible Friedhelm Fahrtmann ein deprimierendes Erlebnis: "Ich glaube, damit sind die Grünen auf einem Tiefpunkt ihrer demokratischen Kultur angelangt." Bajohr wird sich ebenso wie die Kölnerin Alexandra Landsberg nicht mehr um ein Landtagsmandat bewerben.

Aber Daniel Kreutz tritt an. Der Wortführer der regierungskritischen Linken will weiter im Landtag gegen den "Klassenkampf von oben" und den "Turbo-Kapitalismus" ankämpfen. Doch nach den Vorstellungen des Realo-Kreises um Parteichef Priggen soll auch für ihn kein Platz mehr in der zukünftigen Fraktion sein. Das sieht die Regierungslinke Höhn anders: "Für mich gibt es keinen Grund, ihn auszugrenzen." Sie hält den Fraktionsrebellen "für einen klaren analytischen Kopf". Er habe allerdings das Problem, "dass oftmals aus seinem Agieren der persönliche Frust spricht". Aber das müsse Kreutz mit sich selber klären.

Während sich das KandidatInnenkarrussel noch munter dreht, scheint in der kleinen Regierungspartei eines bereits geklärt zu sein: Die NRW-Grünen wollen keinen Koalitionswahlkampf machen. "Wir werden keinen rot-grünen, sondern einen grünen Landtagswahlkampf führen", geht Bärbel Höhn auf Distanz zum Koalitionspartner SPD.


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