Heft 1/99

"Wer literarische Texte liest
wie den Wetterbericht ..."

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*  "Wer literarische Texte liest wie den Wetterbericht ..."
Von Pascal Beucker

Walser rechtfertigte seine umstrittene Rede vor Studierenden - die Diskussion geht weiter.

Zum Festakt der "Universitätstage" hatte die Uni Duisburg geladen - und alle waren gekommen: mehrere Fernsehteams, die Edelfedern des deutschen Feuilletons, die Lokalprominenz und Hunderte von Studierenden und viele Professoren drängten ins Auditorium. Einen solchen Rummel hatte die Uni noch nicht erlebt. Und das alles wegen eines Mannes: Martin Walser.

Dabei wollte die Unileitung nur einen bekannten Schriftsteller als Redner einladen. Siegfried Lenz hatte sie gerade erst ihre Gerhard-Mercator-Professur angedreht, mit Lothar-Günther Buchheim schon mal schlechte Erfahrungen gemacht - wer blieb da noch? So entschied man sich mit Martin Walser für einen "der bedeutendsten Autoren der deutschen Nachkriegsliteratur", wie Rektor Walter Eberhard sagte.

Wer hätte auch ahnen können, daß die Anfang des Jahres ausgesprochene Einladung zum Politikum würde? Einige Wochen war es her, daß Walser seine umstrittene Rede zur Verleihung des "Friedenspreises des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels" gehalten hatte. "Geistige Brandstiftung" und "unterschwelliger Antisemitismus" warf ihm Ignatz Bubis, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, vor. Walser rede der Verdrängung von Auschwitz das Wort. Ein mit scharfer Polemik geführter Streit über den Umgang mit der Vergangenheit entbrannte. Und er hat die Hochschulen erreicht.

Zwei Wochen vor dem geplanten Auftritt forderten das Studierendenparlament und der AStA Walsers Ausladung. Der Schriftsteller ebne "mit seinem Plädoyer fürs Wegschauen den Weg für rechtsextremistische Positionen in die Mitte der Gesellschaft", so ein Studentenvertreter. Dafür dürfe es an der Hochschule keinen Platz geben.

Auch in Teilen der Professorenschaft regte sich Unmut. In einem "Offenen Brief" griffen Germanistik-Professor Bogdal und Michael Brocke, Professor für jüdische Studien, Walser an. "Angesichts der Differenziertheit, mit der seit nunmehr als zwanzig Jahren deutsche Vergangenheit in den Gesellschafts-, Sozial- und Politikwissenschaften, in der Literaturwissenschaft diskutiert wird, muß Ihre schlichte polemische Zurückweisung der erinnernden Auseinandersetzung mit der Shoa erschrecken", schrieben sie in bestem Professorendeutsch.

Die Kritik der Professoren blieb hochschulintern nicht unwidersprochen. Der Dekan des Fachbereiches Sprach- und Literaturwissenschaften, Siegfried Jüttner und Germanistik-Prof Gerhard Köpf warfen ihren Kollegen "Fundamentalismus" vor. Der "Offene Brief" sei "dogmatisch" und "exorzistisch". Sie hingegen freuten sich auf Walser und "schätzen die Universität glücklich, die solch einen Gast in ihren Reihen hat".

Nun war die Unileitung in der Zwickmühle. Eine Ausladung wollte sie nicht aussprechen. Doch die Veranstaltung im geplanten Rahmen durchzuführen - daran war wegen der Proteste nicht mehr zu denken. So entschied sie sich aus dem Festakt eine "Diskussionsveranstaltung" zu machen. Zur Rede Walsers wurden zwei Statements von Kritikern mit anschließender "Disputatio" ins Programm genommen.

Den Hörsaal aber zierten Transparente wie "Deutschland denken heißt Auschwitz denken" oder "Stoppt den Rassismus aus der Mitte". Buhrufe und Beifall schallten Walser entgegen, als er das Podium betrat. Doch der Zuspruch überwog. Die studentischen Kritiker waren in der Minderheit. Trotzdem wirkte der Schriftsteller gereizt. Erstmals seit der Preisrede nahm er öffentlich Stellung. Besonders erregte er sich über den "Offenen Brief". Er verstünde die Kritik nicht, denn er habe sich doch "mit keinem Wort an die Wissenschaft gewendet". Er habe vielmehr "aufdringlich deutlich gemacht, daß es um die Medien geht".

Mit größter sprachkritischer Akribie sezierte er das Akademikerdeutsch, um festzustellen: "Wenn es sich um einen von Studenten verfaßten Text handeln würde, also verfaßt von Menschen, denen noch zu helfen ist, hätte ich ein Fragezeichen hingemalt." Die Lacher waren auf seiner Seite. Walser zitierte aus der Rede, wiederholte strittige Passagen und machte deutlich: Da gebe es nichts zu zurückzunehmen. Er sah sich schlichtweg mißverstanden - aus Böswilligkeit oder Unvermögen. "Wer literarische Texte liest wie den Wetterbericht, der kann leicht das Gegenteil von dem verstehen, was da gesagt ist." Beifall unterbrach seine Rede.

Mit Beifall durfte Benno Nothardt nicht rechnen. Der Germanistik-Student war auserkoren, direkt nach Walser für die studentischen Kritiker zu sprechen. Als Nothardt den Vorwurf von Bubis wiederholte, Walser habe ein Vokabular übernommen, "das sich sonst in den Publikationen neuer und alter Nazis findet", wurde Unmut laut: "Alles Quatsch!", tönte es ihm entgegen.

Ebenfalls verständnislos reagierte das Publikum auf den zweiten Kritiker: Professor Brocke. Der Mitarbeiter des Steinheim-lnstituts für deutsch-jüdische Geschichte bekräftigte seine Aussagen. Der Schriftsteller versuche, die Deutschen zu Opfern der Geschichte zu stilisieren. Walser verzerre die Wirklichkeit, wenn er pauschal die mediale Beschäftigung mit der Shoah unter den Verdacht der Beschuldigung und Instrumentalisierung stelle.

Der so Gescholtene ließ dies nicht auf sich sitzen. Walser sagte, seit den sechziger Jahren gäbe es eine ununterbrochene Auseinandersetzung mit dem Holocaust. "Da müssen Sie nicht mit ihren Studenten kommen, um das Schweigen aufzubrechen!" Eine Stunde "Disputatio" folgte: ein munterer Schlagabtausch zwischen Befürwortern und Gegnern.

Die Debatte um Walser hält an. An der Duisburger Uni ist der Alltag wieder eingezogen. Übrig geblieben ist ein studentischer Reader: "Martin Walser - über die Standpunkte eines rechtsextremistischen Intellektuellen", der über den Duisburger AStA bezogen werden kann. Und die Feststellung des Literaturwissenschaftlers Siegfried Jüttner: "Allen Todesanzeigen zum Trotz: Die Literatur hat sich in der politischen Öffentlichkeit zurückgemeldet."


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