24.01.2001

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Jungle World

*   Dreßlers große Wende
Von Pascal Beucker

Ein Porträt des deutschen Botschafters in Israel, der die Öffentlichkeit mit dem Ratschlag brüskierte, Jerusalem unter internationale Verwaltung zu stellen.

Was Rudolf Dreßler macht? Er kümmert sich um Geschichte. Ganz alte Geschichte. Am vergangenen Freitag überreichte er dem israelischen Wissenschaftler Emmanuel Dov den »symbolischen Schlüssel« zu einem Spezialmikroskop aus der Bundesrepublik. Es soll die Erforschung der über 2 000 Jahre alten Quamran-Rollen am Toten Meer erleichtern. Verdienstvoll. Und dabei kann der neue deutsche Botschafter in Israel nicht viel falsch machen. Zum Nahost-Konflikt äußert er sich höchstens allgemein. So wie an seinem 60. Geburtstag Ende letzten Jahres. Da wünschte er sich »einen tragfähigen Friedensvertrag«, und »dass es Israelis und Palästinenser schaffen, sich zu verständigen«. Wer wünschte sich das nicht?

Dreßler scheint schnell gelernt zu haben, hatte er sich doch schon vor seinem Amtsantritt im August beinahe um Kopf und Kragen geredet. Dem Bonner General-Anzeiger hatte er seine Israel-Kompetenz beweisen wollen und war kräftig ins Fettnäpfchen getreten. Er hege Sympathien für den Vorschlag, dass Jerusalem unter internationale Verwaltung gestellt werde, plauderte der Sozialdemokrat unbekümmert daher. Und setzte noch eins drauf, als er auf Nachfrage des Interviewers erklärte, dieser Vorschlag beziehe sich nicht nur auf Ost-Jerusalem, sondern »auf die ganze Stadt«.

Ausgerechnet ein designierter deutscher Botschafter empfiehlt, die Hauptstadt Israels unter internationale Verwaltung zu stellen? Ein Sturm berechtigter Entrüstung brach los. Der Oberbürgermeister Jerusalems, Ehud Omert, wetterte, es sei eine »totale Dummheit, einen solchen Unsinn daherzureden«. Das zeige »offenkundig, dass der Mann nicht zum Botschafter Deutschlands in Israel geeignet ist, und ich hoffe, dass er es auch nicht wird«. Der außenpolitische Sprecher des Likud, Salman Schoval, sprach von einem »sehr schweren Irrtum«. Dreßler müsse nun beweisen, dass er nicht anti-israelisch und anti-jüdisch eingestellt sei. Auch der ehemalige israelische Botschafter in der BRD, Avi Primor, bezeichnete den Vorschlag Dreßlers als »abwegig« und »realitätswidrig«. Und Aviv Shir-On, der Sprecher des israelischen Außenministeriums, kündigte an, »falls keine Richtig- oder Klarstellung erfolgt (...), wird ziemlich scharf reagiert werden«.

Ein Sprecher des deutschen Außenministers Joseph Fischer sah sich zu der Feststellung gezwungen, Dreßler habe nicht im Namen der Bundesregierung gesprochen. An deren Position habe sich nichts geändert: Im Streit um den künftigen Status von Jerusalem stünden »beide Seiten in der Verantwortung, eine einvernehmliche Lösung zu finden«. Und als Botschafter werde Dreßler »die Haltung der Bundesregierung vertreten«. Umgehend ruderte auch Dreßler zurück. Es habe sich »um eine aus dem Zusammenhang eines längeren Hintergrundgespräches gerissene Formulierung« gehandelt, die er nicht autorisiert habe: »Auf die Frage nach der Verwaltung der Stadt habe ich von ðinternationalÐ gesprochen.« Das könnte eine Lösung sein, so der SPD-Politiker »auf die sich beide Seiten verständigen müssen«. Diese Position habe er nicht als kommender Botschafter, sondern als Vorsitzender der »Arbeitsgruppe Israel« der SPD-Fraktion geäußert.

Dass Dreßler sich seit vielen Jahren mit Israel beschäftigt und enge politische Beziehungen zu israelischen Organisationen und Parteien pflegt, wussten vor seiner Nominierung zum Botschafter nur wenige. Inhaltlich hatte er sich in der Israel-Politik nie exponiert, sondern eine klassische auf Frieden und Verständigung orientierte SPD-Position vertreten. Einen Namen hatte er sich in der Arbeits- und Sozialpolitik gemacht.

Bei seiner Biographie konnte es auch kaum anders sein. Schon Vater und Großvater waren engagierte Sozialdemokraten und Gewerkschafter. 1969 trat auch Dreßler in die SPD ein. Er absolvierte die komplette Ochsentour und kämpfte sich in zwei Jahrzehnten vom Ortsvorstand Oberbarmen bis ins SPD-Präsidium vor, in das er 1991 gewählt wurde.

In den Bundestag zog er 1980 als Wuppertaler Direktkandidat ein. Dort fiel er Herbert Wehner auf, der für Dreßler bis heute ein großes Vorbild ist, weil er immer für »die vielen Benachteiligten in der Arbeitsgesellschaft« gestritten habe. 1982 machte Helmut Schmidt den 41jährigen zum Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium. Er schien am Anfang einer großen Karriere zu stehen. Dann jedoch kam die »Wende«. Sechzehn Jahre mühte er sich in der Opposition, seit 1987 als stellvertretender SPD-Fraktionschef - ein klassischer Traditionssozialdemokrat, nicht links, aber eisern in der Vertretung von Arbeitnehmerinteressen, und selbstverständlich pragmatisch. Er habe in den Oppositionsjahren »mehr ins Gesetzesblatt gebracht«, sagt er heute stolz, »als die Hälfte der Minister von Helmut Kohl«. Nur den so genannten Asylkompromiss wollte er nicht mitmachen.

Dann kam der rot-grüne Sieg 1998. Fest rechnete Dreßler mit einem Platz am Kabinettstisch. Wäre es nach dem damaligen SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine gegangen, dann hätte er das Gesundheitsministerium übernommen. Aber dieses Ressort bescherte Schröder lieber den Grünen. Für »Beton-Rudi« war kein Platz in der Neuen Mitte.

Dreßler war verbittert. Dass ihm mit der Ex-Trotzkistin Andrea Fischer eine Grüne vorgezogen wurde, deren neoliberale Ideen ihn schon früher genervt hatten, ärgerte ihn. So setzte er auch unter Rot-Grün fort, was er unter Schwarz-Gelb gelernt hatte: Er opponierte und versuchte, Fischer in der Öffentlichkeit zu blamieren.

Dreßler ging auch gegen die SPD-Modernisierer auf die Barrikaden. Das »Schröder-Blair-Papier« bestehe aus einer »Fülle abgegriffener Klischees und belangloser Floskeln«. Bei Karl Marx heiße es, das Sein bestimme das Bewusstsein. »Dass das Design das Bewusstsein bestimmen soll, ist neu«, urteilte er. Schröder wollte den renitenten Traditionalisten auf einen Ruhesitz abschieben: Er könne doch Vizechef und später Präsident der Bundesanstalt für Arbeit werden. Oder Botschafter in Tel Aviv. Doch Dreßler winkte ab. Er lasse sich »weder ent- noch versorgen«.

Ein Jahr später hatte er seine Meinung geändert. Dreßler hatte eingesehen, dass seine Zeit in Berlin abgelaufen war und akzeptierte das Angebot. Seine Qualifikation bestehe darin, 19 Jahre Israelpolitik für die Fraktion gemacht zu haben: »Davon zehn Jahre federführend, ohne dass ich unangenehm aufgefallen bin.«

Nun ist Rudolf Dreßler in Israel. Dass er seinen Botschafterposten nur als Versorgungseinrichtung begreift, würde nicht zu ihm passen. Der Neue in der Daniel Frisch Street sei jemand, »der Israel wunderbar kennt (...) und in Israel auch sehr geschätzt ist«, beschreibt ihn Avi Primor. Auch wenn man nach seinem misslungenen Einstand daran zweifeln musste: Vielleicht ist Dreßler nicht die schlechteste Wahl.


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