07.02.2001

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Jungle World

*   Auf den Staat gespuckt
Von Pascal Beucker

Der Essener Rechtsdezernent Ludger Hinsen (CDU) versucht mit Speicheltests nachzuweisen, dass Flüchtlinge aus dem Libanon eigentlich türkische Staatsbürger sind. Und die gehören abgeschoben.

Zunächst war es nur ein rechtspopulistischer Wahlkampfgag. Drei Tage vor der nordrhein-westfälischen Landtagswahl im Frühjahr letzten Jahres wollte der Essener Rechts- und Ordnungsdezernent Ludger Hinsen noch mal richtig Stimmung machen. Einem ungeheuerlichen Skandal sei er auf die Spur gekommen, trompetete der Christdemokrat, der erst seit wenigen Wochen in seinem Amt saß. In Essen gebe es »Asylmissbrauch« in einem ungeahnten Ausmaß, 25 Millionen Mark jährlich würden bis zu 2 000 in Essen lebende »Schein-Libanesen« von der Stadt erschwindeln.

Mit diesen »Verarschungsfällen« wolle er nun aufräumen, verkündete Hinsen im Mai 2000. Die wahre Identität von 700 Personen habe ermittelt werden können: »460 stammen zum Beispiel aus der Türkei, 180 aus Syrien.« Die in Essen marktführende Westdeutsche Allgemeine Zeitung titelte: »Mit falscher Identität Millionen erschlichen. Stadt ermittelt riesigen Asylbetrug.« Belege für seine Behauptung legte Hinsen indes nicht vor.

Nach einem Erlass des NRW-Innenministers von 1991 haben Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Libanon, die vor dem 31. Dezember 1988 eingereist sind, als »de facto-Flüchtlinge« ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik. Entscheidend sei, konkretisierte die Innenbehörde den Erlass später, ob die Flüchtlinge vor ihrer Flucht ihren Lebensmittelpunkt im Libanon hatten.

Hinsen und die ihm unterstellte Essener Ausländerbehörde - unterstützt von der Essener Stadtratsmehrheit aus CDU, FDP sowie von den Republikanern - entdeckten in dieser Regelung bald ein Schlupfloch für »Asylmissbrauch«: Seither geht es um 1 931 »ungeklärte« kurdische Flüchtlinge aus dem Libanon. Wenn sie nicht ohnehin hier geboren wurden - was auf 1 162 von ihnen zutrifft -, leben diese Menschen seit über zehn Jahren in der Bundesrepublik. Gerade mal 390 von ihnen waren zur Zeit ihrer Einreise volljährig. Sie besitzen keine Papiere, mit denen sie nachweisen können, dass sie oder ihre Eltern aus dem Libanon geflohen sind. Das stellt sie für die Ausländerbehörde und ihren Dezernenten unter einen Generalverdacht.

Auf die Idee gebracht hatte die Bürokraten ein vergleichbarer Fall in Bremen im Frühjahr vergangenen Jahres, der bundesweit für Schlagzeilen sorgte. Dort hatte eine Sonderermittlungsgruppe der Polizei einen »großen Fahndungserfolg gegen Asylmissbrauch« gelandet und angeblich mehr als 500 türkische Kurden aus Südostanatolien als »falsche Libanesen« »enttarnt« - über zwei Drittel davon waren minderjährig.

Doch in Essen gestaltete sich die Beweisführung schwieriger. Auch Monate nach seiner großer Enthüllung blieb Hinsen die Fakten schuldig. Der Druck auf den früheren Mitarbeiter der CDU-Landtagsfraktion wuchs. Grüne und SPD warfen ihm »ausländerfeindliche Stimmungsmache« und eine »Hetzkampagne« vor, die PDS-Ratsgruppe sprach von einem »Amoklauf« des Dezernenten. Nachdem auch rassistische Sprüche ihm nicht helfen konnten - die Neue Ruhr Zeitung zitierte ihn mit den Worten: »Mal ehrlich, Libanesen, die ihren Lebensunterhalt meist mit Drogenhandel verdienen, wollen wir doch wohl nicht haben« -, trat der eifrige 38Jährige die Flucht nach vorn an. Mit Hilfe der Essener Staatsanwaltschaft: Wegen des Anfangsverdachts »mittelbarer Falschbeurkundung u.a.« beantragte sie beim Amtsgericht Essen die Durchführung von Speicheltests, um so den »falschen Libanesen« auf die Spur zu kommen.

DNA-Analysen dürfen seit einem Beschluss der Innenministerkonferenz von 1997 in Asylverfahren angewandt werden. Damals ging es vor allem darum, den Nachzug von Kindern kurdischer Flüchtlinge aus dem Nordirak zu verhindern, inzwischen werden die Gentests aber auch bei anderen Nationalitäten eingesetzt, wenn Zweifel an der Echtheit der vorgelegten Dokumente bestehen. Dem muss jedoch eine gerichtliche Anordnung zugrunde liegen, der eine »sorgfältige Einzelfallprüfung« vorausgegangen ist.

Das jedoch ist in Essen offensichtlich nicht geschehen, erklärt Dieter Deiseroth vom Büro der Landesbeauftragten für den Datenschutz. »Mir liegen Beschlüsse vor, die formularartig verfasst sind und auf jeden der Fälle passen könnten«, so der Datenschützer. Von den Essener Behörden fordert er »Rechenschaft über den ungewöhnlichen Vorgang«.

Mittlerweile hat die Essener Polizei die ersten 40 Speichelproben genommen, weitere sollen folgen. Wie die Beamten dabei vorgehen, beschreibt das libanesische Mitglied des Essener Ausländerbeirats, Mohamad Masri, der mehrere der polizeilichen »Hausbesuche« miterlebte. Früh am Morgen kämen die Polizisten in die Wohnungen der Flüchtlinge. »Die Familien samt der kleinen Kinder müssen sich in eine Zimmerecke stellen. Sie dürfen sich nicht vom Fleck rühren, die Frauen nicht einmal einen Schleier holen, um sich vor den Blicken der fremden Männer zu schützen.« Dann seien die Wohnungen durchsucht, Speichelproben und Fingerabdrücke abgenommen worden. Mit Erfolg, behauptet Hinsen: In 35 der 40 Fälle habe eine türkische oder syrische Herkunft nachgewiesen werden können.

Doch er könnte sich zu früh gefreut haben. So berichtet der Essener Rechtsanwalt Eberhard Haberkern, der einen Teil der betroffenen Flüchtlinge vertritt, dass mittels DNA-Analyse sicherlich Verwandtschaftsverhältnisse nachgewiesen werden könnten. Von Bedeutung sei das aber nicht - außer es gäbe so etwas wie ein Staatsangehörigkeits-Gen. Seine Mandanten, die alle »arabisch mit Beiruter Dialekt« sprächen, hätten »überall Verwandte«, »natürlich auch in der Türkei«. Schließlich stammten ihre Vorfahren aus der anatolischen Region um Mardin, die heute zur Türkei gehört und in der noch 500 000 arabischsprachige Kurden leben.

Für Haberkern ist die Kampagne Hinsens ein Skandal. Besonders die Jugendlichen seien »stark verunsichert«. In der Bundesrepublik geboren, sähen sie sich nun als »kriminelle Ausländer« gebrandmarkt. »Hinsen vergiftet das Klima in der Stadt«, sagt auch Mehrdad Mostofizadeh, Fraktionssprecher der Grünen im Essener Stadtrat. Es gehe hier um die »Stigmatisierung und Schikanierung bestimmter ausländischer Bevölkerungsgruppen«, die umgehend aufhören müsse.

Zudem sei das gewählte Verfahren der DNA-Analyse zur Ermittlung der Staatsangehörigkeit völlig untauglich. Das zeige sein eigenes Beispiel. Als Deutscher iranischer Herkunft habe er eine Großmutter mit iranischer, eine Tante mit amerikanischer und einen Vater mit deutscher Staatsbürgerschaft. »Ein Gentest würde sicherlich nachweisen, dass ich mit allen drei verwandt bin«, spottet Mostofizadeh.

Doch mit solchen Argumenten ist der rechten Stadtratsmehrheit Essens nicht beizukommen. Der auch von PDS und SPD unterstützte Versuch der Grünen, per Ratsbeschluss weitere Speicheltests zu unterbinden, erntete Ende Januar im Rat nur hämisches Lachen. Auch ein Antrag des Ausländerbeirates, die Stadt Essen solle sich im Land und im Bund für eine Art »Generalamnestie« für die »Ungeklärten« einsetzen, scheiterte an den Stimmen von CDU, FDP und Reps. Die Essener Tests gehen weiter. Schließlich sind irgendwann mal wieder Wahlen. Und da kann eine Kampagne gegen vermeintliche »Asylbetrüger« immer nützlich sein.


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