25.04.2001

Startseite
Jungle World

*   Historischer Idiotismus
Von Pascal Beucker

PDS entschuldigt sich für die Vereinigung von KPD und SPD.

Die vergangene war eine historische Woche für die PDS. Mit einem mutigen und unerwarteten Akt bekannte sich die SED-Nachfolgepartei zu ihrer Geschichte: Zum 98. Geburtstag von Lotte Ulbricht schickte die Parteispitze am Donnerstag einen Blumenstrauß. Am Tag zuvor demonstrierten die PDS-Vorsitzende Gabi Zimmer und ihre Stellvertreterin Petra Pau, dass sie würdige Wahrerinnen der Parteitradition sind. Denn da gedachten die beiden des 55. Jahrestages des Handschlags von Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl. Ihre Erklärung hatten Zimmer und Pau selbstverständlich keiner demokratischen Abstimmung ausgesetzt. Die kann man schließlich verlieren, das wusste 1946 schon Lotte Ulbrichts Gatte Walter. Einfacher ist es, von oben die Linie vorzugeben. »Ich fordere meine Partei auf zu springen«, befahl Zimmer auf der Pressekonferenz am Mittwoch.

Es gibt Sachen, für die man sich entschuldigen sollte. Ist es nicht ein Verbrechen, dass auch 55 Jahre nach der SED-Gründung die PDS-Spitze Sätze absondert wie folgende: »Auf dem Sonderparteitag im Dezember 1989 hatte sich die SED beim 'Volk der DDR' dafür entschuldigt, 'dass die ehemalige Führung der SED unser Land in (eine) existenzgefährdende Krise geführt hat'. Dazu stehen wir und meinen aus heutiger Sicht: Dies sollte die Vereinigung von KPD und SPD einschließen.« Was muss das für eine Horrorpartei gewesen sein, dass die in ihr Sozialisierten auch zwölf Jahre nach ihrer Überführung in die PDS nicht in der Lage sind, einen klaren Gedanken klar zu artikulieren?

Warum halten sie es nicht mit dem alten Stefan Heym? Die PDS möchte sich gerne in gewissen Punkten mit der SPD zusammentun, kommentierte er die Entschuldigung. »Und da muss man sich vorher lieb erweisen.« Zwar sei das Prinzip, dass die Arbeiterparteien sich vereinigen sollten, nicht verkehrt. »Aber die Art des Zusammenschlusses war wohl ein bisschen rüde«, so Heym.

Stattdessen heißt es bei Zimmer und Pau: »Die Gründung und Formierung der SED wurde auch mit politischen Täuschungen, Zwängen und Repressionen vollzogen.« Und: »Die Gründung der SED war historisch erklärbar, sie war von vielen gewollt und vollzog sich regional sehr unterschiedlich.« Das hätten sie auch über die Vereinigung von ÖTV, HBV, DAG, DPG und IG Medien zu Verdi sagen können.

Inhaltlich gingen Zimmer und Pau nicht über die Feststellungen der Historischen Kommission der PDS von 1995 hinaus. Seinerzeit resümierte Zimmers Vorgänger Lothar Bisky: »Es gab sowohl Elemente von Zwang und Druck auf SPD-Mitglieder, besonders in der ersten Zeit nach der Vereinigung, ebenso aber auch Anzeichen dafür, dass viele in der SPD diese Vereinigung wollten.« Biskys diplomatische Schlussfolgerung: Der Jahrestag sei ein Anlass, jenen, die die Vereinigung »betrieben oder unterstützten«, und jenen, die sich ihr »verweigerten oder widersetzten«, Respekt zu zollen.

Neu ist, dass Zimmer und Pau noch eine symbolträchtig verklausulierte Entschuldigung hinzugefügt haben. Die aber ergibt keinen Sinn. Denn wenn es 1946 tatsächlich so gewesen wäre, wie sie behaupten, gäbe es nichts zu entschuldigen. Was soll's, es ging ihnen nicht um historische Aufarbeitung, sondern um eine Demutsgeste in Richtung SPD, um die Demonstration ihrer Koalitionsbereitschaft.

In der taz bezeichnete Christian Semler die Ausführungen der beiden ehemaligen FDJ-Funktionärinnen als »öffentliche Buße in Schrumpfform«. Sich für eigene Untaten entschuldigen zu müssen, könne schmerzhaft sein, ganz anders sähe es jedoch aus, wenn man sich für etwas entschuldige, wofür man - wegen der Gnade der späten Geburt - gar nicht verantwortlich ist. »Und am besten läufts, wenn nahezu alle ursprünglich Beteiligten tot sind und der Rest sich nicht mehr erinnern kann«, so Semler. Und für die gibt es dann einen Blumenstrauß. Wahrscheinlich rote Nelken.


© Pascal Beucker. Alle Rechte an Inhalt, Gestaltung, Fotos liegen beim Autor. Direkte und indirekte Kopien, sowie die Verwendung von Text und Bild nur mit ausdrücklicher, schriftlicher Genehmigung des Autors.