11.07.2001

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Jungle World

*   Naziline am Rhein
Von Pascal Beucker

In Düsseldorf können sich Neonazis sicher fühlen. Derzeit droht die Justiz dem Opfer eines Nazi-Angriffs mit Haft.

Der 18. Juli könnte ein unangenehmer Tag für Christian Happ werden. Dann soll der 27jährige Student zur Vernehmung vor den Richter treten. So jedenfalls will es die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft. Happ soll gezwungen werden, den Namen eines Beteiligten an einem Überfall von Nazi-Skinheads am 13. Juni vor der Studentenkneipe »Tigges« zu nennen. Staatsanwalt Johannes Mocken gibt sich entschlossen: »Wenn er dann immer noch bei seiner bisherigen Auskunftsverweigerung bleibt, werden wir über Zwangsmaßnahmen bis hin zur Beugehaft beraten müssen.« Die Entschlossenheit hat nur einen kleinen Schönheitsfehler: Happ ist kein Nazi, sondern einer der Opfer des rechten Überfalls, ebenso wie derjenige, dessen Namen der Sprecher des Düsseldorfer Asta nicht nennen will.

Das Verhalten der Staatsanwaltschaft hält Happ für eine »Schweinerei«. Und fügt trotzig hinzu: »Dann sollen die mich halt in Beugehaft nehmen, ich gebe den Namen nicht preis.« Er hat gute Gründe, denn bei dem Unbekannten handelt es sich um einen Journalisten, der seit längerem unter Pseudonym über die Neonazi-Szene in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt berichtet. Er will seine Identität nicht preisgeben, da er Racheakte aus der rechten Szene befürchtet. Seine Rechtsanwältin hat jedoch angeboten, dass ihr Mandant zu einer »Quellenvernehmung« zur Verfügung stehe. Aber die Staatsanwaltschaft lehnt ab. Es gebe »keine Basis für eine Vertraulichkeitszusage«, da eine »konkrete Bedrohung von Leib und Leben nicht erkennbar ist«, erklärte Mocken der Jungle World.

Bereits der rechte Angriff in der Nacht zu Fronleichnam lässt erhebliche Zweifel an dieser Ansicht aufkommen. Nach einem Handgemenge stach der Haupttäter Sven R., ein stadtbekannter Nazi-Skin, zu: Happ trafen Messerstiche in den Oberarm und in die Schulter, zwei weitere Opfer wurden durch Stiche in den Rücken schwer verletzt. Bei seiner polizeilichen Vernehmung hat Sven R., der inzwischen unter Auflagen aus der Untersuchungshaft entlassen worden ist, die Tat gestanden. Keine konkrete Bedrohung von Leib und Leben?

Der 18jährige Sven R. gehört einer Skinhead-Clique an, die seit einiger Zeit im Düsseldorfer Süden ihr Unwesen treibt. Unter anderem soll sie im September vergangenen Jahres die Schaufensterscheibe eines linken Buchladens eingeschlagen haben. Enge Verbindungen unterhält die Gruppe zur Freien Kameradschaft Düsseldorf, die sich zu den »Grundsätzen der nationalsozialistischen Revolution« bekennt und bei fast allen überregionalen Neonaziaufmärschen der letzten Jahre vertreten war. Deren Anführer Sven Skoda betreibt das Nationale Infotelefon Rheinland, dem der Verfassungsschutz bescheinigt, »eines der meist abgehörten« seiner Art zu sein. Außerdem fungiert er als verantwortlicher Redakteur des Naziblatts Düsseldorfer Beobachter.

Gute Kontakte haben die Nazi-Skins um Sven R. auch zu den Jugendoppositionsstammtischen um den ehemaligen Hamburger JN-Landessprecher Jan Zobel - zu dessen Leidwesen. Denn der gebürtige Südafrikaner, Redakteur der Rechtspostille Düsseldraht und Geschäftsführer des Nazirock- und Skinheadmusikverlages Creative Zeiten will ebenso wie dessen Mehrheitsgesellschafter Torsten Lemmer nicht mehr direkt mit Schmuddelnazis in Verbindung gebracht werden, sondern nur noch an ihnen verdienen. Immerhin hält die Musikfirma die Rechte an mehr als 100 Produktionen bekannter Skinheadbands wie Kraftschlag, Sturmwehr und 08/15 und verlegt das rechtsextreme Hochglanz-Musikmagazin Rocknord. Den umtriebigen früheren Störkraft-Manager und ehemaligen Fraktionsgeschäftsführer der Düsseldorfer Rep-Abspaltung Freie Wählergemeinschaft Lemmer soll seine Firma zum Millionär gemacht haben.

Gesellschaftliche Anerkennung hat ihm und Zobel das jedoch nicht eingebracht, nur die Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Ein unbefriedigender Zustand gerade für den 31jährigen Lemmer, der seit Jahren von einer glanzvollen Rückkehr auf die offizielle politische Bühne Düsseldorfs träumt und 2004 in den Stadtrat einziehen will. Dem amtierenden CDU-Oberbürgermeister Joachim Erwin - der bei einer Gedenkveranstaltung an die Reichspogromnacht im Rathaus auch schon mal an die »Arier, die helfen wollten«, erinnert - hat er bereits eine Liebeserklärung per CD zukommen lassen: »Erwin - Du und ich für immer.«

Nachvollziehbare Verbindungen zur Glatzenszene stören da empfindlich. Andere Kontakte sind hilfreicher: Zum Beispiel die zu Christoph Schlingensief. Der Regisseur verpflichtete Lemmer, Zobel und drei weitere ihres Clans als vermeintliche »Nazi-Aussteiger« für sein naziline. com/Hamlet-Theaterprojekt in Zürich und verschaffte ihnen so Zugänge, von denen sie bislang nur träumen konnten. Während Lemmer im Düsseldorfer Rathaus immer noch Hausverbot hat, führte ihn der grüne Bundestagsfraktionschef Rezzo Schlauch begeistert durch den Berliner Reichstag.

Inzwischen haben Lemmer, Zobel und Schlingensief auch noch ein »Aussteigerprojekt« gegründet: Rein e.V. Das lässt sogar das Nationale Infotelefon Hamburg (NIT) jubeln. Voller Lob schrieb der NIT-Organisator und ehemalige FAP-Funktionär André Goertz: Im Gegensatz zum Aussteigerprogramm von Bundesinnenminister Otto Schily und dem Exit-Projekt setze Rein nicht »auf Verrat«, sondern wolle »'Kommunikationsbrücken' in die extreme Rechte bauen, um über den Dialog Rassismus und Gewalt einzudämmen«. Schöner hätte es die grüne Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer, die Rein ebenfalls unterstützt, nicht sagen können.

Endlich ein »Aussteigerprojekt« von dem auch Rechte profitieren und das sie bis in den Stadtrat bringen könnte. Für die Straßenarbeit bleiben schließlich noch Skins wie Sven R. übrig. Natürlich weiterhin mit der Musik von Lemmer & Co. im Ohr. Warum auch nicht? Die Rechte an dem Skinhead-Deutschlandlied, das Schlingensief zum Abschluss seiner Hamlet-Aufführung grölen lässt, gehören schließlich auch Lemmers Creative Zeiten. So hat jeder etwas davon.


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