17.10.2001

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Jungle World

*   Möllemanns Djihad
Von Pascal Beucker

Der Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft und stellvertretende FDP-Vorsitzende, Jürgen W. Möllemann, bezichtigt Israel des »Staatsterrorismus«.

Jürgen W. MöllemannWenn der Weltfrieden bedroht ist und der Kampf gegen den Terrorismus geführt werden muss, darf Jürgen W. Möllemann nicht fehlen. Kurz nach den Anschlägen von New York und Washington glänzte er mit dem Vorschlag, Personen, die in den oberen Etagen von Wolkenkratzern arbeiten oder wohnen, mit Rettungsfallschirmen auszustatten. Auch den Job als Bundesaußenminister würde der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende nicht ausschlagen. So übt er sich derzeit auf dem internationalen Parkett und bereist für zwei Wochen den Nahen Osten: von Saudi-Arabien über die Vereinigten Arabischen Emirate und den Iran bis nach Turkmenistan.

In der Region kennt sich Möllemann aus, ist er doch seit fast 20 Jahren Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft (DAG). Er weiß, was seine arabischen Gastgeber von ihm erwarten. Unmittelbar vor seinem Abflug verkündete er, dass es für ihn noch einen anderen Schurkenstaat außer Afghanistan gibt: Israel. Denn der jüdische Staat betreibe »Staatsterrorismus«. Es könne doch nicht sein, »dass die Regierung Scharon eine Tötungsliste mit den Namen hochrangiger PLO-Repräsentanten zusammenstellen und diese Menschen auf offener Straße liquidieren lässt«. Über die palästinensischen Selbstmordattentäter verliert er indes kein Wort.

Stattdessen stellt Möllemann Forderungen an Israel. Es habe sich auf seine Grenzen von 1967 zurückzuziehen und müsse die besetzten Gebiete »frei machen für die Palästinenser«, die Golan-Höhen müssten an Syrien zurückgegeben und Ost-Jerusalem solle zur Hauptstadt eines Palästinenserstaates werden. Forderungen hat er auch an die Bundesregierung. Sie dürfe nicht länger einseitig für Israel Partei ergreifen. Deutschland habe stets das Existenzrecht Israels bekräftigt. »Vom Recht des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung in einem eigenen Staat war jedoch nie die Rede«, meint Möllemann.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland forderte die FDP umgehend auf, sich von ihrem stellvertretenden Vorsitzenden zu distanzieren. Möllemann habe eine »tendenziöse, einseitige und sachlich unrichtige Bewertung« vorgenommen. Es sei nicht hinzunehmen, dass Israel das Recht abgesprochen werde, sich gegen Gewaltakte von Selbstmordkommandos zu wehren. Aus FDP-Kreisen verlautete zwar, Möllemanns Äußerungen seien im Präsidium der Partei auf Unverständnis gestoßen, doch auf eine öffentliche Erklärung verzichten die Liberalen. Aus gutem Grund: Während der ehemalige Außenminister Klaus Kinkel den Vorwurf des »Staatsterrorismus« als »falsch und unberechtigt« bezeichnete, sprangen andere Möllemann bei. So erklärte der schleswig-holsteinische Landtagsfraktionsvorsitzende Wolfgang Kubicki: »Abgesehen davon, dass Klaus Kinkel so gut wie noch nie die Position der gesamten FDP beschrieben hat, halte ich seine Auffassung für grundlegend falsch.«

Distanziert haben sich allerdings inzwischen drei der vier Vizepräsidenten der DAG. Die Äußerungen Möllemanns seien seine persönliche Meinung und »geben nicht die Meinung des Präsidiums der Deutsch-Arabischen Gesellschaft wieder«, erklärten die Bundestagsabgeordneten Joachim Hörster (CDU), Rudolf Kraus (CSU) und Christoph Moosbauer (SPD). Auch wenn die aktuelle Politik Israels »sehr viel mehr als früher kritisch hinterfragt und kommentiert werden« könne und müsse, sei »eine verbale Entgleisung wie die Gleichstellung der israelischen Regierung mit Terrorregimen« unangebracht und diskreditiere die Arbeit der DAG.

Sonderbar ist nur, dass ihnen erst jetzt Bedenken gegen die »verbale Entgleisung« ihres Präsidenten kommen. Bereits Anfang August erklärte Möllemann in einem Rundfunkinterview, die Regierung Sharon betreibe »erklärten Staatsterrorismus, der durch nichts zu rechtfertigen ist«. Einen Monat zuvor attackierte er den Zentralrat der Juden, der in Zeitungsanzeigen gegen den Besuch des syrischen Diktators Bashir Al Assad in Deutschland protestiert hatte. Assad, der kurz zuvor die Israelis als schlimmere Rassisten als die Nazis bezeichnet hatte, arbeite »bewusst mit Abziehbildern des Hasses, religiösen Vorurteilen und antisemitischen Klischees«, kritisierte der Zentralrat.

Möllemann erwiderte: »Was wäre aber wohl passiert, wenn ich als Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft Ariel Sharon in Anzeigen zur Begrüßung mit seiner Rolle bei den Massakern von Sabra und Shatila, mit seinem die Gewalt bewusst anfachenden Besuch auf dem Tempelberg konfrontiert hätte?! Herr Sharon gefährdet den Nahost-Friedensprozess meines Erachtens gewiss mehr als Präsident Assad.«

Nein, davon distanzierte sich der DAG-Vorstand nicht. Warum auch, gehören antiisraelische »Entgleisungen« doch zum Repertoire der DAG, die sich als Scharnier zwischen der deutschen Wirtschaft und den arabischen Ländern versteht und »die Errichtung eines souveränen palästinensischen Staates« als eines ihrer wesentlichen Vereinsziele bezeichnet. So hetzt der seit über 30 Jahren amtierende Generalsekretär des Lobbyverbandes, Harald M. Bock, immer wieder unwidersprochen gegen Israel. Im DAG-Rundbrief vom 10. Januar 1999 protestierte Bock gegen die Militäraktionen der USA und Großbritanniens gegen den Irak Ende 1998. Es sei nicht der Irak, sondern Israel, »das das Land dreier Nachbarstaaten besetzt, ihnen lebenswichtiges Wasser abgräbt, als Kleinstaat ABC-Waffenarsenale angelegt hat, abgeschlossene Verträge nicht einhält, UN-Beschlüsse missachtet, dem Atomwaffensperrvertrag nicht beitritt und in Kerkern vertragswidrig politische Gefangene spezialbehandelt«.

Nach den Verhandlungen in Camp David schrieb er am 4. August 2000: »Wie viel Selbstentäußerung will Amerika den Palästinensern noch zumuten? M.W. wurde nicht einmal über Wiedergutmachungszahlungen der Landnehmer an die Vertriebenen verhandelt. Vielleicht ein interessantes neues Betätigungsfeld für versierte New Yorker Anwälte?« Bock weiß, wie Israel beizukommen ist: »Nur die Nadelstiche der Hisbollah« hätten bewirkt, dass sich Israel aus dem Südlibanon zurückgezogen habe. »Welch andere Lehre soll man hieraus ziehen als die, dass Israel nur der Gewalt weicht?«

Während wortreich die einzige Demokratie im Nahen Osten attackiert wird, findet sich in DAG-Publikationen und -Stellungnahmen grundsätzlich keine Kritik an der palästinensischen Autonomiebehörde oder an den arabischen Staaten. Das wäre auch nicht opportun. So gehören dem 34köpfigen DAG-Beirat nicht nur diverse deutsche Unternehmer und der notorische Peter Scholl-Latour an. Kein arabisches Regime hat es sich nehmen lassen, einen Vertreter zu entsenden. Der Botschafter Saudi-Arabiens sitzt hier ebenso wie der Sekretär des Volksbüros der Sozialistischen Libysch-Arabischen Volksdschamahirija. Auch Abdallah Frangi darf als »Botschafter Palästinas in Bonn« nicht fehlen.

Besonders stolz ist die DAG auf ihren Ehrenpräsidenten. Sheikh Abdulaziz Abdullah Al-Sulaiman, einen ehemaligen stellvertretenden Minister für Erdöl und Finanzen im islamistisch-absolutistischen Königreich Saudi-Arabien. Über die Menschenrechtssituation in dem Scharia-Staat, der ersten Etappe seiner Nahost-Reise, verlor Möllemann selbstverständlich kein Wort.


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