31.10.2001

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Jungle World

*   Schläfer des Kaplans
Von Pascal Beucker

In der vorvergangenen Woche wurde ein Mitglied des Kölner »Kalifatstaates« verhaftet, das Utensilien für den Djihad mit sich führte.

Die Maschine der »Iran Air« auf dem Frankfurter Flughafen war bereits abflugbereit, als Beamte des Bundesgrenzschutzes zum Platz von Harun Aydin kamen. Im Gepäck des Kölner Medizinstudenten hatten sie Ungewöhnliches entdeckt: eine Sturmmaske, einen ABC-Schutzanzug, Tarnkleidung und Materialien zur Herstellung eines Sprengsatzzünders. Nach Angaben der Bundesanwaltschaft hatte er außerdem noch eine CD-Rom mit einem Ausbildungsprogramm für so genannte Gotteskrieger bei sich.

Nun sitzt der 29jährige in Darmstadt-Weiterstadt in Untersuchungshaft. Die Bundesanwaltschaft und das Bundeskriminalamt ermitteln wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und der Anleitung zu schweren Straftaten wie Mord und Totschlag. Haben die deutschen Sicherheitsbehörden mit der Festnahme Aydins am 17. Oktober einen »Schläfer« gefasst?

Für Aydins Anwalt, Michael Murat Sertsöz, handelt es sich um absurde Vorwürfe. Aydin, ein zweifacher Familienvater, sei mit Übergepäck gereist und habe deswegen die Kofferlast mit einem anderen Fluggast geteilt. Der habe Aydin offenbar die Tasche mit dem brisanten Inhalt untergeschoben. Der Flakon mit einer quecksilberartigen Flüssigkeit, die nach Ansicht der Bundesanwaltschaft zur Herstellung eines Zündmechanismus für einen Sprengkörpers gebraucht werden kann, gehöre allerdings tatsächlich seinem Mandanten. Aber das Parfümfläschchen sei nur ein harmloser Talisman aus der Türkei. Und der ABC-Schutzanzug sei »bestenfalls ein Regenmantel«.

Sicherlich gehöre Aydin auch der beschlagnahmte Laptop samt CDs mit Szenen vom »Heiligen Krieg« in Tschetschenien. Trotzdem hält der Anwalt die Anschuldigungen für eine »sehr wackelige Konstruktion«. Mit Tarnanzug und CD-Anleitung in den »Heiligen Krieg« nach Afghanistan? »Das wäre so dumm, das ist nicht vorstellbar«, meint Sertsöz. Schließlich sei Aydin »doch allen Behörden bekannt.«

Das stimmt, denn Harun Aydin ist ein führendes Mitglied des »Kalifatstaats« Metin Kaplans. Er ist der Schwippschwager des selbst ernannten Kölner Kalifen, erstellt die Verbandszeitung Ümmet-i Muhammed und stand im vergangenen Jahr gemeinsam mit Kaplan vor dem Staatsschutzsenat des Düsseldorfer Oberlandesgerichts (OLG). Während Aydin vom Vorwurf des Aufrufs zur Ermordung eines Abtrünnigen freigesprochen wurde, verurteilte das Gericht Kaplan zu einer Haftstrafe von vier Jahren und seinen mitangeklagten Schwager Hasan Basri Gökbulut zu drei Jahren Haft. Sie hatten in Ümmet-i Muhammed und auf zwei Veranstaltungen eine Todesfatwa gegen den »Gegenkalifen« Halil Ibrahim Sofu ausgesprochen. Der Berliner Arzt war daraufhin am 8. Mai 1997 in Berlin-Wedding ermordet worden. Nachdem der Bundesgerichtshof in Karlsruhe am vergangenen Donnerstag die Revisionsanträge Kaplans und Gökbuluts als unbegründet zurückwies, sind die Urteile gegen die beiden rechtskräftig.

Den damaligen Düsseldorfer Prozess bezeichneten Kaplans Anhänger als »Holocaustversuch gegen die Religion und die Muslime«. Nach Ansicht Kaplans sind weltliche Gesetze allerdings ohnehin nur »wie eine Wischwegtafel«. Gökbulut war bereits während der Verhandlung untergetaucht. Er wird noch mit einem weiteren Mord in Verbindung gebracht: Seine Ehefrau starb durch einen Genickschuss. Sie war vor ihrem Mann in ein Frauenhaus geflüchtet und soll gedroht haben, Interna der Organisation zu verraten.

Kaplan hofft, Ende November nach der Verbüßung von zwei Dritteln seiner Strafe vorzeitig aus der Haft entlassen zu werden. In der neuesten Ausgabe von Ümmet-i Muhammed versucht sich der 48-Jährige vom Terrorismus zu distanzieren, indem er an einen Text seiner Gruppe von 1995 erinnert: »Ein Muslim ist niemals ein Terrorist, und ein Terrorist ist niemals ein Muslim! Denn beide sind zwei verschiedene Angelegenheiten, die einander zuwiderlaufen!«

Kaplan ist nicht der einzige Repräsentant des »Kalifatstaats«, der zurzeit eine Haftstrafe verbüßt. Muntasir-billah, mit bürgerlichem Namen Bernhard Falk, wurde vom Düsseldorfer OLG im September 1999 zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt. Das Gericht befand ihn für schuldig, zusammen mit einem Mitangeklagten als so genannte Antiimperialistische Zelle (AIZ) Sprengstoffanschläge und Mordversuche in vier Fällen begangen sowie den Mord an dem SPD-Politiker Freimut Duve verabredet zu haben. Heute ist Falk ein Anhänger Kaplans und schreibt aus dem Gefängnis Briefe an seine Glaubensbrüder: »Möge Allah, Subhanahu wa Ta'ala, unseren Kalifen beschützen und unserer Bewegung eine dynamische Weiterentwicklung zuteil werden lassen!«

Entstanden ist die Kaplan-Gruppe 1983. Cemaleddin Kaplan, der Vater Metins und langjährige Mufti von Adana, brach mit dem türkischen Islamistenführer Necmettin Erbakan und dessen deutschem Ableger Milli Görüs (Jungle World, 44/01). Während Erbakan, der seinen Weggefährten 1981 in die Bundesrepublik geschickt hatte, auf den Marsch durch die Institutionen und eine schrittweise Islamisierung setzte, propagierte Kaplan die gewaltsame Einführung eines Gottesstaates in der Türkei.

Am 13. August 1983 verkündete Kaplan, der zuvor zwei Jahre Vorsitzender der Fatwa-Kommission von Milli Görüs gewesen war, mit einer Grundsatzpredigt seine Abspaltung von der Organisation. Er gründete den Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e. V. (ICCB), den er 1992 in Islamischer Bundesstaat Anatolien (AFID) umbenannte. Zwei Jahre später proklamierte er den »Kalifatstaat«.

Ende Oktober 1998 vereitelten türkische Sicherheitskräfte zwei Sprengstoffanschläge auf eine Moschee in Istanbul und auf das Atatürk-Mausoleum in Ankara, die von der Kaplan-Gruppe geplant gewesen sein sollen. 25 Personen wurden festgenommen, unter ihnen auch aus der Bundesrepublik angereiste Anhänger des »Kalifatstaats«. Ihnen wird vorgeworfen, ein Privatflugzeug gechartert zu haben, um es anlässlich der 75-Jahr-Feier der Republikgründung in einem Selbstmordattentat auf das Mausoleum zu stürzen.

Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes gab es auch Kontakte der Kaplan-Gruppe zu Ussama bin Laden. Mitte der neunziger Jahre soll es mindestens ein Treffen in Afghanistan gegeben haben. In Ümmet-i Muhammed wurde 1997 auch über ein Zusammentreffen von Kaplans Leuten mit Taliban-Führern berichtet. 1998 soll es zu einem Gegenbesuch des Europavertreters der Taliban bei Kaplan gekommen sein.

Mit der Verhaftung Aydins, der seit der Inhaftierung Kaplans vertretungsweise die radikale islamistische Vereinigung türkischer Sunniten leiten soll, dürfte der »Kalifatstaat« seiner Auflösung einen Schritt näher gerückt sein. Als Bundesinnenminister Otto Schily seine Pläne zur Abschaffung des Religionsprivilegs im Vereinsgesetz präsentierte, erwähnte er die Kaplan-Truppe als exemplarisches Beispiel für zu verbietende extremistische Vereinigungen, »die sich als Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften tarnen«. In der Selbstdarstellung des »Kalifatstaats« heißt es: »Ein jeder von uns ist ein freiwilliger Soldat, ein natürlicher Stab der islamischen Armee.«


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