05.12.2001

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Jungle World

*   Immer leise treten
Von Pascal Beucker

Von Dieter Kastrup ist keine Arschloch-Affäre zu erwarten. Der neue Berater von Bundeskanzler Gerhard Schröder hat sein Temperament im Griff und wartet auf die Rente.

Gerhard Schröder handelte kurz entschlossen. Nur einen Tag nach der Demission Michael Steiners präsentierte der Bundeskanzler auf dem Nürnberger SPD-Parteitag am Mittwoch vergangener Woche dessen Nachfolger. Der Karrierediplomat Dieter Kastrup wird am 1. Januar 2002 neuer außen- und sicherheitspolitischer Berater im Bundeskanzleramt.

Dabei folgte Schröder offensichtlich der Maxime Konrad Adenauers: »Keine Experimente!« Auf den Lautsprecher Steiner folgt mit Kastrup ein altbewährter Leisetreter. Er wird zwar im kommenden Jahr sein berufliches Verfallsdatum erreichen, aber weiter denkt der Kanzler zur Zeit ohnehin nicht. Bis zur Bundestagswahl soll Ruhe herrschen an der Heimatfront: keine Affären und keine bösen Schlagzeilen mehr.

Es war auch zu blöd. Einen deutschen Oberfeldwebel zu beschimpfen und Kaviar zu bestellen, macht sich generell nicht gut. Aber in Kriegszeiten gilt so was beinahe schon als Fall von aktiver Wehrkraftzersetzung. Michael Steiner hatte Glück, dass ihn die Entgleisung nur das Amt kostete.

Schon am Abend vor der ersten Bild-Schlagzeile (»Kanzler, entlassen Sie diesen Mann!«) war Steiners Schicksal besiegelt. Nur eine Frage hatte Schröder an den Journalisten, der ihm am Sonntag vor zwei Woche verriet, dass das Springer-Blatt Steiners »Arschloch-Affäre« auf die Titelseite bringen würde: »Überm Bruch?« Gemeint war die am Kiosk sichtbare obere Hälfte des Boulevardblatts. Mit der positiven Antwort war klar: Bild rüstet zur Kampagne. Also höchste Zeit zum Handeln; Steiner war zum politischen Risiko geworden. Noch in der Nacht zum Montag verfasste der »Undiplomat« (Die Zeit) sein Rücktrittsschreiben.

Viele Personen waren in der kurzen Zeit der Unklarheit als Nachfolger Steiners im Gespräch: Wolfgang Ischinger, der deutsche Botschafter in den USA, Klaus Scharioth, Politischer Direktor im Auswärtigen Amt, Bernd Mützelberg, der Leiter der UN-Abteilung in Berlin, Hans Heinrich Schumacher, Kastrups Stellvertreter in New York, und sogar der abgehalfterte frühere Bundestagsabgeordnete Karsten Voigt, Juso-Vorsitzender in wilden Tagen und heute Amerika-Beauftragter der Bundesregierung.

Dass die Wahl auf den altgedienten Berufsdiplomaten Kastrup fiel, dürfte dem Sicherheitsbedürfnis des Kanzlers geschuldet sein. Unvorteilhafte und peinliche Auftritte wie die des als eitel und unberechenbar geltenden Cholerikers Steiner werden Schröder erspart bleiben.

Kastrup gilt als kühler Analytiker mit »guter Kinderstube« und ausgeprägtem Verhandlungsgeschick, der nicht zu sprunghaften Entscheidungen neigt, und er wird als freundlich, offen und umgänglich beschrieben. Im Gegensatz zu Steiner hat er keine ehrgeizigen Ambitionen mehr. Denn eigentlich bereitete sich der 64-Jährige in New York bereits auf die Rente vor: »Ich selbst komme wohl erst wieder nächstes Jahr nach Deutschland - wenn ich pensioniert werde«, ließ er noch im Oktober die Zeit wissen. Ein großer Vorteil Kastrups: Er ist vielseitig verwendbar. So leitet er zur Zeit nicht nur die Ständige Vertretung der Bundesregierung bei den Vereinten Nationen in New York, sondern steht gleichzeitig dem Kuratorium der Zwangsarbeiter-Entschädigungsstiftung »Erinnerung, Verantwortung, Zukunft« vor.

Kastrup ist ein Diplomat der alten Schule. Seinen jeweiligen Vorgesetzten stets treu ergeben und zumeist nur im Hintergrund wirkend, sind ihm persönliche und politische Extravaganzen fremd. Als Student engagierte sich der gebürtige Ostwestfale in der Evangelischen Studentengemeinde. Nach seinem Jurastudium trat er 1965 in den Auswärtigen Dienst ein. Er arbeitete in den bundesdeutschen Vertretungen in Rio de Janeiro und Teheran und war fünf Jahre lang an der deutschen Botschaft in Washington tätig. Ab 1980 leitete Kastrup das Referat des Auswärtigen Amtes in Bonn, das für »Berlin und Deutschland als Ganzes« zuständig war. Das Ende der sozial-liberalen Koalition in Bonn 1983 überstand das SPD-Mitglied unbeschadet.

1990 wurde er als Politischer Direktor an der Seite des damaligen Außenministers Hans-Dietrich Genscher Bonner Chefunterhändler des Zwei-plus-vier-Vertrages. 1991 ernannte ihn Genscher zum Staatssekretär. 1992 verhandelte er mit der chilenischen Regierung über die Auslieferung von Erich Honecker.

Einer größeren Öffentlichkeit wurde sein Name erstmalig im Herbst 1994 bekannt. Gegen Kastrup und den Nachfolger Genschers, Klaus Kinkel, wurden Strafanzeigen wegen wissentlicher Falschaussage erstattet. Sie hatten 1991 im Prozess vor dem Bundesverfassungsgericht um die Verfassungskonformität des Einigungsvertrages angegeben, die Sowjetunion habe seinerzeit die Unumkehrbarkeit der Enteignungen in der früheren Sowjetischen Besatzungszone zur Bedingung für ihre Zustimmung zur deutschen Wiedervereinigung erklärt. Dies hatte der damalige sowjetische Präsident Michail Gorbatschow später bestritten. Das Oberlandesgericht Karlsruhe wies die Strafanzeigen jedoch als unbegründet zurück.

Überhaupt war 1994 kein gutes Jahr für Kastrup. Helmut Kohl schickte ihn als Botschafter nach Rom, um einen eigenen Mann in der Spitzenposition im Auswärtigen Amt zu platzieren. 1996 zeitweilig als neuer Präsident des Bundesnachrichtendienstes im Gespräch, übernahm Kastrup erst 1998 als UN-Botschafter in New York wieder eine politisch bedeutende Position.

Nicht nur in den Umgangsformen unterscheidet er sich von seinem hemdsärmeligen Vorgänger Steiner. Mit der Berufung Kastrups habe sich Schröder »den Zusammenprall der Kulturen ins eigene Haus geholt«, orakelte bereits die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Denn Kastrup leide im Gegensatz zu Schröder und Steiner unter dem »Genscher-Reflex«. Dieser Reflex zeichne sich durch eine Rücksichtnahme auf die anderen großen europäischen Staaten aus, man trete lieber einen Schritt zurück als zu selbst- und machtbewusst zu agieren. Außerdem betrachteten die Genscheristen das militärische Instrument mit Skepsis. »Man lernte, Interessen nicht direkt, sondern indirekt zu verfolgen«, so die Sonntagsausgabe der FAZ. Dieser »Genscher-Stil« passe jedoch nicht zu Schröders Naturell.

Damit hat sie Recht. Trotzdem hat der Bundeskanzler mit Kastrup eine ausgesprochen kluge Wahl getroffen - gerade in Kriegszeiten, wenn gutes Benehmen gegenüber deutschen Soldaten zwar nicht kriegs- aber doch wahlentscheidend sein kann. Und danach geht Kastrup ohnehin in Rente.


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