Der islamistische
Kalifatsstaat von Metin Kaplan ist verboten worden.
Um sechs Uhr morgens am
vergangenen Mittwoch wurde Metin Kaplan in seiner Zelle im Düsseldorfer
Gefängnis Ulmer Höh die Verbotsverfügung überreicht, nur wenige
Minuten später begann die Großrazzia. In sieben Bundesländern
durchkämmten Polizeieinheiten über 200 Einrichtungen von Kaplans so
genanntem Kalifatstaat sowie Privaträume seiner Anhänger. In ganz
Deutschland waren 2 500 Polizisten bei »einer der größten
Polizeiaktionen der deutschen Geschichte« (Der Spiegel) im
Einsatz. Nur vier Tage ließ
sich Bundesinnenminister Otto Schily Zeit, um nach der Streichung des
Religionsprivilegs aus dem Vereinsgesetz den Kalifatstaat und 19
seiner Teilorganisationen zu verbieten. Schon bei der Vorstellung
seiner Pläne zur Gesetzesänderung am 5. September hatte Schily
keinen Zweifel daran gelassen, dass sie insbesondere den
Kaplan-Verband Hilafet Devleti betreffen würden. Der Kalifatstaat
richte sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung, gegen den Gedanken
der Völkerverständigung und gefährde die innere Sicherheit der
Bundesrepublik, begründete der Innenminister nun das von ihm
erlassene Verbot. Es sei notwendig, um die extremistischen Aktivitäten
des 1 100 Mitglieder starken Verbandes zu unterbinden. »Besonders
widerwärtig sind seine antisemitischen und antiisraelischen Tiraden«,
sagte Schily. In der Zentrale des
Verbandes am Niehler Kirchweg in Köln-Nippes wurden die Anhänger
Kaplans beim Morgengebet überrascht. Die Polizei ließ die 30
Anwesenden noch zu Ende beten, dann begann sie mit den Aufräumarbeiten.
Alles, was nicht niet- und nagelfest war, wurde in große Kartons
geladen: Büromöbel, Computer, auch das Brot der vereinseigenen Bäckerei
wurde sorgsam eingepackt. Unzählige Umzugslastwagen warteten. Sogar
der im Hof aufgebaute Döner-Spieß wurde mitgenommen.
Der Döner des
Kalifatstaats sei »der beste weit und breit«, meinte Harun Aydin
noch am 7. November. Damals hatte Aydin, der Mitte Oktober kurzzeitig
verhaftete und von der Bundesanwaltschaft als vermeintlicher »Top-Terrorist«
präsentierte Vertraute Kaplans, zur Pressekonferenz geladen. Zusammen
mit Ismael Binyasar, dem Sprecher des Kaplan-Verbandes, mühte sich
der 29jährige, gegen das drohende Verbot anzureden und die Vorwürfe
gegen den Kalifatstaat zu entkräften. Sie seien keine
staatsfeindlichen Extremisten, »wir waren friedlich, wir sind
friedlich und wir bleiben friedlich«, verkündete Aydin.
Die Vorwürfe, der
Kalifatstaat unterhalte Beziehungen zum Netzwerk al-Qaida von Ussama
bin Laden, seien »leer und haltlos«. »Wir haben keinen Kontakt zu
Ussama bin Laden«, betonte Aydin, der als inoffizieller
Stellvertreter Kaplans gilt. Doch es gab ihn, wie er einräumen
musste. Ende 1996 habe sich tatsächlich eine Delegation des
Kalifatstaats bei einem Besuch in Afghanistan »zufällig« mit bin
Laden getroffen. Dieses Treffen sei allerdings nicht im Auftrag des
Kalifen vereinbart worden und somit »nicht amtlich«. Auch ein
Gegenbesuch habe nicht stattgefunden. Es stimme allerdings, dass ein
Frankfurter Taliban-Vertreter eine »öffentliche Veranstaltung« des
Verbandes besucht hat.
So gut es ging,
versuchten Aydin und Binyasar auf der Pressekonferenz Offenheit zu
demonstrieren. Doch es fiel ihnen nicht leicht. Auf die Frage, was sie
denn von bin Laden hielten, antwortete Binyasar: »Wir gehen nicht
davon aus, dass Ussama bin Laden hinter den Anschlägen vom 11.
September steht.« Wie sich denn ihre Aussage, Terroristen könnten
keine Muslime sein, mit der Mitgliedschaft des wegen mehrfachen
versuchten Mordes zu 13 Jahren Haft verurteilten ehemaligen Aktivisten
der Antiimperialistischen Zellen (AIZ) Bernard Falk vertrage? »Wir
betreuen ihn nur als Glaubensbruder, seine Vergangenheit ist seine
Angelegenheit«, versicherte Aydin. Dem Vorwuf des Antisemitismus
entgegnete er: »Wir sind nicht antisemitisch, aber die Worte des
Propheten dürfen nicht geändert werden.« Binyasar machte kein
Geheimnis daraus, dass sein Verband auch weiterhin unbeugsam zu seinen
Auffassungen steht: »Prinzipiell ist der Islam nicht mit der
Demokratie vereinbar.«
Einen Monat später, am
Tag der Räumung, ist Binyasar nicht mehr so redselig. Er steht mit
einigen Glaubensbrüdern vor dem Hinterausgang der Räume des
Kalifatstaats in der Neusser Straße. Auch hier ist die Polizei
aufgezogen und ein Möbelwagen ist vorgefahren. Ob er nicht die Aktion
kommentieren wolle? »Ich sage nichts«, entgegnet Binyasar. Auch die
anderen bleiben wortkarg. Ihre Stimmung ist bedrückt.
Nur einer kann nicht
schweigen. »Das werdet ihr bezahlen!« ruft der Mann wutentbrannt in
Richtung der Einsatzkräfte. Er zeigt mit dem Finger in den Himmel. »Allah
sieht alles!« Am Abend ist der Kalifatstaat vollständig geräumt.
Stolz berichtet Kölns Polizeidirektor Winrich Granitzka, seine
Beamten hätten das Gelände »besenrein« verlassen.
Nicht abtransportieren
konnte die Polizei allerdings das Vereinsvermögen der radikalen
Islamisten. Denn das hat Kaplan längst in Sicherheit gebracht. Das
Geld - wohl mehrere Millionen Mark - soll bei der im niederländischen
Dordrecht eingetragenen Stichting Dienaar aan Islam (Stiftung Diener
des Islam) untergebracht worden sein. Zwar hat Schily auch diese
Organisation verboten, aber das Verbot gilt nur für die
Bundesrepublik. In den Niederlanden hat der Verband rund 200 Anhänger
und galt zuletzt als »nicht mehr sonderlich aktiv«. Der dortige
Verfassungsschutz fürchtet jetzt, dass sich das ändern könnte.
Möglicherweise wird
Kaplan jedoch weder mit dem verschobenen Geld etwas anfangen noch
jemals wieder seine Organisation führen können. Denn Innenminister
Schily ist entschlossen, den seit 1999 Inhaftierten so schnell wie möglich
abzuschieben. Vor einer Ausweisung müsse es nur die Zusicherung
geben, »dass die Türkei die Todesstrafe zumindest nicht vollstreckt«.
In dieser Woche trifft sich Schily deshalb mit seinem türkischen
Amtskollegen Rüstü Kazim Yücelen in Berlin.
Ein Vorbild für eine
solche Vereinbarung könnte der Fall des vor vier Jahren in Frankreich
verhafteten und anschließend an die Türkei ausgelieferten
Mafia-Bosses Alaattin Cakici sein. Damals verpflichtete sich die
Regierung in Ankara, den gesuchten Verbrecher nicht hinzurichten. Das
reichte aus Sicht der französischen Behörden als Garantie aus.
In die Türkei will der
als politischer Flüchtling anerkannte Kaplan verständlicherweise auf
keinen Fall. Sprecher des Kalifatstaats haben angekündigt, alle
rechtlichen Mittel anzuwenden, um eine Aufhebung des Verbotes zu
erreichen und eine Abschiebung ihres Anführers zu verhindern. Die von
der Kölner Ausländerbehörde gegen Kaplan erlassene Ausweisungsverfügung
haben seine Anwälte bereits per Eilantrag angefochten.
Kaplan ist nicht der
einzige, dem die Abschiebung droht. Die Innenminister
Nordrhein-Westfalens und Bayerns, Fritz Behrens (SPD) und Günther
Beckstein (CSU), kündigten bereits an, die Ausländerbehörden würden
nun auch die Möglichkeit einer Abschiebung oder Ausweisung weiterer Führungskader
des Verbandes prüfen.
|