30.01.2001

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taz

*   Die Zeit arbeitet gegen die Ermittler
Von Pascal Beucker und Marcus Meier

Ein halbes Jahr nach dem Düsseldorfer Handgranatenanschlag fehlt von den Tätern jede Spur. Die Jüdische Gemeinde erhält seitdem verstärkt Drohbriefe und die Zahl der antisemitischen Straftaten ist stark angestiegen. Das verunsichert.

Nein, die Opfer des Handgranatenanschlags habe er bisher nicht besucht, sagt der Düsseldorfer Oberbürgermeister Joachim Erwin. Er wolle erst einmal abwarten, bis alle Opfer genesen seien. Dann, so verspricht der Christdemokrat, werde er sie "in einem Aufwasch empfangen".

Ein halbes Jahr ist inzwischen seit der blutigen Tat vergangen, die eine bundesweite Debatte über die Gefahr von rechts auslöste. Am 27. Juli um 15.05 Uhr detonierte eine umgebaute Handgranate am S-Bahnhof Düsseldorf-Wehrhahn und traf zehn Schüler einer nahe gelegenen Sprachschule im Stadtteil Flingern.

Sie alle - sieben Frauen und drei Männer im Alter zwischen 24 und 50 Jahren - sind Kontingentflüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion. Sechs von ihnen sind jüdischen Glaubens. Zwei der damals Verletzten liegen immer noch im Krankenhaus. Tatjana L. hatte den Anschlag nur knapp überlebt. Bei der Detonation wurde der schwangeren Ukrainerin ein Bein abgerissen und sie wäre beinahe am Tatort verblutet. Ihr ungeborenes Baby tötete ein Bombensplitter im Mutterleib. Michail L. wurde im Splitterhagel der Bauch aufgerissen. Der damals 28-jährige erlitt schwerste Bauch- und Brustkorb-Verletzungen. Doch auch sie sind mittlerweile auf dem Weg der Genesung und werden nicht wie zunächst befürchtet auf den Rollstuhl angewiesen sein.

Die anderen Opfer haben keine bleibenden körperlichen Schäden davongetragen. Sie haben allerdings mit großen psychischen Problemen zu kämpfen und werden von Sozialarbeitern der Jüdischen Gemeinde betreut.

War es ein gezielter antisemitischer Anschlag? Oder die Tat eines Verrückten, die jeden hätte treffen können? Müssen die Täter vielleicht ganz woanders gesucht werden? Bis heute tappen die Ermittlungsbehörden völlig im Dunkeln - trotz einer ausgesetzten Belohnung von 120.000 Mark für sachdienliche Informationen, 1.400 Hinweisen aus der Bevölkerung und 304 ausgewerteten Spuren. Ebenso erfolglos blieb der Versuch, mit Phantombildern zwei mögliche Zeugen ausfindig zu machen.

"Wir haben keinerlei neue Erkenntnisse", sagt resigniert der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Michael Schwarz. Weiterhin könne ein fremdenfeindlicher und rechtsradikaler Hintergrund nicht ausgeschlossen werden. Aber auch kein anderer.

Mittlerweile arbeiten nur noch "eine Hand voll" Polizisten in der "Sonderkommission Ackerstraße". In Hoch-Zeiten waren es bis zu 80. Ein größerer Personalaufwand sei zur Zeit nicht zu rechtfertigen, so Polizeisprecher André Hartwich. "Aber wenn die Sachlage sich ändert, kann die Zahl schnell wieder hochgefahren werden." Doch die Zeit arbeitet gegen die Ermittler.

"Das Nullergebnis trotz des Riesenaufwandes bei den Ermittlungen betrübt uns natürlich", sagt Michael Szentei-Heise von der Düsseldorfer Jüdischen Gemeinde. Er sei jedoch der festen Überzeugung, dass die Ermittlungsbehörden alles getan hätten, um den Fall aufzuklären. In der Gemeinde sei inzwischen wieder "business as usual" eingekehrt. "Trotz der hohen Sicherheitsstandards kann nicht jedes Gemeindemitglied permanent beschützt werden", sagt der 46-Jährige. Man müsse halt mit der Angst leben. Die Jüdische Gemeinde Düsseldorf verzeichnet seit dem Anschlag einen drastischen Anstieg von Drohbriefen. Auch die Zahl antisemitischer und fremdenfeindlicher Straftaten in Nordrhein-Westfalen ist seitdem stark angestiegen. "Das dürfte zum Teil auch auf eine Fanalwirkung der Detonation und die sich daran anschließende Schwerpunktsetzung der Medienberichterstattung zurückzuführen sein", so ein Sprecher des Landeskriminalamtes (LKA).

181 antisemitische Straftaten weist die Statistik des LKA für das Jahr 2000 aus - davon über 110 im zweiten Halbjahr. Die Tatverdächtigen sind in der Regel Männer, die jünger als 30 Jahre alt sind. Insgesamt habe sich das Klima in den jüdischen Gemeinden in den letzten Monaten geändert, berichtet Paul Spiegel, der Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland. "Die Menschen sind ängstlicher und vorsichtiger geworden." Selbstverständlich hoffe er, dass die schreckliche Tat doch noch aufgeklärt werden kann. "Damit die Spekulation um die Täter endlich ein Ende hat."


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