24.03.2001

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taz

*   Neue Runde im "Zeitungskrieg"
Von Pascal Beucker, Steffen Grimberg und Frank Überall

Die flächendeckende Versorgung mit Gratiszeitungen steht unmittelbar bevor - zumindest in Deutschlands Großstädten. Schibsted und Springer bauen Zentralredaktionen auf, und bei den klassischen Regionalblättern steigt der Innovationsdruck.

Der Coup ist gelungen: Mit ungläubigen Augen standen gestern Morgen die Strategen der Verlage Schibsted (20 Minuten Köln) und DuMont Schauberg (Kölner Morgen) vor den Verteilern der dritten Gratiszeitung Kölns. Denn was ihnen da in die Hand gedrückt wurde, erinnerte so gar nicht mehr an das bieder-boulevardeske Billigblättchen, mit dem der Axel Springer Verlag bisher vor allem seiner eigenen Kölner Ausgabe der Bild-Zeitung Konkurrenz machte. Köln extra heißt ab sofort nur noch extra, selbst die Domspitzen sind aus dem Logo verbannt worden. Und dort, wo bisher altbacken "Das Kölner Wetter heute" präsentiert wurde, steht nun "information is power": Der Kölner Zeitungskrieg wird ab sofort aus der Hamburger Springer-Zentrale geführt.

Der Verlag hat dazu den ehemaligen Max-Chefredakteur Jan-Eric Peters an den Rhein geschickt. Auftrag: "Die jüngste Tageszeitung Deutschlands" machen, ausgerichtet auf die Zielgruppe der 15- bis 30-Jährigen. Seine neue extra will die "erste Zeitung für die SMS-Generation" sein, sagt Peters. Das Redaktionsteam wurde konsequent auf "jung-dynamisch" eingeschworen: Infotainment statt Information - das Rezept, mit dem Peters schon bei Max Erfolg hatte. Seine Mannschaft besteht vor allem aus Volontären, die zuvor in einer Geheimaktion direkt von der Springer-Journalistenschule zum Blattmachen abgeordnet wurden. Auch neues Geld steht zur Verfügung: Durch eine Anzeigenkombi mit der Bundesausgabe von Bild wurden neue Kunden zur Finanzierung des Projekts gefunden.

Konsequent zweigleisig

Springers Strategie für den Zeitungsmarkt der Zukunft ist konsequent zweigleisig: Einserseits bezeichnet der Verlag Gratisblätter offiziell weiterhin als "grundsätzlich sittenwidrig" und will den anhängigen Rechtsstreit mit der norwegischen Schibsted-Gruppe in Sachen 20 Minuten bis in die letzte Instanz durchfechten. Andererseits sind jetzt in Hamburg die Würfel für den eigenen ganz großen Einstieg ins Umsonstgeschäft gefallen. Das relaunchte extra ist deutlich mehr als eine lokale "Abwehrmaßnahme" gegen 20 Minuten Köln: Das Konzept weist eindeutig auf Expansionspläne über Köln hinaus. "Mit extra wollen wir zeigen, dass wir jederzeit bereit sind, in anderen Städten auf den Markt zu gehen, wenn wir durch unsere Mitbewerber dazu gezwungen werden", wiederholt Peters zwar noch immer das bekannte "Erst die anderen"-Motto. Doch Gerüchte besagen, dass Springer in Wirklichkeit nicht mehr warten will. Möglicherweise soll extra schon in der kommenden Woche bundesweit an den Start gehen - vor allen anderen und vor allem vor Schibsted.

Der norwegische Medienkonzern, der mit seinen kostenlosen 20 Minuten den Kölner Pressemarkt Ende 1999 aufgemischt hatte, gerät so tatsächlich erst einmal ins Hintertreffen. Denn auch Schibsted arbeitet schon seit geraumer Zeit "mit Hochdruck" (Verlagssprecher Ekkehard Kuppel) an der Ausweitung des Blattkonzepts auf weitere deutsche Großstädte. In Berlin sind bereits erste Büroräume von einem Projektteam bezogen worden. "Nach und nach nehmen wir den Bezug des ganzen Gebäudes in Angriff", bestätigt Kuppel. Es gilt als offenes Geheimnis, dass an der Spree der bundesweite Hauptteil für künftige lokale 20-Minuten-Ausgaben erstellt werden soll.

Zudem steht offenbar auch 20 Minuten Köln kurz vor einem Relaunch, dem Springer nur zuvorgekommen ist: Durch extra werde der Wettbewerb nun "endlich ernsthaft betrieben", versuchte Norbert Spindler, Geschäftsführer von 20 Minuten Köln, gute Miene zum bösen Springer-Spiel zu machen. "Wir werden jetzt konzentriert unsere Pläne fortsetzen und zeigen, dass wir noch einige Überraschungen zu bieten haben."

Spindler geht davon aus, dass "bis Ende des Jahres Gratistageszeitungen in ganz Deutschland etabliert sein werden". In welchen Städten sich Schibsted platzieren will, hält der Verlag zwar noch immer unter Verschluss, im Internet hat er sich jedoch bereits für etliche Städte die entsprechenden Domain-Namen reservieren lassen - und das neben den zu erwartenden Metropolen Berlin, München und Hamburg auch sicherheitshalber gleich in Dresden, Stuttgart, Bonn, Düsseldorf und Aachen.

Dass die bundesweite Ausdehnung von Gratiszeitungen noch an Gerichtsurteilen scheitern könnte, glaubt inzwischen so recht niemand mehr, auch wenn neben Springer der Kölner Regionalverlag M. DuMont Schauberg ebenfalls bis zum Bundesverfassungsgericht mitziehen will. Denn im gerade laufenden Prozess vor dem Kölner Oberlandesgericht hatte DuMont bereits zur Prozesseröffnung Ende vergangener Woche eine herbe Niederlage einstecken müssen. Das Gericht wollte die Klage zum Verbot der Gratisblätter zunächst sogar abweisen, weil die Verlage nicht glaubhaft machen konnten, dass der Vertrieb von Gratiszeitungen wie Schibsteds 20 Minuten Köln zum Tod der freien Presse führe.

Und so bereitet sich auch DuMont auf den worst case vor. Notfalls will man anderen regionalen Verlagen, die von Gratiszeitungen überrascht werden, mit der Bildung eines "Netzwerks" helfen, heißt es aus dem Kölner Traditionsverlagshaus, das neben den Abozeitungen Kölner Stadt-Anzeiger, Kölnische Rundschau und Mitteldeutsche Zeitung (Halle) auch das Boulevardblatt Express publiziert. Wenn Schibsted oder Springer bundesweit Gratiszeitungen herausbrächten, "wären wir sicherlich gezwungen, mit regionalen Kollegen über ein ähnliches, regional vernetzbares Konzept nachzudenken", so Geschäftsführer Günter Kamissek. "Wir sprechen bereits darüber."

Druck von außen

"Die Gratisangebote werden den regionalen Verlegern erheblich einheizen", bestätigt der Medienforscher Günther Rager. Die angeblich dem Untergang geweihte kostenpflichtige freie Presse dürfte vom neuen Trend aber vielmehr profitieren: "Innovation bei klassischen Tageszeitungen findet höchstens im Schneckentempo statt", sagt Rager, schließlich herrsche in der saturierten Branche eher die Meinung: "Solange kein Druck von außen kommt und die Rendite stimmt, kann man mit Innovationen nur Fehler machen." Schibsted & Co. zwingen jetzt zum Umdenken: "Zeitungen, die demnächst mit einer Gratis-Konkurrenz leben müssen, werden sich viel schneller verändern als die, die in ihrem Verbreitungsgebiet weiterhin ein kostenpflichtiges Monopol haben."

Der wahre Innovationszwang für die 150-jährige Institution Tageszeitung kommt ohnehin erst noch: Vom "Megatrend Individualisierung" spricht Rager, der bisher viel zu wenig berücksichtigt werde: "Zeitung als Marke" müsse dringend viel weiter gedacht werden, um künftig neue Nutzer gezielt bedienen zu können. Vor allem in Sachen Online-Angebot ist das Gros der Verlage hinter seinen Möglichkeiten zurück geblieben: Zwar gebe es heute in der Tat fast keine Zeitung ohne Internetauftritt mehr, so Rager. Doch zu oft sei das alles nur "digitales Papier, mehr nicht". Interaktion, intensivere Kommunikation mit den Lesern empfiehlt der Wissenschaftler den Redaktionen, macht aber eher einen gegenläufigen Trend aus: "In einer Zeit, wo Selbstdarstellung immer wichtiger wird, verweigern sich viele der klassischen Tagszeitungen in hohem Maße."

Die Leser rächen sich auf ihre Art - und werden zu Nichtlesern. Demnächst hilft vielleicht schon der Griff zum Gratisblatt.


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