02.04.2001

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taz

*   Alle hören auf den Chef
Von Pascal Beucker

In NRW entmachten sich die SPD-Bezirke selbst. Damit Landeschef Müntefering als einzige Stimme sprechen kann. Nur spärliche Kritik zielte auf den Obergenossen.

Auf dem außerordentlichen Parteitag der nordrhein-westfälischen SPD brachte es Franz Müntefering am Samstag fertig, seine Genossen auf einen neuen Kurs einzustimmen. Die Mehrheit der 319 Delegierten votierte nach einem länger ausgehandelten Kompromiss für die Auflösung von vier Bezirken. Dies sei notwendig, sagte SPD-Landeschef Müntefering, damit die Landespartei in die Lage versetzt werde, künftig mit einer Stimme zu sprechen. Aufgelöst werden die Bezirke Ostwestfalen, Westliches Westfalen, Mittel- und Niederrhein; sie werden künftig von der Düsseldorfer Parteizentrale aus mitregiert.

Die SPD sei 137 Jahre alt geworden, "weil wir uns nie zufrieden gegeben haben mit dem Erreichen", hämmerte Müntefering, wie auch schon in den Monaten zuvor, eindringlich den Genossen ein. Eine Parteiorganisation sei kein Selbstzweck: "Wir müssen uns bewegen."

Die Genossen taten wie gefordert: Mit einer überraschend deutlichen Mehrheit unterstützte der Landesparteitag den Kurs Münteferings. Nur rund 40 Delegierte votierten gegen den Antrag der von ihm geleiteten Strukturkommission. Nun wird der SPD-Bundesvorstand in den kommenden Wochen über die Bildung eines einheitlichen Landesbezirks Nordrhein-Westfalen beschließen, der zum 1. Januar 2001 gegründet werden soll.

Dabei hatte Müntefering lange zittern müssen. Ausgerechnet sein Heimatbezirk Westliches Westfalen (WW), der 43 Prozent der Landesdelegierten stellt, war in den letzten Monaten gegen die geplante Parteireform Sturm gelaufen. Auch am Samstag sparten die Delegierten des mit knapp 100.000 Mitgliedern größten SPD-Bezirks der Bundesrepublik in der sechsstündigen Debatte nicht an Kritik. Sie warfen Müntefering den Abbau innerverbandlicher Demokratie vor. Die Partei brauche keine neuen Strukturen, sondern "mehr Leute wie Ute Vogt in der SPD von NRW", kritisierte Carsten Rudolph vom Unterbezirk Ennepe-Ruhr. Der Bundestagsabgeordnete und WW-Chef Joachim Poß forderte: "Wir wollen nicht nur Empfangsstation sein, sondern auch Sendestation."

Nachdem sich die anderen drei Bezirke bereits im Vorfeld mit Mehrheiten von bis zu 99 Prozent für die Selbstauflösung ausgesprochen hatten, waren das indes nur noch Rückzugsgefechte. Mehr als eine kleine Korrektur konnten die WWler nicht mehr herausholen: Im Gegensatz zu den ursprünglichen Vorstellungen der Parteiführung behalten die zukünftig zu "Regionen" ohne Personal- und Finanzhoheit zurückgestuften Bezirke das Recht, eigene Anträge auf den SPD-Bundesparteitagen zu stellen.

Nach diesem in der Mittagspause ausgehandelten Kompromiss fügte sich die Mehrzahl der WW-Delegierten ihrem Schicksal und stimmte der Reform zu. Die befürchtete Zerreißprobe blieb aus. Eindringlich hatte Ministerpräsident Wolfgang Clement zuvor appelliert: "Werft euer Herz über die Hürden." Denn: "Wer morgen zu Erfolgen kommen will, muss heute zu Reformen fähig sein."


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