04.12.2001

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taz

*   Grüne Basis bleibt - vorerst
Von Pascal Beucker

Nach Rostock befürchtete der größte Landesverband der Grünen in NRW Massenaustritte. Dazu ist es nicht gekommen, auch wenn sich Aktive zurückziehen.

Schlechte Zeiten für grüne Kriegsgegner. In Rostock stritten sie vehement und vergeblich gegen die Unterstützung einer deutschen Kriegsbeteiligung, ihre Homepage zieren Friedenstauben - und dann das: "Kriegstreiberinnen" haben Unbekannte in der vergangenen Woche an die Wand der Geschäftsstelle der Duisburger Grünen gesprüht, außerdem die Eingangstür mit mehreren Litern roter und gelber Farbe "verziert".

"Wir werden für Sachen in Haftung genommen, die wir explizit ablehnen", bemerkt verbittert Vorstandsmitglied Ingrid Fitzek. "Die Stimmung bei uns ist schon ziemlich deprimierend." Sie selber sei "noch in einem Abwägungsprozess", ob sie in der Partei bleiben wolle, sagt die ehemalige Landtagsabgeordnete.

Andere haben den schon abgeschlossen. 270 Mitglieder hätten den NRW-Grünen in den letzten Wochen den Rücken gekehrt, so die Landesvorsitzende Britta Haßelmann. Wahrscheinlich sind es noch ein paar mehr, genaue Zahlen gibt es bisher nicht. Trotzdem: "Wir werten das nicht als Austrittswelle", sagt Haßelmann. Schließlich habe der größte grüne Landesverband immer noch 10.500 Mitglieder. Auch dass von den Abgängen die PDS profitieren könnte, bezweifelt sie: "Ich kann mir das nicht vorstellen." Der Übertritt des Exbundestagsabgeordneten Manfred Such sei ein Einzelfall.

Doch beunruhigt ist Haßelmann schon über den Aderlass. Denn seit Kosovo leidet die Partei unter einem Erosionsprozess. Dabei gehen in der Regel nicht Karteileichen, sondern gerade Aktive vor Ort. Mit einem Brief hat sich die Landeschefin jetzt an die Basis gewandt. "Lasst uns das Grüne Projekt gemeinsam weiterentwickeln und die Herausforderung annehmen, als starke Grüne Partei aus dem Bundestagswahlkampf hervorzugehen", wirbt sie "auch um diejenigen, die von der Rostocker Entscheidung enttäuscht sind". Ob sie überzeugen kann? Mehrere Kreisverbände besonders im Ruhrgebiet denken darüber nach, den kommenden Wahlkampf zu boykottieren. In Mülheim soll sogar über eine Auflösung des Kreisverbandes diskutiert werden, berichtet Landtagsparlamentarierin Barbara Steffens. Die Bochumer haben beschlossen, vorerst keine Mitgliedsbeiträge nach Berlin mehr abzuführen, "um dem Bundesvorstand klar zu machen, dass es in der Partei eine relevante Minderheit gibt, die sich gegen die aktuelle Politik stellt".

Es sei verständlich, dass es nach dem Bundesparteitag "ein bisschen Frust" gebe, versucht die grüne Landesumweltministerin Bärbel Höhn zu beruhigen. Mit der Bundestagsfraktionschefin Kerstin Müller war sie am Sonntag nach Duisburg zu den Enttäuschten gefahren - zur Versammlung der überwiegend kriegsablehnenden linken NRW-Grünen. Sie wolle "für einen Kurs der Integration werben", so Müller. Kein einfaches Unterfangen: Zuerst diskutierte die Runde, ob sie die beiden Spitzengrünen, die den Bundeswehreinsatz befürworten, vor die Tür setzen sollte. Doch die Mehrheit der knapp 50 Anwesenden entschied sich dagegen. "Es ist wichtig, den Kontakt zu denen, die anders als ich gestimmt haben, nicht zu verlieren", erklärte Höhn. Sie habe nach dem Treffen den Eindruck: "Ganz viele sagen sich: Jetzt erst recht bei den Grünen."

Zu ihnen gehört Jens Kendzia. Der Sprecher der Bonner Grünen war vor Rostock zu einer Art Sprecher der außerparlamentarischen grünen Kriegsgegner geworden. Nun blickt er nach vorne: Bei der Aufstellung der Landesliste zur Bundestagswahl bewirbt er sich um einen der vorderen Plätze: "Ich gehe davon aus, dass die ganze politische Spannbreite auf der Liste vertreten ist." Zwei bis drei Kriegsgegner müssten es schon sein, heißt es intern. Da Annelie Buntenbach und Christian Simmert, die beiden Neinsager aus NRW im Bundestag, nicht mehr kandidieren, rechnet er sich Chancen aus, einer von ihnen zu sein. "Trotz des Rückschlags wird eine starke Linke weiterkämpfen", verspricht Kendzia. Ein altgedienter linker Grüner hat da seine Zweifel: "Da leiden einige unter massiver Realitätsverdrängung." Aber auch er will bei den Grünen bleiben: "Wo ist denn die Alternative?"


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