15.02.2001

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taz

*   KOMMENTAR: Wut weicht Ratlosigkeit
Von Pascal Beucker

Zuerst waren sie mir nicht aufgefallen, die drei Jugendlichen, die in Mülheim/Ruhr in den Regionalexpress stiegen. Bis kurz vor Duisburg. Aus dem Lautsprecher tönte: "Nächster Halt ..." Und die drei "ergänzten" im Chor: "Buchenwald." Saßen in meinem Rücken Neonazis? Ich drehte mich um. Und sah keine Bomberjacken, keine Springerstiefel, keine Glatzen. Da saßen zwei Jungen, ein Mädchen, vielleicht 18 Jahre alt, klassische Repräsentanten der Skater- und HipHop-Generation.

Mein Blick schien sie aufgestachelt zu haben. Nun redeten sie über Gasmasken, für diejenigen, die nach Auschwitz führen. Ich hielt es nicht mehr aus. Ob sie eine Ahnung davon hätten, was in Buchenwald und Auschwitz passiert ist? Sie sollten solche Sprüche lassen. Ja, natürlich wisse er über Auschwitz Bescheid, antwortete der eine. Seine Mutter sei in Auschwitz vergast worden, erwiderte der andere. Er fand das witzig. Das Mädchen schwieg - und grinste. Dann begannen die Kids, mich zu beschimpfen.

Ich war fassungslos, fühlte mich hilflos. Als sie den Aschenbecher an ihrem Platz abmontierten, offensichtlich um ihn mir über den Kopf zu schütten, verließ ich das Abteil. Zuerst hatte ich nur Wut in mir über diese kleinen Arschlöcher. Inzwischen bin ich eher traurig. Wie ist es möglich, dass für diese Jugendlichen der Holocaust derart abstrakt geworden ist, dass davon nur noch das Faszinosum des Tabubruchs übriggeblieben ist? Die drei sind keine Einzelfälle. Laut einer Emnid-Umfrage sind 80 Prozent der unter 30Jährigen der Ansicht, jüdische Organisationen wollten sich mit überzogenen Entschädigungsforderungen an Deutschland bereichern. Wie ist das möglich?

Nein, es geht nicht nur um die paar hundert rechten Dumpfglatzen und ihre stupiden Aufmärsche. Natürlich ist es richtig, wie am Samstag in Hagen, gegen sie zu demonstrieren. Aber weit wichtiger ist es, den "normalen" Jugendlichen Wege gegen die Abstumpfung aufzuzeigen - und die Erinnerung an die Opfer wach zu halten. Wie das gelingen kann? Mein Erlebnis hinterlässt bei mir vor allem eins: Ratlosigkeit.


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