22.03.2001

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*   KOMMENTAR: Traurige Zeiten
Von Pascal Beucker

Was sagte der umjubelte Festredner Helmut Kohl am Dienstag Abend in Köln über die ersten Jahrzehnte der Republik? „Es gab welche, die das Land verraten haben, weil sie eine andere Republik wollten.“ Er erntete frenetischen Applaus. Was war das für ein Selbstbetrug, zu glauben, den 68ern wäre es gelungen, aus Deutschland den autoritären Mief der dumpfen Adenauer-Ära zu vertreiben. Es kommt alles wieder hoch: Die Parolen von den „Volksverrätern“, den „vaterlandslosen Gesellen“ – und davon, dass Deutsche stolz auf Deutschland zu sein hätten.

Merkwürdige Zeiten, perverse Zeiten. Da gilt es bereits als anrüchig, wenn Johannes Rau nicht zusammen mit Skinheads und anderen Deutschtümlern „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“ skandieren will. Gehört inzwischen wirklich wieder Mut dazu, wenn ein Bundespräsident demonstriert, dass er noch nicht völkisch verblödet ist? Was für Reaktionen hätte Rau wohl provoziert, wenn er nicht noch schnell ein patriotisches Bekenntnis hinterher gesetzt hätte, sondern das, was vor drei Jahrzehnten ein sehr kluger Vorgänger Raus zum Thema sagte: „Ich liebe nicht Deutschland, ich liebe meine Frau.“

Zum Abschluss der Veranstaltung im Gürzenich intonierten die rund 2.000 Anwesenden das „Lied der Deutschen“. Die gegenwärtige Debatte lässt befürchten: Beim nächsten Festakt werden sie vielleicht wieder „unverklemmt“ alle drei Strophen singen. Traurige Zeiten.


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