11.06.2002



Startseite
Aachener Nachrichten

*  Schlugen Polizisten aus Korpsgeist zu?
Von Pascal Beucker

Ungeheuerliche Aussagen im Kölner Polizeiskandal - Warten auf Gutachten

Der Skandal bewegt seit Wochen die Menschen in der Domstadt. Sechs Beamte stehen in Verdacht, den 31-jährigen Stephan N. so schwer misshandelt zu haben, dass er später im Krankenhaus an den Folgen seiner Verletzungen verstarb. Erste Konsequenzen wurden inzwischen gezogen.

Regine Appenrodt gibt sich wortkarg. Die Ermittlungen dauern an, sagt die Kölner Oberstaatsanwältin. Sonst gäbe es zurzeit nichts mitzuteilen. Ihre Zurückhaltung ist verständlich, der Fall ist heikel: Haben tatsächlich Polizisten auf einer Wache in der Kölner Innenstadt einen festgenommenen zu Tode geprügelt?

Der Vorfall: Am 11. Mai wurde Stephan N. festgenommen, weil er in der Wohnung seiner Mutter randaliert haben soll. Schon beim Abtransport soll dem gelernten Schreiner und Musiker im Polizeiwagen mehrfach ins Gesicht geschlagen worden sein – berichteten zwei Zeugen, die sich in einer nahe gelegenen Disco aufgehalten hatten.

Was dann nach den schriftlichen Aussagen zweier unbeteiligter Polizisten auf der Wache Eigelstein geschehen sein soll, klingt ungeheuerlich: Sie wollen gesehen haben, wie fünf bis sechs Beamte in der Sicherheitsschleuse auf den am Boden liegenden Stephan N. eintraten und schlugen, und ihn dabei an Kopf, Rumpf, Armen und Beinen trafen. Der Zweizentnermann sei dann unter Beschimpfungen und Schlägen durch den Flur in die Zelle geschleift worden. Auch dort sei der an Händen und Füßen Gefesselte noch von vier Beamten geschlagen und getreten worden. Die Tortur habe erst mit dem Eintreffen der Sanitäter geendet. Die brachten Stephan N. ins Krankenhaus.

Abdruck einer Schuhsohle

Dort kollabierte der Thrombose-Kranke bei einer unter Zwang durchgeführten Blutprobe. Stephan N. fiel ins Koma, aus dem er nicht mehr erwachte. Die Ärzte stellten bei ihm einen Bluterguss im Gesicht fest, „ein deutlich geformtes, frisches Hämatom, nach Art eines Schuhsohlenabdruckes“. Am 24. Mai starb Stephan N.. Laut Obduktionsbericht war ein Hirnödem die Todesursache. Aufschluss darüber, ob die Misshandlungen durch die Polizisten ursächlich für den Tod Stephan N.s waren, erhofft sich die Staatsanwaltschaft von einem rechtsmedizinischen Gutachten.

"Wir haben Dich gerächt"

„Wir erwarten das Gutachten in den nächsten Tagen“, sagte Oberstaatsanwältin Appenrodt zu den „Nachrichten“. Davon hänge ab, ob gegen die sechs beschuldigten Polizisten nur wegen Körperverletzung im Amt ermittelt oder ob die Ermittlungen auf den Straftatbestand der Körperverletzung mit Todesfolge ausgedehnt werden. Ein Motiv für die mutmaßliche Gewaltorgie auf der Polizeiwache war möglicherweise falsch verstandener Korpsgeist. Das jedenfalls legt die Aussage eines Kollegen nahe, der bei Festnahme dabei war, sich dort jedoch durch Glassplitter leicht verletzt hatte und deswegen nicht mehr mit zur Wache fuhr. Er berichtete, nach dem Ende des Einsatzes sei einer der Beschuldigten auf ihn zugekommen und habe gesagt: „Wir haben Dich gerächt.“

Zu den Vorwürfen haben sich bisher erst zwei der umgehend vom Dienst suspendierten Beamten über ihre Anwälte geäußert: Während der eine aussagte, er sei an keiner Misshandlung beteiligt gewesen und habe auch nichts gesehen, gab der andere zu, dem Opfer mit der Hand auf das Jochbein geschlagen zu haben - allerdings aus Notwehr. Am 20. Juni wird sich auch der Innenausschuss des Landtages mit dem Polizeiskandal beschäftigen.

Zum Thema

Polizist schon zwölf Mal angezeigt

Eine Arbeitsgruppe der Bezirksregierung soll die Kommunikations- und Informationsabläufe bei der Kölner Polizei untersuchen. Konkret soll sie feststellen, ob eine frühzeitige Erkennung und Intervention bei auffälligen Mitarbeitern gewährleistet sei und wer jeweils dafür verantwortlich zeichne. Hintergrund ist der Fall eines der Verdächtigen: Der 28‑jährige Polizeimeister wurde bereits zwölf Mal wegen Körperverletzung im Amt und Beleidigung angezeigt, mehr als eine Geldstrafe auf Bewährung wegen Beleidigung kam dabei nicht heraus. Stattdessen schrieb ihm der Leiter der Innenstadtinspektion sogar hervorragende Beurteilungen. Polizeipräsident Steffenhagen hat den Leiter zwangsversetzt und gegen den belasteten Polizisten ein Entlassungsverfahren eingeleitet.


© Pascal Beucker. Alle Rechte an Inhalt, Gestaltung, Fotos liegen beim Autor. Direkte und indirekte Kopien, sowie die Verwendung von Text und Bild nur mit ausdrücklicher, schriftlicher Genehmigung des Autors.