August 2002

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*  Ein fast perfektes Spendenwaschsystem
Von Pascal Beucker

In der Kölner Schmiergeldaffäre bleibt trotz intensiver Aufklärung manche Frage offen.

Norbert Rüther (SPD) - Foto: Frank ÜberallDer Parteichef versuchte den Domstadt-Genossen Mut zu machen. Die SPD habe alles getan, um den Spendenskandal aufzuklären, so Gerhard Schröder Anfang Juli zum Wahlkampfauftakt im Kölner Tanzbrunnen. Die Verantwortlichen seien „gegangen oder werden gehen müssen, wenn Verantwortung festgestellt wird“. Die SPD habe „klare Trennungsstriche gezogen“. Eins dürfe nicht sein: „Dass ihr wegen des unentschuldbaren Fehlverhaltens einiger euch euren Stolz nehmen lasst.“ Jetzt gelte es, nach vorn zu blicken. Minutenlanger Applaus.

Verständlich, Kölns Sozialdemokraten haben genug von den Negativschlagzeilen der letzten Monate – und nicht nur sie. Auch Landes- und Bundes-SPD würden den Skandal in der Rheinmetropole am liebsten der Vergessenheit anheim fallen lassen. Schon Anfang Mai hatte Generalsekretär Franz Müntefering die Affäre für „konsequent aufgeklärt“ erklärt und einen Schlussstrich gezogen: „Was wir als SPD tun konnten, um Licht in die Angelegenheit zu bringen, haben wir getan.“ So erklärlich diese Sicht mit Blick auf die Bundestagswahl ist, so unbefriedigend ist sie. Denn immer noch ist vieles unaufgeklärt.

Was ist bekannt? Beim Bau der Müllverbrennungsanlage in Köln-Niehl wurde in den 90-ern kräftig geschmiert. Nach Erkenntnissen der Kölner Staatsanwaltschaft soll der MVA-Generalunternehmer, der Gummersbacher Anlagebauer L&C Steinmüller, 1994-1999 über Scheinfirmen „verabredungsgemäß“ drei Prozent des Auftragsvolumens gezahlt haben, insgesamt 21,6 Millionen Mark. Davon soll Ex-Steinmüller-Manager Sigfrid Michelfelder, mutmaßlicher Schmiergeldverteiler, 2,4 Millionen Mark eingesteckt haben. 9,5 Millionen Mark soll Steinmüller dem damaligen Geschäftsführer der halbstädtischen Abfallentsorgungs- und Verwertungsgesellschaft AVG Ulrich Eisermann (SPD) gezahlt haben. Der nächste Genosse, der mit 4,4 Millionen Mark bedient worden sein soll, ist der langjährige SPD-Bundestagsfraktionsgeschäftsführer Karl Wienand. Zudem will der Viersener Müllunternehmer Hellmut Trienekens (CDU) seinen Anteil von 2 Millionen Mark an Wienand gegeben haben. Zwei Millionen Mark sollen auf den damaligen Fraktionsgeschäftsführer der Kölner SPD-Ratsfraktion, Norbert Rüther, entfallen sein.

In der Domstadt halten sich zudem Gerüchte, dass noch andere profitiert haben könnten. Engagierten sich der verstorbene Landesumweltminister Klaus Matthiesen (SPD), der nach seinem politischen Abgang Geschäftsführer eines Entsorgungsunternehmens wurde, zu deren Gesellschaftern Trienekens zählt, Ex-RP Franz-Josef Antwerpes (SPD) und Ex-Oberstadtdirektor und AVG-Aufsichtsratsvorsitzender Lothar Ruschmeier (SPD) völlig uneigennützig für die von Kritikern stets als überdimensioniert angesehene MVA?

Der spätere Ratsfraktionschef Rüther, dessen Gang zur Staatsanwaltschaft Anfang März die SPD-Spendenaffäre öffentlich machte, bestreitet, 2 Millionen Mark von Steinmüller bekommen zu haben. Zugegeben hat er den Erhalt von 320 000 Mark, „vermittelt durch Herrn Ulrich Eisermann“. So steht es in der Liste, die Rüther an die SPD geschickt hat. Sie umfasst 14 „Danke-schön-Spenden“ von neun Firmen, die 1994 bis 1999 830 000 Mark an Rüther zahlten. Dieses System war in den 90-ern Brauch bei der Kölner SPD. So habe sie sicherstellen wollen, bei Aufdeckung nicht Bestechungsvorwürfen ausgesetzt zu sein. Die Zusatzeinnahmen flossen in die Kommunalwahlkämpfe ‘94 und ‘99, dienten „zur Mitfinanzierung von Veranstaltungen mit SPD-Mitgliedern“, der Rest – rund 510 000 Mark – ging in die Parteikasse. Dort stückelte sie der damalige Kölner SPD-Schatzmeister Manfred Biciste in nicht veröffentlichungspflichtige Kleinspenden von 500 bis 6 000 Mark und stellte dafür fingierte Spendenquittungen an „verdiente Parteimitglieder“ aus.

Das Problem: Offenbar gab es mehr geheime Spender als Rüther seiner Ex-Partei genannt hat. Die von ihm übersandte Liste umfasst nur Spenden im Zusammenhang mit der MVA. Vorher sagte Rüther aus, als Geschäftsführer der SPD-Ratsfraktion 30 bis 35 „Danke-schön-Spenden“ empfangen zu haben. Dieses „System“ will er von Vorgänger Tony Kleefisch und Fraktionschef Klaus Heugel übernommen haben. Danach wäre es schon in den 80-ern Praxis gewesen, und es scheint, als sei auch bei anderen Großprojekten danke gesagt worden. Die SPD scheint sich weder für die Namen der Spender zu interessieren, noch dafür, welche Gegenleistungen sie bekommen haben. Auch wenig Fingerspitzengefühl zeigten Landes- und Bundespartei bei der Auswahl des Rechtsanwalts, der sie im Kölner Skandal vertritt. Denn Helmut Neumann ist nicht nur gut bekannt mit Karl Wienand, sondern auch Hausanwalt Lothar Ruschmeiers. So vertrat er den Ex-Oberstadtdirektor, als gegen ihn 1996 eine Strafanzeige wegen Untreue im Umfeld der MVA gestellt wurde. Erfolgreich: Das Verfahren wurde eingestellt. Bis heute beantwortet der Anwalt Presseanfragen an Ruschmeier über dessen Rolle beim Bau der MVA und erwirkt Gegendarstellungen. Dennoch will die SPD keinen Interessenkonflikt erkennen. Denn, so die Sprecherin der NRW-SPD, Susanna Weineck: „Zurzeit hat Herr Neumann kein Mandat für Herrn Ruschmeier.“ Der Anwalt habe dies der Partei versichert. Das ist falsch.

„Gnadenlose Aufklärung“ versprach SPD-Landeschef Harald Schartau und redete vom „Krebsgeschwür“, das „ausgemerzt“ gehöre. MP Wolfgang Clement wollte die Verhältnisse in Köln gar „mit Stumpf und Stiel ausrotten“ – eine unmenschliche Sprache, die Entschlossenheit demonstrieren sollte. Dabei konzentrierte sich die öffentliche Aufmerksamkeit – und die der CDU – schnell auf die Empfänger fingierter Spendenquittungen, obwohl sie im Gesamtkomplex nur eine Nebenrolle spielten. Dazu hat das wochenlange Gezerre um die „Biciste-Liste“ der Empfängernamen beigetragen. So konnte ein Sozialdemokrat, der auf der Liste steht, durch die Medien gejagt werden, ohne dass dessen individuelle Schuld dabei eine Rolle spielte. Denn bis heute ist ungeklärt, wer von den 42 Empfängern – viele davon frühere oder aktive Mitglieder der SPD-Ratsfraktion – sich bewusst an der Schwarzgeldwäsche beteiligt hat. Noch ist ein Großteil der 25 Parteischiedsverfahren nicht beendet. Einigen Beschuldigten, wie MdL Annelie Kever-Henseler und Kölns Bürgermeisterin Renate Canisius wurde bereits bescheinigt, nicht wissentlich beteiligt gewesen zu sein. Von anderen wird man das nie erfahren: Sie sind aus der SPD ausgetreten. Offenbar gab es drei Kategorien von Empfängern: Die erste Gruppe dürfte gewusst haben, dass sie sich an Schwarzgeldwäsche beteiligt – und billigte es, weil die Gelder ja ihrer Partei zugute kamen. Die zweite freute sich, dass sie mit Hilfe der Partei das Finanzamt täuschen konnte oder war der Ansicht, dass es sich um die etwas unkonventionelle Vergütung ihrer Aufwendungen für die Partei handelte. Der dritten Gruppe wurden die Quittungen augenscheinlich untergeschoben.

So oder so: Tatsache ist, dass niemand all die Jahre eine kritische Frage stellte, wenn die Quittungen über den Tisch gingen. Auch fragte keiner nach, woher die Mittel stammten, die dem dann über ein Aktieninsidergeschäft gestrauchelten OB-Kandidaten Heugel 1999 für seinen teuren Wahlkampf zur Verfügung standen. Das hing nicht zuletzt mit der autokratischen Struktur der SPD-Ratsfraktion zusammen. Hier wurde nicht nachgefragt, es wurde Anführern gefolgt: Das wird alles seine Richtigkeit haben. Wie die Ratsfrauen und -herren ungeprüft die fingierten Belege entgegennahmen, so stimmten sie auch für die städtischen Projekte, für die Heugel und Rüther bei den Unternehmen kassierten. Wären sich die beiden Korrumpels nicht stets der Gefolgschaft von Partei und Fraktion sicher gewesen, hätte ihr System nicht so funktionieren können – und vielleicht wäre dann der Kölner SPD ihr Schmiergeld- und Spendenskandal erspart geblieben. Solche autoritären Strukturen aber gibt es nicht nur in Köln.


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