In
der Kölner Schmiergeldaffäre bleibt trotz intensiver Aufklärung
manche Frage offen.
Der Parteichef versuchte den Domstadt-Genossen
Mut zu machen. Die SPD habe alles getan, um den Spendenskandal aufzuklären,
so Gerhard Schröder Anfang Juli zum Wahlkampfauftakt im Kölner
Tanzbrunnen. Die Verantwortlichen seien „gegangen oder werden gehen
müssen, wenn Verantwortung festgestellt wird“. Die SPD habe
„klare Trennungsstriche gezogen“. Eins dürfe nicht sein: „Dass
ihr wegen des unentschuldbaren Fehlverhaltens einiger euch euren Stolz
nehmen lasst.“ Jetzt gelte es, nach vorn zu blicken. Minutenlanger
Applaus.
Verständlich,
Kölns Sozialdemokraten haben genug von den Negativschlagzeilen der
letzten Monate – und nicht nur sie. Auch Landes- und Bundes-SPD würden
den Skandal in der Rheinmetropole am liebsten der Vergessenheit anheim
fallen lassen. Schon Anfang Mai hatte Generalsekretär Franz Müntefering
die Affäre für „konsequent aufgeklärt“ erklärt und einen
Schlussstrich gezogen: „Was wir als SPD tun konnten, um Licht in die
Angelegenheit zu bringen, haben wir getan.“ So erklärlich diese
Sicht mit Blick auf die Bundestagswahl ist, so unbefriedigend ist sie.
Denn immer noch ist vieles unaufgeklärt.
Was
ist bekannt? Beim Bau der Müllverbrennungsanlage in Köln-Niehl wurde
in den 90-ern kräftig geschmiert. Nach Erkenntnissen der Kölner
Staatsanwaltschaft soll der MVA-Generalunternehmer, der Gummersbacher
Anlagebauer L&C Steinmüller, 1994-1999 über Scheinfirmen
„verabredungsgemäß“ drei Prozent des Auftragsvolumens gezahlt
haben, insgesamt 21,6 Millionen Mark. Davon soll Ex-Steinmüller-Manager
Sigfrid Michelfelder, mutmaßlicher Schmiergeldverteiler, 2,4
Millionen Mark eingesteckt haben. 9,5 Millionen Mark soll Steinmüller
dem damaligen Geschäftsführer der halbstädtischen
Abfallentsorgungs- und Verwertungsgesellschaft AVG Ulrich Eisermann
(SPD) gezahlt haben. Der nächste Genosse, der mit 4,4 Millionen Mark
bedient worden sein soll, ist der langjährige
SPD-Bundestagsfraktionsgeschäftsführer Karl Wienand. Zudem will der
Viersener Müllunternehmer Hellmut Trienekens (CDU) seinen Anteil von
2 Millionen Mark an Wienand gegeben haben. Zwei Millionen Mark sollen
auf den damaligen Fraktionsgeschäftsführer der Kölner
SPD-Ratsfraktion, Norbert Rüther, entfallen sein.
In
der Domstadt halten sich zudem Gerüchte, dass noch andere profitiert
haben könnten. Engagierten sich der verstorbene Landesumweltminister
Klaus Matthiesen (SPD), der nach seinem politischen Abgang Geschäftsführer
eines Entsorgungsunternehmens wurde, zu deren Gesellschaftern
Trienekens zählt, Ex-RP Franz-Josef Antwerpes (SPD) und
Ex-Oberstadtdirektor und AVG-Aufsichtsratsvorsitzender Lothar
Ruschmeier (SPD) völlig uneigennützig für die von Kritikern stets
als überdimensioniert angesehene MVA?
Der
spätere Ratsfraktionschef Rüther, dessen Gang zur Staatsanwaltschaft
Anfang März die SPD-Spendenaffäre öffentlich machte, bestreitet, 2
Millionen Mark von Steinmüller bekommen zu haben. Zugegeben hat er
den Erhalt von 320 000 Mark, „vermittelt durch Herrn Ulrich
Eisermann“. So steht es in der Liste, die Rüther an die SPD
geschickt hat. Sie umfasst 14 „Danke-schön-Spenden“ von neun
Firmen, die 1994 bis 1999 830 000 Mark an Rüther zahlten. Dieses
System war in den 90-ern Brauch bei der Kölner SPD. So habe sie
sicherstellen wollen, bei Aufdeckung nicht Bestechungsvorwürfen
ausgesetzt zu sein. Die Zusatzeinnahmen flossen in die Kommunalwahlkämpfe
‘94 und ‘99, dienten „zur Mitfinanzierung von Veranstaltungen
mit SPD-Mitgliedern“, der Rest – rund 510 000 Mark – ging in die
Parteikasse. Dort stückelte sie der damalige Kölner
SPD-Schatzmeister Manfred Biciste in nicht veröffentlichungspflichtige
Kleinspenden von 500 bis 6 000 Mark und stellte dafür fingierte
Spendenquittungen an „verdiente Parteimitglieder“ aus.
Das
Problem: Offenbar gab es mehr geheime Spender als Rüther seiner
Ex-Partei genannt hat. Die von ihm übersandte Liste umfasst nur
Spenden im Zusammenhang mit der MVA. Vorher sagte Rüther aus, als
Geschäftsführer der SPD-Ratsfraktion 30 bis 35 „Danke-schön-Spenden“
empfangen zu haben. Dieses „System“ will er von Vorgänger Tony
Kleefisch und Fraktionschef Klaus Heugel übernommen haben. Danach wäre
es schon in den 80-ern Praxis gewesen, und es scheint, als sei auch
bei anderen Großprojekten danke gesagt worden. Die SPD scheint sich
weder für die Namen der Spender zu interessieren, noch dafür, welche
Gegenleistungen sie bekommen haben. Auch wenig Fingerspitzengefühl
zeigten Landes- und Bundespartei bei der Auswahl des Rechtsanwalts,
der sie im Kölner Skandal vertritt. Denn Helmut Neumann ist nicht nur
gut bekannt mit Karl Wienand, sondern auch Hausanwalt Lothar
Ruschmeiers. So vertrat er den Ex-Oberstadtdirektor, als gegen ihn
1996 eine Strafanzeige wegen Untreue im Umfeld der MVA gestellt wurde.
Erfolgreich: Das Verfahren wurde eingestellt. Bis heute beantwortet
der Anwalt Presseanfragen an Ruschmeier über dessen Rolle beim Bau
der MVA und erwirkt Gegendarstellungen. Dennoch will die SPD keinen
Interessenkonflikt erkennen. Denn, so die Sprecherin der NRW-SPD,
Susanna Weineck: „Zurzeit hat Herr Neumann kein Mandat für Herrn
Ruschmeier.“ Der Anwalt habe dies der Partei versichert. Das ist
falsch.
„Gnadenlose
Aufklärung“ versprach SPD-Landeschef Harald Schartau und redete vom
„Krebsgeschwür“, das „ausgemerzt“ gehöre. MP Wolfgang
Clement wollte die Verhältnisse in Köln gar „mit Stumpf und Stiel
ausrotten“ – eine unmenschliche Sprache, die Entschlossenheit
demonstrieren sollte. Dabei konzentrierte sich die öffentliche
Aufmerksamkeit – und die der CDU – schnell auf die Empfänger
fingierter Spendenquittungen, obwohl sie im Gesamtkomplex nur eine
Nebenrolle spielten. Dazu hat das wochenlange Gezerre um die „Biciste-Liste“
der Empfängernamen beigetragen. So konnte ein Sozialdemokrat, der auf
der Liste steht, durch die Medien gejagt werden, ohne dass dessen
individuelle Schuld dabei eine Rolle spielte. Denn bis heute ist
ungeklärt, wer von den 42 Empfängern – viele davon frühere oder
aktive Mitglieder der SPD-Ratsfraktion – sich bewusst an der
Schwarzgeldwäsche beteiligt hat. Noch ist ein Großteil der 25
Parteischiedsverfahren nicht beendet. Einigen Beschuldigten, wie MdL
Annelie Kever-Henseler und Kölns Bürgermeisterin Renate Canisius
wurde bereits bescheinigt, nicht wissentlich beteiligt gewesen zu
sein. Von anderen wird man das nie erfahren: Sie sind aus der SPD
ausgetreten. Offenbar gab es drei Kategorien von Empfängern: Die
erste Gruppe dürfte gewusst haben, dass sie sich an Schwarzgeldwäsche
beteiligt – und billigte es, weil die Gelder ja ihrer Partei zugute
kamen. Die zweite freute sich, dass sie mit Hilfe der Partei das
Finanzamt täuschen konnte oder war der Ansicht, dass es sich um die
etwas unkonventionelle Vergütung ihrer Aufwendungen für die Partei
handelte. Der dritten Gruppe wurden die Quittungen augenscheinlich
untergeschoben.
So
oder so: Tatsache ist, dass niemand all die Jahre eine kritische Frage
stellte, wenn die Quittungen über den Tisch gingen. Auch fragte
keiner nach, woher die Mittel stammten, die dem dann über ein
Aktieninsidergeschäft gestrauchelten OB-Kandidaten Heugel 1999 für
seinen teuren Wahlkampf zur Verfügung standen. Das hing nicht zuletzt
mit der autokratischen Struktur der SPD-Ratsfraktion zusammen. Hier
wurde nicht nachgefragt, es wurde Anführern gefolgt: Das wird alles
seine Richtigkeit haben. Wie die Ratsfrauen und -herren ungeprüft die
fingierten Belege entgegennahmen, so stimmten sie auch für die städtischen
Projekte, für die Heugel und Rüther bei den Unternehmen kassierten.
Wären sich die beiden Korrumpels nicht stets der Gefolgschaft von
Partei und Fraktion sicher gewesen, hätte ihr System nicht so
funktionieren können – und vielleicht wäre dann der Kölner SPD
ihr Schmiergeld- und Spendenskandal erspart geblieben. Solche autoritären
Strukturen aber gibt es nicht nur in Köln.
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