30.01.2002

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Jungle World

*   Her mit der Stammzelle
Von Pascal Beucker

Das Drängen der Industrie und der Wissenschaft, den Import von Stammzellen zu liberalisieren, dürfte auch die Entscheidung des Bundestags beeinflussen.

Nur über eins sind sich alle Beteiligten einig. Am Mittwoch wird es eng im Bundestag. Dann werden die Abgeordneten ohne Fraktionszwang darüber abstimmen, ob künftig der Import embryonaler Stammzellen in die Bundesrepublik erlaubt sein soll. Sowohl Befürworter als auch Gegner rechnen mit einer knappen Mehrheit. Vier Anträge stehen voraussichtlich zur Abstimmung - drei, die den Stammzellenimport unter unterschiedlichen Voraussetzungen zulassen wollen, und einer, der ihn generell ablehnt.

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) und der Berliner evangelische Bischof Wolfgang Huber appellierten nochmals eindringlich an die Abgeordneten, den Stammzellenimport abzulehnen. Die Einfuhr bestehender Stammzelllinien, zu deren Herstellung Embryonen getötet worden seien, widerspreche dem Geist des Embryonenschutzgesetzes, erklärte ZdK-Präsident Hans Joachim Meyer. Auch der Präsident der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe, sprach sich vehement dagegen aus. »Die Forschung an embryonalen Stammzellen, gleichgültig ob sie importiert oder in Deutschland erzeugt werden, bedeutet das Überschreiten einer ethischen Grenze«, sagte Hoppe.

Demgegenüber haben sieben deutsche Wissenschaftsorganisationen in einem gemeinsamen offenen Brief die Zulassung gefordert. Die Abgeordneten sollten ihre Entscheidung auch mit Rücksicht auf die Erwartungen vieler kranker und hilfsbedürftiger Menschen fällen. Dies müsse in die Abwägung von Lebensschutz und Freiheit der Forschung einbezogen werden, fordern Vertreter des Wissenschaftsrates, der Hochschulrektorenkonferenz, der Leibniz- und der Helmholtz-Gemeinschaft, der Max-Planck- und der Fraunhofer-Gesellschaft gemeinsam mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).

Der Streit geht quer durch die Gesellschaft. Nach einer Infratest-Umfrage lehnen 68 Prozent der deutschen Bevölkerung eine verbrauchende Embryonenforschung ab. Sie wenden sich dagegen, Forschung im Interesse des medizinischen Fortschritts auch dann zu betreiben, wenn dafür die Tötung menschlicher Embryonen in Kauf genommen werden muss.

Kirche contra Wissenschaft, Moral gegen die Interessen der Wirtschaft und der Forschung? Wie beim Schwangerschaftsabbruch geht es letztlich um die Frage, wann menschliches Leben beginnt und rechtlich geschützt werden muss. Für die einen beginnt es mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle - auch bei künstlicher Befruchtung im Reagenzglas. Die anderen sehen dagegen eine Entwicklung in Stufen, zu der vor allem die Einsetzung und die Entwicklung im Mutterleib gehört.

Auch die Bundesregierung hat keine gemeinsame Antwort. Während sich Forschungsministerin Edelgard Bulmahn und Gesundheitsministerin Ulla Schmidt ebenso wie Kanzler Gerhard Schröder für eine begrenzte Nutzung embryonaler Stammzellen aussprechen, lehnt ihre sozialdemokratische Kabinettskollegin Herta Däubler-Gmelin dies grundsätzlich ab. Die Justizministerin begründete ihre Haltung damit, dass sie das Verfassungsprinzip der Menschenwürde höher als die Forschungsfreiheit bewerte. Berichte, sie unterstütze den Antrag der strikten Importgegner, ließ Däubler-Gmelin indes von einem Sprecher dementieren. Als Regierungsmitglied übe sie bei dieser Frage Zurückhaltung.

Für den Import und die Möglichkeit der Gewinnung embryonaler Stammzellen in der Bundesrepublik spricht sich der Antrag »Import von embryonalen Stammzellen für eine ethisch hochwertige medizinische Forschung« von über 40 Unionspolitikern um den ehemaligen CDU-Generalsekretär Peter Hintze aus, den auch Heiner Geißler, Rita Süssmuth, Rupert Scholz und Wolfgang Schäuble unterschrieben haben. In ihm heißt es, die Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen werde »weltweit als ein hoffnungsvoller Weg zur Überwindung schwer wiegender Krankheiten und Schädigungen des Zentralen Nervensystems gesehen«.

Ferner sei es nicht zu rechtfertigen, Patienten in Deutschland entsprechende Behandlungsmethoden zu verwehren, sollte die im Ausland bereits stattfindende Forschung zur Entwicklung erfolgreicher Therapien führen. »Es würde aber einen Wertungswiderspruch bedeuten, einerseits auf einen Import embryonaler Stammzellen zu verzichten und andererseits die mit der Forschung an embryonalen Stammzellen im Ausland erzielten Forschungsergebnisse in Deutschland zu nutzen«, so Hintze und Co. In die gleiche Richtung zielt der FDP-Antrag »Verantwortungsbewusste Forschung an embryonalen Stammzellen ermöglichen«.

Da beiden Anträgen nur geringe Erfolgschancen eingeräumt werden, gibt es noch einen Antrag - als vermeintliche Kompromissvariante. Er trägt den versöhnlichen Titel »Keine verbrauchende Embryonenforschung: Import humaner embryonaler Stammzellen grundsätzlich verbieten und nur unter engen Voraussetzungen zulassen«. So soll Zweiflern eine Importzustimmung einfacher gemacht werden. Initiiert haben ihn Margot von Renesse (SPD), Maria Böhmer (CDU) und Andrea Fischer (Grüne). Unterstützt wird er auch von Gerhard Schröder. »Der Antrag trägt der Realität Rechnung und ist zugleich wertorientiert«, wirbt der SPD-Abgeordnete Dieter Wiefelspütz. Was er meint: Alle Möglichkeiten werden eröffnet, und Skeptikern wird das gute Gewissen gelassen.

In dem Antrag heißt es, der Import von Stammzellen sei rechtlich und ethisch problematisch, »da ihre Gewinnung nach derzeitigem Stand von Wissenschaft und Technik die Tötung von Embryonen voraussetzt«. Deswegen sei der Import für öffentlich wie privat finanzierte Vorhaben »grundsätzlich verboten« und »nur ausnahmsweise für Forschungsvorhaben« zulässig. Zu den Voraussetzungen, unter denen er doch erlaubt ist, zählt für die Antragsteller, dass Alternativen dazu »nach dem anerkannten Stand von Wissenschaft und Forschung für die angestrebte Zielsetzung des geplanten Forschungsvorhabens nicht in vergleichbarer Weise Erfolg versprechend« seien. Außerdem müsse der Import »auf bestehende Stammzelllinien, die zu einem bestimmten Stichtag - spätestens zum Zeitpunkt der Beschlussfassung über diesen Antrag - etabliert wurden, beschränkt« bleiben und das »Einverständnis der Eltern zur Gewinnung von Stammzellen aus einem Embryo« vorliegen.

Die Importgegner haben sich unter der Antragsüberschrift »Schutz der Menschenwürde angesichts der biomedizinischen Möglichkeiten - Kein Import embryonaler Stammzellen« versammelt. Die fraktionsübergreifende Gruppe, zu der Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und Vizepräsidentin Petra Bläss (PDS) ebenso gehören, wie der Kirchenbeauftragte der CDU/CSU-Fraktion Hermann Kues und die Grüne Christa Nickels, will die Bundesregierung auffordern, »sicherzustellen, dass der Import von Stammzellen, die aus menschlichen Embryonen gewonnen worden sind, dem Geist des Embryonenschutzgesetzes entsprechend nicht zugelassen wird, und ethisch unproblematische Forschungsalternativen (z.B. Forschung an adulten Stammzellen) verstärkt zu fördern«.

Das Importverbot solle in einem Gesetz formuliert werden. Zur Begründung führen die inzwischen rund 200 Antragsteller an, das deutsche Grundgesetz treffe »eine fundamentale Wertentscheidung zu Gunsten des Lebens und der Menschenwürde«. Nach Auffassung der Enquetekommission beginnt menschliches Leben mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle: »Deshalb ist die Tötung menschlicher Embryonen ethisch nicht vertretbar.«

Unterdessen liegen der DFG bereits drei Förderanträge zur embryonalen Stammzellenforschung vor. Allerdings werde die Forschungsgemeinschaft am Donnerstag, einen Tag nach dem geplanten Bundestagsbeschluss, nur über den Antrag des Bonner Forschers Oliver Brüstle entscheiden, der bereits vor eineinhalb Jahren gestellt und auch schon begutachtet worden sei, sagte DFG-Sprecherin Eva-Maria Streier am Wochenende. Die beiden anderen Anträge des Münchner Herzspezialisten Wolfgang-Michael Franz und des Molekularbiologen Ulrich Martin von der Medizinischen Hochschule in Hannover seien erst vor kurzem eingegangen. Das Begutachtungsverfahren dauere mindestens drei bis vier Monate.


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