Wenn es gegen Ausländer
und um den Wahlsieg geht, stimmt die Union sogar gegen die eigenen
Konzepte.
Der Rente nahe, nahmen
die drei Christdemokraten noch mal all ihren Mut zusammen. »Die
Frage, welches Schicksal Kinder und Erwachsene erleiden, wenn sie als
Flüchtlinge in Deutschland Schutz suchen, ist für uns ethisch von
genauso großer Bedeutung wie etwa die Frage des Embryonenschutzes«,
erklärten Heiner Geißler, Rita Süssmuth und Christian
Schwarz-Schilling am vergangenen Freitag im Bundestag. Der Entwurf der
rot-grünen Koalition sei zwar nicht perfekt, bringe aber den
betroffenen Menschen Verbesserungen. Und so stimmten die drei
christdemokratischen Abweichler dem von der Bundesregierung
vorgelegten Zuwanderungsgesetz zu.
Zuvor hatte die rot-grüne
Koalition alles versucht, die Union noch umzustimmen. In letzter
Sekunde wurde in den Entwurf hineingeschrieben, dass das Gesetz vor
allem der Begrenzung des Zuzugs von Ausländern diene. Doch es half
nichts, die CDU und die CSU blieben bei ihrer Linie, den Entwurf für
Flüchtlingshilfegruppen schön zu reden. Das Gesetz bedeute einen »Paradigmenwechsel«,
verkündeten wortgleich der Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz (CDU)
und sein Stellvertreter Michael Glos (CSU). Es gehe darum, »eines der
großen Projekte insbesondere der grünen Partei« zu realisieren,
meinte Merz im Bundestag, den »Wechsel hin zu einer multikulturellen
Einwanderungsgesellschaft«. Das Gesetz bringe »noch mehr Zuwanderung
in die sozialen Sicherungssysteme«. Glos versicherte, das sei mit den
Unionsparteien nicht zu machen. Sie würden nicht nur im Bundestag
gegen das Gesetz votieren, sondern auch dafür sorgen, dass es am 22.
März im Bundesrat scheitere.
Dabei hatten sich vor
allem die Sozialdemokraten große Mühe gegeben, den Eindruck zu
vermeiden, das rot-grüne Zuwanderungsgesetz sei von allzu großer
Liberalität und Humanität geprägt. In der Bild-Zeitung hatte der
niedersächsische Ministerpräsident Sigmar Gabriel (SPD) um die
Stimmen der Konservativen mit dem Argument geworben, das Gesetz sei
dringend notwendig, um »Masseneinwanderung« zu verhindern.
Angesichts von vier Millionen Arbeitslosen könne die Bundesrepublik
schließlich »keine Ausländer gebrauchen, die unsere Sozialsysteme
belasten, statt sie zu entlasten«. In der Bundestagsdebatte warf
Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) der Union vor, mit ihrer
Ablehnung entscheide sie sich »für die ungesteuerte Zuwanderung und
gegen die wirtschaftlichen Interessen«. Die Union wolle nicht sehen,
dass zahlreiche Passagen aus CDU-Konzepten wörtlich in den
Gesetzesentwurf übernommen wurden. Christdemokraten und Christsoziale
seien technikfeindlich, da sie nicht einmal in der Lage seien, »die
Bretter von ihren Köpfen zu montieren«.
Schilys Ärger ist
verständlich. Denn die Blockadepolitik der Union ist rein taktisch
bedingt. Inhaltlich unterscheiden sich die CDU/CSU und die SPD nur in
Nuancen. Konsens zwischen den Parteien ist, dass hochqualifizierte
Ausländer erwünscht sind, Armutsmigranten jedoch nicht. »Begrenzung
der Zuwanderung und Offenheit für die hellsten Köpfe«, seien für
ihn zentrale Ziele, erläuterte der Kanzlerkandidat Edmund Stoiber
(CSU) unmittelbar vor der Bundestagsentscheidung. Genau dies sieht der
rot-grüne Gesetzesentwurf vor. Von den Träumen der Grünen, ein
Gesetz zu schaffen, das das Land in die Lage versetzt, »auf
Einwanderungsprozesse sozial, human und demokratisch zu reagieren«,
wie es die Partei 1998 in ihrem Bundestagswahlprogramm forderte, ist
nicht viel übrig geblieben.
Nicht umsonst
bezeichnet die Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge Pro Asyl den
Entwurf als »Reformruine«. Er sei »in weiten Teilen eine Neuauflage
altmodischen Fremdenabwehrrechts«. Mit Ausnahme der Verbesserung bei
der Anerkennung nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer
Verfolgung bringe der Entwurf »weniger Lösungen als neue Probleme für
die Betroffenen«. Viele Tausende bisher in Deutschland nur geduldeter
Personen hätten weiterhin keine Chance auf eine Aufenthaltserlaubnis.
Verschärfungen des Asylbewerberleistungsgesetzes, die Einrichtung von
Ausreisezentren und die Ausweitung der Residenzpflicht seien »keinesfalls
das, was Flüchtlinge und die sie unterstützenden gesellschaftlichen
Gruppen von einer rot-grünen Bundesregierung erwartet haben«.
Eigentlich hätte
Stoiber mit dem Gesetz also zufrieden sein können. Doch er will im
Wahlkampf auf das Thema Einwanderung nicht verzichten. Deshalb
behauptet er, der rot-grüne Entwurf würde »von unserer Zielsetzung
immer noch diametral abweichen«. Notwendig sei eine noch deutlichere
Betonung der Begrenzung von Migration als Gesetzeszweck. Außerdem müsse
das Nachzugsalter für Kinder in Deutschland lebender Ausländer auf
zehn Jahre oder noch weiter gesenkt werden. Auch die rechtliche
Besserstellung von Flüchtlingen, die vor geschlechtsspezifischer und
nichtstaatlicher Verfolgung Schutz suchen, sei nicht akzeptabel.
Die Führungsspitzen
der CDU und der CSU stehen dabei geschlossen hinter Stoiber. Diesmal
soll es der Regierung nicht wie bei der Abstimmung über die
Steuerreform gelingen, einzelne Länder mit christdemokratischer
Regierungsbeteiligung aus der Ablehnungsfront herauszubrechen. »Geschichte
wiederholt sich nicht«, verspricht die CDU-Vorsitzende Angela Merkel.
Stoiber soll sogar mit dem Rücktritt von seiner Kanzlerkandidatur
gedroht haben, sollte das rot-schwarz regierte Land Brandenburg im
Bundesrat für das Gesetz stimmen.
Der Wahlkampf der Union
wird sich aber nicht nur gegen Einwanderung richten, er könnte von
einer deutschtümelnden Kampagne flankiert werden. Für die heiße
Phase des Wahlkampfs werde eine »größere Veranstaltung« zum Thema
»Patriotismus und Grundwerte« geplant, heißt es aus CDU-Kreisen.
Der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) erklärte, seine
Partei setze im Wahlkampf auf eine »vernünftige Form von deutschem
Selbstbewusstsein«. Bei diesem Thema zeige die Bundesregierung Schwäche.
»Die Liebe zum Vaterland ist aber nichts, für das man sich
entschuldigen muss«, sagte er der Bild-Zeitung.
Mit ihrer Verweigerung
beim Zuwanderungsgesetz nimmt die Union jedoch ernste Verstimmungen
vaterlands- und vor allem standortliebender Bündnispartner in Kauf.
So forderte der Vizepräsident des Bundesverbandes der Deutschen
Industrie (BDI), Hans-Olaf Henkel, die Union eindringlich dazu auf, »das
Gesetz der Bundesregierung nicht zu blockieren«. Abseits der
Stammtische wisse jeder, dass es ein Problem gebe, Spitzenkräfte aus
dem Ausland nach Deutschland zu holen. Der Präsident des Deutschen
Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Ludwig Georg Braun, warnte:
»Die Reformfähigkeit des Standortes Deutschland darf auch in
Wahljahren nicht völlig zum Erliegen kommen«.
Deutliche Töne kommen
auch von den Kirchen. Der Vorsitzende des Rates der Evangelischen
Kirche (EKD), Manfred Kock, kritisierte, dass die Union das
Nachzugsalter für Kinder unter zwölf Jahre senken wolle. Und der
katholische Kardinal Georg Sterzinsky bezeichnete die Haltung der
Union in der Zuwanderungsfrage als »Schande«. Doch das dürfte den
Christen Stoiber wenig kümmern, sollte er demnächst Kanzler sein.
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