06.03.2002

Startseite
Jungle World

   Stoiber steuert nicht
Von Pascal Beucker

Wenn es gegen Ausländer und um den Wahlsieg geht, stimmt die Union sogar gegen die eigenen Konzepte.

Edmund StoiberDer Rente nahe, nahmen die drei Christdemokraten noch mal all ihren Mut zusammen. »Die Frage, welches Schicksal Kinder und Erwachsene erleiden, wenn sie als Flüchtlinge in Deutschland Schutz suchen, ist für uns ethisch von genauso großer Bedeutung wie etwa die Frage des Embryonenschutzes«, erklärten Heiner Geißler, Rita Süssmuth und Christian Schwarz-Schilling am vergangenen Freitag im Bundestag. Der Entwurf der rot-grünen Koalition sei zwar nicht perfekt, bringe aber den betroffenen Menschen Verbesserungen. Und so stimmten die drei christdemokratischen Abweichler dem von der Bundesregierung vorgelegten Zuwanderungsgesetz zu.

Zuvor hatte die rot-grüne Koalition alles versucht, die Union noch umzustimmen. In letzter Sekunde wurde in den Entwurf hineingeschrieben, dass das Gesetz vor allem der Begrenzung des Zuzugs von Ausländern diene. Doch es half nichts, die CDU und die CSU blieben bei ihrer Linie, den Entwurf für Flüchtlingshilfegruppen schön zu reden. Das Gesetz bedeute einen »Paradigmenwechsel«, verkündeten wortgleich der Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz (CDU) und sein Stellvertreter Michael Glos (CSU). Es gehe darum, »eines der großen Projekte insbesondere der grünen Partei« zu realisieren, meinte Merz im Bundestag, den »Wechsel hin zu einer multikulturellen Einwanderungsgesellschaft«. Das Gesetz bringe »noch mehr Zuwanderung in die sozialen Sicherungssysteme«. Glos versicherte, das sei mit den Unionsparteien nicht zu machen. Sie würden nicht nur im Bundestag gegen das Gesetz votieren, sondern auch dafür sorgen, dass es am 22. März im Bundesrat scheitere.

Dabei hatten sich vor allem die Sozialdemokraten große Mühe gegeben, den Eindruck zu vermeiden, das rot-grüne Zuwanderungsgesetz sei von allzu großer Liberalität und Humanität geprägt. In der Bild-Zeitung hatte der niedersächsische Ministerpräsident Sigmar Gabriel (SPD) um die Stimmen der Konservativen mit dem Argument geworben, das Gesetz sei dringend notwendig, um »Masseneinwanderung« zu verhindern. Angesichts von vier Millionen Arbeitslosen könne die Bundesrepublik schließlich »keine Ausländer gebrauchen, die unsere Sozialsysteme belasten, statt sie zu entlasten«. In der Bundestagsdebatte warf Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) der Union vor, mit ihrer Ablehnung entscheide sie sich »für die ungesteuerte Zuwanderung und gegen die wirtschaftlichen Interessen«. Die Union wolle nicht sehen, dass zahlreiche Passagen aus CDU-Konzepten wörtlich in den Gesetzesentwurf übernommen wurden. Christdemokraten und Christsoziale seien technikfeindlich, da sie nicht einmal in der Lage seien, »die Bretter von ihren Köpfen zu montieren«.

Schilys Ärger ist verständlich. Denn die Blockadepolitik der Union ist rein taktisch bedingt. Inhaltlich unterscheiden sich die CDU/CSU und die SPD nur in Nuancen. Konsens zwischen den Parteien ist, dass hochqualifizierte Ausländer erwünscht sind, Armutsmigranten jedoch nicht. »Begrenzung der Zuwanderung und Offenheit für die hellsten Köpfe«, seien für ihn zentrale Ziele, erläuterte der Kanzlerkandidat Edmund Stoiber (CSU) unmittelbar vor der Bundestagsentscheidung. Genau dies sieht der rot-grüne Gesetzesentwurf vor. Von den Träumen der Grünen, ein Gesetz zu schaffen, das das Land in die Lage versetzt, »auf Einwanderungsprozesse sozial, human und demokratisch zu reagieren«, wie es die Partei 1998 in ihrem Bundestagswahlprogramm forderte, ist nicht viel übrig geblieben.

Nicht umsonst bezeichnet die Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge Pro Asyl den Entwurf als »Reformruine«. Er sei »in weiten Teilen eine Neuauflage altmodischen Fremdenabwehrrechts«. Mit Ausnahme der Verbesserung bei der Anerkennung nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung bringe der Entwurf »weniger Lösungen als neue Probleme für die Betroffenen«. Viele Tausende bisher in Deutschland nur geduldeter Personen hätten weiterhin keine Chance auf eine Aufenthaltserlaubnis. Verschärfungen des Asylbewerberleistungsgesetzes, die Einrichtung von Ausreisezentren und die Ausweitung der Residenzpflicht seien »keinesfalls das, was Flüchtlinge und die sie unterstützenden gesellschaftlichen Gruppen von einer rot-grünen Bundesregierung erwartet haben«.

Eigentlich hätte Stoiber mit dem Gesetz also zufrieden sein können. Doch er will im Wahlkampf auf das Thema Einwanderung nicht verzichten. Deshalb behauptet er, der rot-grüne Entwurf würde »von unserer Zielsetzung immer noch diametral abweichen«. Notwendig sei eine noch deutlichere Betonung der Begrenzung von Migration als Gesetzeszweck. Außerdem müsse das Nachzugsalter für Kinder in Deutschland lebender Ausländer auf zehn Jahre oder noch weiter gesenkt werden. Auch die rechtliche Besserstellung von Flüchtlingen, die vor geschlechtsspezifischer und nichtstaatlicher Verfolgung Schutz suchen, sei nicht akzeptabel.

Die Führungsspitzen der CDU und der CSU stehen dabei geschlossen hinter Stoiber. Diesmal soll es der Regierung nicht wie bei der Abstimmung über die Steuerreform gelingen, einzelne Länder mit christdemokratischer Regierungsbeteiligung aus der Ablehnungsfront herauszubrechen. »Geschichte wiederholt sich nicht«, verspricht die CDU-Vorsitzende Angela Merkel. Stoiber soll sogar mit dem Rücktritt von seiner Kanzlerkandidatur gedroht haben, sollte das rot-schwarz regierte Land Brandenburg im Bundesrat für das Gesetz stimmen.

Der Wahlkampf der Union wird sich aber nicht nur gegen Einwanderung richten, er könnte von einer deutschtümelnden Kampagne flankiert werden. Für die heiße Phase des Wahlkampfs werde eine »größere Veranstaltung« zum Thema »Patriotismus und Grundwerte« geplant, heißt es aus CDU-Kreisen. Der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) erklärte, seine Partei setze im Wahlkampf auf eine »vernünftige Form von deutschem Selbstbewusstsein«. Bei diesem Thema zeige die Bundesregierung Schwäche. »Die Liebe zum Vaterland ist aber nichts, für das man sich entschuldigen muss«, sagte er der Bild-Zeitung.

Mit ihrer Verweigerung beim Zuwanderungsgesetz nimmt die Union jedoch ernste Verstimmungen vaterlands- und vor allem standortliebender Bündnispartner in Kauf. So forderte der Vizepräsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Hans-Olaf Henkel, die Union eindringlich dazu auf, »das Gesetz der Bundesregierung nicht zu blockieren«. Abseits der Stammtische wisse jeder, dass es ein Problem gebe, Spitzenkräfte aus dem Ausland nach Deutschland zu holen. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Ludwig Georg Braun, warnte: »Die Reformfähigkeit des Standortes Deutschland darf auch in Wahljahren nicht völlig zum Erliegen kommen«.

Deutliche Töne kommen auch von den Kirchen. Der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche (EKD), Manfred Kock, kritisierte, dass die Union das Nachzugsalter für Kinder unter zwölf Jahre senken wolle. Und der katholische Kardinal Georg Sterzinsky bezeichnete die Haltung der Union in der Zuwanderungsfrage als »Schande«. Doch das dürfte den Christen Stoiber wenig kümmern, sollte er demnächst Kanzler sein.


© Pascal Beucker. Alle Rechte an Inhalt, Gestaltung, Fotos liegen beim Autor. Direkte und indirekte Kopien, sowie die Verwendung von Text und Bild nur mit ausdrücklicher, schriftlicher Genehmigung des Autors.