10.04.2002

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Jungle World

*   Kein bisschen Toleranz
Von Pascal Beucker

Nach den Wahlen in Sachsen-Anhalt könnte die SPD auf den dritten Platz zurückfallen. Die PDS hofft auf ihren ersten Ministerpräsidenten.

Nein, den Spruch konnte sich Gunter Heise nicht verkneifen. „Rotkäppchen hat Mumm“, ließ der Geschäftsführer der Rotkäppchen-Sektkellerei im sachsen-anhaltinischen Freyburg in Anzeigen verkünden, nachdem er Anfang des Jahres die westdeutsche Kellerei übernommen hatte. Und dann feuerte der Ossi fünf Manager aus dem Westen.

Ein ehemaliger DDR-Betrieb schluckt einen angeschlagenen Konkurrenten aus dem Westen. Ach, wenn es doch öfter so wäre! denkt sich in diesen Tagen vielleicht der sachsen-anhaltinische Ministerpräsident Reinhard Höppner (SPD). Denn dann wäre seine Wiederwahl gesichert. So aber ist sie es nicht.

Dabei schien ausgerechnet Edmund Stoiber seinem Amtskollegen in Magdeburg Schützenhilfe leisten zu wollen. Denn der Kanzlerkandidat hatte sich verschätzt. Die Union werde die Landtagswahl am 21. April zur Abstimmung über das rot-grüne Einwanderungsgesetz machen, kündigte er nach der umstrittenen Entscheidung im Bundesrat an. (Jungle World, 14/02) Und erntete heftige Reaktionen.

Reinhard Höppner schimpfte, Stoiber sei nur daran interessiert, „den von ihm inszenierten Machtkampf auf dem Rücken der Ostdeutschen auszutragen, und das finde ich ziemlich katastrophal“. Bei einem Ausländeranteil von etwa 1,7 Prozent sei schließlich nicht die Einwanderung, sondern die hohe Arbeitslosigkeit und die wirtschaftliche Entwicklung das Problem in Sachsen-Anhalt.

Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, Ludwig Stiegler, bezichtigte seinen bayerischen Landsmann gar: „Jetzt läuft Stoiber in dieser Sache Amok.“ Die Zuwanderung zum Wahlkampfthema zu machen, sei „eine schweinische Spekulation auf das Erbe der DVU“. Und selbst in der Union ist Stoibers plumpe Strategie umstritten. Wer das Thema Zuwanderung mit Plakaten und Fernsehspots in den Vordergrund rücken wolle, „der ist reif für die Psychiatrie“, warnte Heiner Geißler, der liberale graue Panther der CDU.

Da er sich offensichtlich nicht wirklich entscheiden kann, welches Image er im Wahlkampf verkörpern will, ruderte Stoiber Mitte vergangener Woche eilig zurück. Alles sei nur ein Missverständnis gewesen, beteuerte er. Vielmehr stimme er ausdrücklich mit Angela Merkel und dem CDU-Spitzenkandidaten in Sachsen-Anhalt, Wolfgang Böhmer, überein, dass das zentrale Thema „die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Landes“ sei.

Stoibers Einfall war einer politischen Fehlkalkulation geschuldet. Allzu sehr dürften die sachsen-anhaltinischen Christdemokraten gar nicht vom Niedergang der Deutschen Volksunion (DVU) profitieren, die bei der letzten Wahl noch mit einem Rekordergebnis von 12,9 Prozent Furore machte. Denn den rechten Rand der Wählerschaft will auch die Schill-Partei für sich gewinnen. Der CDU werden zur Zeit zwar 33 Prozent der Stimmen vorausgesagt, womit sie ihr Ergebnis von 1998 immerhin um zwölf Prozentpunkte verbessern würde. Doch eine absolute Mehrheit ist nicht in Sicht. Auch zusammen mit der FDP, die vor vier Jahren mit 4,2 Prozent den Sprung ins Parlament verpasste und jetzt, glaubt man den Umfragen, auf acht Prozent und einen Wiedereinzug in den Landtag hoffen kann, würde es nicht reichen. Und die Schill-Partei, eine andere mögliche Koalitionspartnerin, muss noch um den Einzug in den Landtag bangen und liegt in den Umfragen nur bei fünf Prozent.

Für die SPD bahnt sich jedoch nach all den Katastrophen der vergangenen Wochen die nächste an. Ausgerechnet im Jahr der Bundestagswahl scheinen die Genossen von Krise zu Krise zu schlittern - vom Airbus-Debakel über die schlechten Arbeitsmarktdaten bis hin zur Kölner Parteispendenaffäre.

Das Problem in Sachsen-Anhalt hat indes auch mit dem Spitzenkandidaten zu tun, der, toleriert von der PDS, seit acht Jahren das Land regiert. In einer Umfrage zur Beliebtheit der Landespolitiker landete Höppner kürzlich auf Platz neun, hinter der Fraktionsvorsitzenden der PDS, Petra Sitte, und auch hinter seinem Innenminister Manfred Püchel.

Es sieht schlecht aus für den seit 1994 amtierenden Ministerpräsidenten. Die nächsten eineinhalb Wochen könnten zu seiner Abschiedstournee werden. Zwar wehrt sich Höppner tapfer „gegen Miesmacherei und das ewige Schlechtreden“, preist an, dass Sachsen-Anhalt „Spitze bei den Investitionen“ sei und „jedem jungen Menschen ein Ausbildungsplatz zur Verfügung gestellt“ werde. Doch die Realität sieht ein bisschen anders aus.

Jeder fünfte Auszubildende aus Sachsen-Anhalt beginnt seine Lehre in einem westlichen Bundesland. Nicht die Zuwanderung ist das Problem, sondern die Abwanderung. Von 100 000 Einwohnern ziehen im Schnitt jährlich 744 weg, das ist deutscher Rekord. Sachsen-Anhalt ist auch das Bundesland mit der höchsten Arbeitslosenrate. Sie betrug im August vergangenen Jahres 19,2 Prozent. Im Jahr 2001 sank das Bruttoinlandsprodukt um 0,6 Prozent. Und das Einkommen pro Kopf liegt unter dem ostdeutschen Durchschnitt.

„Das Land hat Schwierigkeiten, das wird der Regierungspartei angelastet“, gibt der Vorsitzende der sachsen-anhaltinischen SPD, Rüdiger Fikentscher, unverhohlen zu. Und da hat er Recht. In den jüngsten Umfragen rangiert die SPD nicht nur mit 24 Prozent weit hinter der CDU, sondern auch noch zwei Punkte hinter der PDS.

So könnte nach der Wahl eine vertrackte Situation entstehen. Denn selbst wenn es am 21. April für eine rot-rote Koalition der SPD und der PDS reichen sollte, könnte Höppner trotzdem sein Amt verlieren. „Wenn die PDS am 21. April mit deutlichem Abstand vor der SPD liegt und mit diesem Ergebnis eine rot-rote Koalition gebildet wird, dann ist es doch ein ganz normaler Vorgang, dass der stärkere Koalitionspartner den Regierungschef stellt“, erklärte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der PDS im Landtag, Matthias Gärtner, bereits selbstbewusst. Höppners Nachfolger soll der Vorsitzende der PDS-Bundestagsfraktion, Roland Claus, werden. Petra Sitte gab bereits zu: „Ja, er ist einer von mehreren Kandidaten.“

Auf solche Muskelspiele reagiert Höppner ungewohnt wütend. „Die PDS sollte sich lieber mit den wirklichen Problemen beschäftigen und nicht mit solchen Spinnereien, basta!“ sagte der ansonsten betulich und sachlich wirkende Sozialdemokrat. In Sachsen-Anhalt werde es keinen Ministerpräsidenten von der PDS geben. „Das ist aus grundsätzlichen Erwägungen weder mit mir noch mit der SPD in Sachsen-Anhalt zu machen.“

Dieses Bekenntnis aber könnte dem Land Brandenburger Verhältnisse bescheren - nur mit umgekehrten Vorzeichen. Für Höppner könnte doch noch ein repräsentatives Amt abfallen, unken die Genossen bereits, nämlich das des Vizepräsidenten im Landtag. Aber vielleicht übernimmt das dann auch Manfred Püchel.

Mit solchen Problemen müssen sich die Grünen erst gar nicht herumschlagen. Die Partei, die bei der letzten Wahl schwach mit 3,2 Prozent der Stimmen abschnitt, wird voraussichtlich auch im nächsten Landtag nicht vertreten sein. In Sachsen-Anhalt dürfte es der Partei schon gar nicht gelingen, den Trend der letzten Landtagswahlen, in denen im Schnitt ein Drittel der Wähler verloren ging, umzukehren. Passenderweise lautet ihr Wahlspruch denn auch: „Du hast keine Chance - nutze sie!“

Damit die Berliner Regierungspartei am 21. April, trotz eines vor kurzem umjubelten neuen Parteiprogramms, nicht völlig untergeht, schickt sie ihre besten Leute durch das Land. Umweltminister Jürgen Trittin musste am vergangenen Freitag von Wörlitz nach Dessau radeln, Fritz Kuhn besichtigte am Samstag Sangerhausen, und Außenminister Joseph Fischer tritt am Donnerstag im Theater von Halberstadt auf.

Eine neue Auflage einer tolerierten rot-grünen Minderheitsregierung ist aber nicht nur wegen der Schwäche der Grünen so ziemlich das einzige Modell, das keine Chancen hat, sondern auch weil die „Sozialisten“ von Höherem träumen: Vom ersten Ministerpräsidenten der PDS.


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