19.06.2002

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Jungle World

*   Europa siegt
Von Pascal Beucker

Wahlen in Tschechien.

Vor einigen Monaten sah die konservative Bürgerliche Demokratische Partei (ODS) des ehemaligen Premiers Vaclav Klaus noch wie der sichere Sieger aus. Tschechien schien sich in den westeuropäischen Rechtstrend einzufügen. Aber in Mittel- und Osteuropa können Sozialdemokraten weiterträumen, hier sind die Hoffnungen auf einen sozial abgefederten Kapitalismus noch nicht verflogen.

In Polen und Ungarn siegten in den vergangenen Wahlen die sozialdemokratisch gewendeten Postkommunisten. Und in Tschechien behauptete sich jetzt die nach der »samtenen Revolution« von 1989 neu gegründete sozialdemokratische CSSD, die unter dem derzeitigen Premier Milos Zeman Mitte der neunziger Jahre von einer Klein- zur Regierungspartei aufgestiegen war.

Im Prager Unterhaus werden auch in der kommenden Legislaturperiode nur die fünf Parteien vertreten sein, die dort schon saßen. Die CSSD bleibt mit 30,2 Prozent die stärkste Kraft vor der ODS, die nur 24,5 Prozent erreichte, und der Kommunistischen Partei Böhmens und Mährens (KSCM) mit 18,5 Prozent. An vierter Stelle folgt ein Bündnis aus der christdemokratischen Volkspartei (KDU-CSL) und der rechtsliberalen Freiheitsunion (US-DEU) mit 14,3 Prozent. Die Grünen scheiterten mit 2,4 Prozent an der Fünfprozenthürde.

Die Sozialpolitik war eine der entscheidenden Differenzen zwischen CSSD und ODS. Während Vaclav Klaus verkündete, »der Mensch hat nur die Rechte, die er sich leisten kann«, versprach der Sozialdemokrat Vladimir Spidla, der Nachfolger Zemans, aus Tschechien einen »modernen Sozialstaat in der Europäischen Union« zu machen. Er lehnte sich in seiner Programmatik an den ehemaligen französischen Premier Lionel Jospin und an das skandinavische Modell an.

Auch der KSCM-Vorsitzende Miroslav Grebenicek führte den Sieg seiner Partei, die als einzige Stimmen hinzugewinnen konnte, und zwar 7,5 Prozentpunkte, auf ihr Engagement für »soziale Gerechtigkeit« zurück. Die nicht gewendeten Kommunisten gewannen ihre Stimmen vor allem in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit, besonders in Gebieten an der Grenze zu Österreich.

In einem anderen wichtigen Konflikt lässt der Wahlausgang keine klare Entscheidung erkennen: in der Europapolitik. Zwar kamen sowohl die zum Teil schrille Betonung »nationaler Interessen« als auch der demonstrative EU-Skeptizismus der ODS bei den Wählern nicht an, doch eine Entscheidung für die EU lässt sich daraus nicht ablesen. Denn auch die Kommunisten stehen für eine betont nationalistische, der EU feindliche Politik. So verfügen die »europäischen« Parteien im neuen Parlament nur über eine denkbar knappe Mehrheit von 101 zu 99 Stimmen.

Eine große Mehrheit gibt es hingegen in einer anderen Frage: dem Umgang mit den Benes-Dekreten. Von den Konservativen über die Sozialdemokraten bis zu den Kommunisten sind sich die Parteien einig, den sudetendeutschen Gelüsten auch weiterhin eine eindeutige Absage zu erteilen. So zerstörte der designierte Ministerpräsident Spidla etwaige revanchistische Hoffnungen der deutschen Berufsvertriebenen bereits vor der Wahl.

Er sehe keine Möglichkeit, dass das Prager Parlament irgendwann die Benes-Dekrete für unrechtmäßig erklären könnte, sagte der studierte Historiker kürzlich auf eine entsprechende Frage der Süddeutschen Zeitung. Die Aussiedlung der Sudetendeutschen sei »eine der Quellen des künftigen Friedens« gewesen. Die damalige Generation habe das Recht gehabt, Frieden zu schaffen, und »wir haben kein Recht, an diesem Frieden zu rütteln«, meinte er. Das hätte Zeman nicht besser sagen können.


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