10.07.2002

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Jungle World

*   Eine Woche in der Hölle
Von Pascal Beucker

Mit der Berufung von Katherina Reiche in sein Kompetenzteam ist Edmund Stoiber ein Coup gelungen. Sonst geht gerade alles schief.

Die vergangene Woche war wirklich die Hölle für Joachim Meisner. Zuerst musste der Kölner Kardinal seinen von allen guten Geistern verlassenen Jugendchor St. Stephan kräftig zur Räson bringen. Der hatte doch tatsächlich am Samstag auf dem Straßenfest zum Christopher Street Day in Köln auftreten wollen. Ungeheuerlich! In letzter Sekunde unterband Meisner das perverse Treiben seiner Schäfchen. Eine Beteiligung des Pfarrchors hätte in der Öffentlichkeit als Beteiligung der katholischen Kirche an diesem skandalösen Teufelszeug gesehen werden können. Wehret den Anfängen!

Das wird sich der Kölner Erzbischof auch gedacht haben, als ihn die Nachricht vom zweiten teuflischen Ärgernis der Woche erreichte. Dass ausgerechnet der ansonsten so gottesfürchtige Edmund Stoiber am Mittwoch vergangener Woche eine ledige hochschwangere Frau mit unehelichem Kind in sein »Kompetenzteam« berief, trieb Meisner die heilige Zornesröte ins Gesicht. »Für eine Partei, die das Wort 'christlich' im Namen führt, ist diese Entscheidung nicht hinnehmbar«, tobte Meisner. Angesichts der gesellschaftlichen Wirklichkeit sei die Nominierung Katherina Reiches zwar kaum überraschend, weil ein großer Teil der Bürger das christliche Ehe- und Familienideal nicht mehr akzeptiere. »Aber dann wäre es konsequenter und vor allem ehrlicher, das 'C' aus dem Parteinamen zu streichen, statt in dieser Weise das christliche Ehe- und Familienbild zu demontieren.«

Besonders entlarvend sei die Begründung Stoibers, die Nominierung von Reiche zeige, dass die Union keine »rückwärtsgewandte« Ehe- und Familienpolitik betreibe. Wer so etwas propagiere, betreibe das Ende einer christlichen Ehe- und Familienpolitik, ereiferte sich Meisner: »Für viele Christen ist das Verhalten von Herrn Dr. Stoiber skandalös.«

Doch auch für Edmund Stoiber war es keine glückliche Woche. Zuerst ließ sich die Union von den Vorschlägen der Hartz-Kommission zur Reform des Arbeitsmarktes überraschen. Hektisch kommentierten der Kanzlerkandidat und sein Wirtschaftsfachmann im »Kompetenzteam« die Vorschläge - leider unterschiedlich. Während Lothar Späth von »revolutionären Ideen« fabulierte, brandmarkte Stoiber die Kommissionspläne als unsozial. In der Wahlkampfzentrale der SPD jubilierte man, und die Welt warnte erschrocken: »So gefährdet Stoiber sein Reformer-Image.« Ein schnell von der CDU/CSU-Fraktion vorgelegter Bundestagsantrag, mit dem wieder Geschlossenheit demonstriert werden sollte, blieb wirkungslos.

Was nicht zuletzt an Stoiber lag. Denn er lieferte der Regierungskoalition am Freitag noch vor der Abstimmung über den Unionsantrag die nächste Steilvorlage. Statt im Bundestag auf die Regierungserklärung Gerhard Schröders zur Wirtschaftspolitik zu antworten, redete er lieber in einem Berliner Hotel unweit des Reichstages. Seine Erklärung, warum er nicht im Parlament aufgetreten sei: »Die Leute überbewerten den Bundestag.« Die Regierung ließ sich die Gelegenheit zur wahlkampfgerechten Empörung nicht entgehen. Kleinlaut musste Stoiber Abbitte leisten, es habe sich nur um ein Missverständnis gehandelt.

Wäre da nicht die Präsentation Katherina Reiches gewesen, hätte Stoiber diese Woche komplett als Flop verbuchen können. Aber mit der Wahl der 28jährigen Brandenburgerin ist ihm ohne Zweifel ein Coup gelungen. Denn mit seiner Personalauswahl hatte er bisher nur wenig beeindrucken können. Die Nominierungen Wolfgang Schäubles und Lothar Späths erinnerten eher an die Konstituierung einer christdemokratischen Variante des PDS-Ältestenrates. Annette Schavan wirkt bei ihren Auftritten stets wie eine jener altbackenen Grundschullehrerinnen, die keiner leiden kann. Dazu kommt der unsympathische Streber Friedrich Merz.

Auch diejenigen, deren Berufung noch bevorsteht, versprühen wenig Charme: Während Horst Seehofer die Kontinuität der modrigen Kohl-Ära verkörpert, steht Günther Beckstein für jene ins Rechtsextreme tendierende politische Linie christsozialer Politik, mit der Stoiber bis zum Wahltag nicht in Verbindung gebracht werden will, um Wähler der Mitte nicht zu verschrecken.

Und nun Reiche. Sie kommt nicht nur aus dem Osten, ist jung und eine Frau, sondern soll im Unterschied zum kohlschen Fräuleinwunder Claudia Nolte vor allem als Nachweis dienen, dass der Kanzlerkandidat doch nicht ganz so mittelalterlich und hinterwäldlerisch denkt, wie es sich für jemanden gehört, der noch unlängst gegen das Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts empört Sturm lief, weil er das christliche Abendland in Gefahr sah.

Dabei wäre Reiche gar nicht besonders aufgefallen, hätten nicht Heckenschützen aus den eigenen Reihen und Kirchenvertreter sie noch vor ihrer Präsentation unter Beschuss genommen. Stoiber konnte erst seine »Fortschrittlichkeit« demonstrieren, nachdem die Fundamentalisten gefordert hatten, eine in »wilder Ehe« Lebende dürfe nicht für die Familienpolitik im »Kompetenzteam« zuständig sein.

Zur Inszenierung gehörte, dass der Kanzlerkandidat, der nur wenige Gelegenheiten auslässt, darauf hinzuweisen, dass er im Gegensatz zum Kanzler seit 34 Jahren mit derselben Frau verheiratet ist, angesichts der Kritik aus den eigenen Reihen zu wackeln schien und dann doch standhielt. Noch Ende Juni traf sich Stoiber mit Reiche und der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel zum »Krisengespräch«. Danach hieß es, Reiche solle zwar weiterhin ins Wahlkampfteam berufen werden, sich allerdings dort nicht mit dem Thema Familie beschäftigen. Dafür solle vielmehr der anständig verheiratete Familienvater Seehofer zuständig sein. Doch davon war am Mittwoch keine Rede mehr. »Sie wird für Frauenpolitik, Jugendpolitik und Familienpolitik zuständig sein«, verkündete Stoiber. Die Debatte der letzten Tage habe er »mit Schmunzeln verfolgt«, und wer meine, »Frau Reiche persönlich zu kritisieren, der wende sich bitte an mich«.

Sichtlich zufrieden mit seinem Auftritt, teilte Stoiber auch noch in Richtung der SPD aus. Die Sozialdemokraten versuchten seit geraumer Zeit mit dem »alten und falschen Klischee«, die Union wolle die Frauen zurück an den Herd drängen, Stimmung zu machen. Mit der Nominierung beweise die Union hingegen, dass sie »mitten in der Gesellschaft steht«. Das war natürlich geflunkert. Denn andernfalls hätte er die Diplom-Chemikerin nicht für die klassischen drei F zuständig erklärt, für die in der Union immer Frauen wegen ihrer »biologischen Kompetenz« verantwortlich sind, sondern für jenes F, für das Reiche auch in der Bundestagsfraktion zuständig ist: die Forschungspolitik. Schließlich ist Reiche die Sprecherin ihrer Fraktion für Humangenetik.

Trotzdem hat Stoiber eine originelle Wahl getroffen. Denn immerhin ist Rudi Dutschke, der wie sie aus Luckenwalde stammt, für Katherina Reiche »der größte Sohn der Stadt« - weil er »schon immer für die Wiedervereinigung und gegen Gewalt war«. Diese Ansicht dürften nicht viele in der Union teilen. Eine Schule möchte sie allerdings doch nicht nach ihm benennen: »Stellen Sie sich vor, Sie bewerben sich in Bayern mit einem Zeugnis aus Brandenburg und kommen obendrein noch von der Rudi-Dutschke-Schule. Da nimmt Sie doch keiner.«

Dieses »Einerseits-andererseits-System« (taz) praktiziert Reiche auch in anderen Fragen. Da erklärt sie zwar auf ihrer Internetseite einerseits, dass »neue Familienstrukturen unsere Gesellschaft bunter, reicher und lebendiger machen«. Doch andererseits schreibt sie, dass die Ehe trotz hoher Scheidungsraten zu den »wirksamsten, verbindenden Grundlagen der Lebensgemeinschaft Familie« zähle. Auch gegen gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften hat sie grundsätzlich nichts. Doch weil solche Partnerschaften »nicht auf Kinder angelegt sind, entsprechen sie nicht der Natur der Sache«.

So ist Stoiber mit der Benennung Reiches nicht wirklich ein Risiko eingegangen. Auch die konservativen Zweifler werden sie bald in ihr Herz schließen. Denn wenn sie einerseits unverheiratet mit einem CDU-Landespolitiker zusammenlebt, wird sich das andererseits wohl bald ändern. »Es steht fest, dass wir heiraten, aber wie, wann und wo bleibt unsere Privatsache.« Vielleicht lädt sie ja zur Hochzeit auch Kardinal Meisner ein. Zur Versöhnung nach dem Wahlsieg.


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