31.07.2002

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Jungle World

*   Das Hunzinger-Archiv
Von Pascal Beucker

Der PR-Unternehmer Moritz Hunzinger hatte nicht nur mit Rudolf Scharping und Cem Özdemir zu tun. Seine Adressenkartei ist ein Who's who der deutschen Politik.

Gerne hätte er am Großen Zapfenstreich für seinen Freund teilgenommen. Doch Moritz Hunzinger musste am vergangenen Montag bei der Verabschiedung Rudolf Scharpings zu Hause bleiben. Es sei keine persönliche Einladung an den PR-Unternehmer ergangen und das Kartenkontingent sei erschöpft, erklärte ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums lapidar. Nein, Hunzinger hat es nicht leicht dieser Tage. Keiner will ihn mehr kennen, keiner mit ihm gesehen werden. Und das ist bitter für einen »Beziehungsmakler«.

In der Sondersitzung des Bundestages zur Vereidigung des neuen Verteidigungsministers Peter Struck (SPD) am vorigen Donnerstag dauerte es über eine Stunde, bis der Name des Mannes fiel, der der Auslöser für den Sturz Scharpings war. Es blieb dem PDS-Fraktionsvorsitzenden Roland Claus vorbehalten, den umtriebigen Hunzinger zu erwähnen und zu fragen: »Ist denn in diesem Land alles käuflich?« Doch den Test, ob auch die PDS dem Geldsegen des 43jährigen widerstehen würde, braucht die Partei nicht anzutreten. Auf seiner Liste stünden nur Politiker von »demokratischen Parteien«, erklärte Hunzinger.

Die bedachte der »Kontaktkleber«, wie die Zeit ihn nennt, dafür umso großzügiger. Nach den Rechenschaftsberichten von CDU, CSU, FDP, SPD und den Grünen zahlte Hunzinger den Parteien zwischen 1990 und 1999 437 000 Mark. Nach seinen eigenen Angaben will er sogar 1 057 200 Mark gezahlt haben. Die Differenz lässt sich einfach erklären. Hunzinger spendete sowohl als Privatmann als auch über mindestens drei seiner Unternehmen und blieb damit vielfach unter der veröffentlichungspflichtigen Grenze, die bei 20 000 Mark lag. Mit direkter Bestechung hatten die milden Gaben selbstverständlich nie etwas zu tun. Das System Hunzinger setzt auf langfristige Effekte: »In der Welt der Netzwerke gibt es auf Dauer keine Leistung ohne Gegenleistung.«

Dabei unterstützte der frühere »Straßenjunge« (Hunzinger über Hunzinger) gezielt die Politiker, die ihm und seinen zahlungskräftigen Kunden aus der Wirtschaft wichtig waren. So sollen 1998 die Kreisverbände von Volker Rühe, Roland Koch, Rupert Scholz und Friedrich Bohl jeweils 10 000 Mark erhalten haben, der von Theo Waigel sogar 30 000 Mark. Bei der FDP sollen die Wahlkreise von Klaus Kinkel mit 70 000 Mark und der Kreisverband Bonn von Guido Westerwelle mit 25 000 Mark beglückt worden sein. Insgesamt sollen an die Liberalen im Wahljahr 1998 mindestens 165 000 Mark geflossen sein, während der Rechenschaftsbericht nur 105 000 Mark ausweist.

Und selbstverständlich bedachte Hunzinger auch die Sozialdemokraten. Insgesamt 109 000 Mark gingen offensichtlich an die SPD. Scharpings Landesverband Rheinland-Pfalz ist auf der Hunzinger-Liste für das Jahr 1998 mit 10 000 Mark verzeichnet, und auch sein Wahlkreis taucht noch mit ein paar Tausendern auf.

Und die Grünen? In deren Berichten findet sich der Name Hunzinger nicht, aber kassiert haben sie trotzdem. Immer schön unter der Grenze der Veröffentlichungspflicht, durften sie sich immer dann über eine Spende freuen, wenn mal wieder einer der ihren bei Hunzinger zu Besuch war. Der Auftritt des Fraktionsvorsitzenden Rezzo Schlauch in Hunzingers »Politischem Salon« brachte der Partei 20 000 Mark ein, Joschka Fischer gab es für eine Mark weniger, der Aufritt von Renate Künast am 4. Juli brachte ihrem Berliner Landesverband 7 500 Euro ein. Ob und wie viel die Auftritte von Simone Probst, der grünen Staatssekretärin im Umweltministerium, als »Ehrengast« auf dem von Hunzinger organisierten »Parlamentarischen Abend« der SGL Carbon AG und von Fraktionsgeschäftsführerin Katrin Göring-Eckardt auf dem der AXA Colonia Konzern AG der Partei einbrachten, ist nicht bekannt. Insgesamt sollen 52 000 Mark an die Grünen geflossen sein.

Die Grünen müssten »kein schlechtes Gewissen haben, dass sie Vorträge halten«, kommentierte der Parteivorsitzende Fritz Kuhn die Auftritte der grünen Prominenz bei Hunzinger. Es gehöre schließlich zu den Pflichten der Abgeordneten, bei Wirtschaftsvertretern, den Gewerkschaften und Verbänden aufzutreten. Dabei sein ist alles.

Cem Özdemir machte für Hunzinger, der im übrigen auch Schatzmeister der CDU-Sozialausschüsse ist, die billige Nummer: Für seine Teilnahme am »Parlamentarischen Abend« der Thiel Logistik AG am 11. Juni will er gar nichts, für den von Microsoft am 26. Juni gerade mal 2 000 Euro als Parteispende erhalten haben. Aber Özdemir war ja auch in Hunzingers Schuld. 80 000 Mark erhielt er 1999 als zinsgünstigen Privatkredit zur Begleichung von Steuerschulden. Während der eloquente »anatolische Schwabe« seine Uhrenmarke wechselte, da die Junghans-Uhr, die er vorher getragen hatte, ihm »immer Gewissensbisse« beschert habe, »weil die Firma auch im Rüstungsbereich tätig ist«, nahm er bedenkenlos das Geld eines Rüstungslobbyisten an. Oder sollte es Özdemir tatsächlich entgangen sein, dass Hunzinger lange im Aufsichtsrat der Pleite gegangenen Waffenfabrik Erma-Werke saß und die Crème de la Crème der Rüstungsindustrie zu seinen Kunden zählt?

Özdemir störte sich auch nicht daran, dass Hunzinger den Rechtsausleger Roland Koch im hessischen Landtagswahlkampf unterstützte. Kurz vor der Wahl verlegte Hunzingers Verlag Kochs Buch »Vision 21« und bewarb es mit jeweils rund 150 000 Mark in Zeitungsannoncen und Radiospots - mit deutlich mehr Geld, als durch den Verkauf der Auflage hätte verdient werden können. Im Untersuchungsauschuss zur Schwarzgeldaffäre der CDU im hessischen Landtag vermuteten die Grünen und die SPD, es habe sich um eine verdeckte Wahlkampffinanzierung gehandelt.

Es war auch Hunzinger, der beim legendären Abendessen mit Wolfgang Schäuble am 21. September 1994 im Bonner Hotel »Königshof« dem Waffenhändler Karlheinz Schreiber den Tipp gab, »doch mal ein paar Lappen rüberwachsen« zu lassen. Schreiber befolgte den Rat und spendete jene 100 000 Mark, die Schäuble später den CDU-Parteivorsitz kosteten.

Doch erst mit dem Sturz Rudolf Scharpings über ein angebliches Voraushonorar für später zu verfassende Memoiren und dessen gemeinsamen Einkäufen mit Hunzinger bei Herrenausstattern will Özdemir begriffen haben, mit wem er es zu tun hatte. Zu spät: Am Freitag musste er seinen Rücktritt von allen politischen Ämtern bekannt geben. Er wird dem nächsten Bundestag nicht mehr angehören. Zweckentfremdete Flugbonusmeilen und Gerüchte über die riskante Finanzierung einer Eigentumswohnung in Nordrhein-Westfalen gaben ihm den Rest.

Aber auch für Hunzinger dürften härtere Zeiten anbrechen. Sein Großkunde Microsoft Deutschland hat sich von ihm getrennt, und auch andere Unternehmen möchten mit ihm nichts mehr zu tun haben. Die Aktie der Hunzinger Information AG kostete beim Börsengang 1998 noch 110 Mark, heute ist sie für 80 Cent zu haben. Der Kapitalismus frisst seine Berater.


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