11.09.2002

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Jungle World

*   Wir kriegen sie fast alle
Von Pascal Beucker

In Heidelberg wurde in der vorigen Woche offenbar ein Anschlag islamistischer Terroristen vereitelt. Ansonsten sind die deutschen Fahndungserfolge dürftig.

Darauf schien der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) nur gewartet zu haben. Während andere noch über die Hintergründe des offensichtlich für den 11. September geplanten Anschlages in Heidelberg rätselten, wusste der Mann für Law and Order in Edmund Stoibers »Kompetenzteam« bereits Bescheid. Die beiden am vergangenen Donnerstag verhafteten Personen seien keine Einzeltäter, verkündete Beckstein im Brustton der Überzeugung. »Es gibt bislang keinen konkreten Hinweis, aber ich gehe davon aus, dass es sich auf jeden Fall um eine Gruppe handelt«, sagte er am vorigen Samstag in München. Der »sehr ernste Versuch eines terroristischen Anschlags« zeige, dass die Gefahren bisher unterschätzt worden seien und die Sicherheitsgesetze weiter verschärft werden müssten.

Dabei ist bisher nur bekannt, dass der in der Bundesrepublik geborene türkische Staatsbürger Osman P. und seine Verlobte, die US-Amerikanerin Astriz E., offenbar einen Anschlag planten. Die Polizei fand in der Wohnung der beiden in Walldorf bei Heidelberg nach Angaben des baden-württembergischen Innenministers Thomas Schäuble (CDU) 130 Kilo explosive Chemikalien sowie fünf Metallhülsen für die Herstellung von Rohrbomben und elektronische Bauteile für die Zünder. Außerdem stießen die Ermittler auf islamistische Schriften, Bücher über den Bau von Bomben, mehrere Disketten und auf ein Bild Ussama bin Ladens.

Doch schon über das mögliche Anschlagsziel wird heftig spekuliert. Während Schäuble am Freitagabend davon sprach, im Visier seien womöglich Militäreinrichtungen der USA oder die Innenstadt von Heidelberg gewesen, wurde auch das Einkaufszentrum PX in Erwägung gezogen. Die 23jährige Astriz E. arbeitete als Verkäuferin in dem Shopping Center, das auf dem Areal des Oberkommandos der US-Landstreitkräfte in Heidelberg liegt. Sie soll einer Arbeitskollegin geraten haben, sich um den 11. September nicht in der Nähe des Einkaufszentrums aufzuhalten, da dort »etwas passieren« werde. Die Bekannte habe daraufhin die US-Militärpolizei gewarnt, die dann ihre deutschen Kollegen informierte. Bisher ist auch nicht geklärt, ob es sich bei Osman P. tatsächlich um einen »streng gläubigen Moslem« handelt, wie Schäuble berichtete. Seine Nachbarn beschreiben Osman P., der bisher in einer Karlsruher Chemiefirma arbeitete, als »locker«. Der 24jährige sei »an religiösen Dingen überhaupt nicht interessiert« gewesen. »Der hörte doch Rap-Musik, trank Bier und rauchte Haschisch«, meinte ein Nachbar. Tatsächlich ist Osman P. unter anderem wegen Drogendelikten vorbestraft. Festzustehen scheint darüberhinaus nur, dass er Israel und die Juden gehasst und »die Sache der Palästinenser« unterstützt hat. Auch seine Freundin soll aus ihrer antisemitischen Grundhaltung nie einen Hehl gemacht haben, berichteten ihre Kolleginnen.

Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) geht indes nicht davon aus, dass hinter Osman P., der in der Rasterfahndung nicht auffiel, eine organisierte Terrorgruppe stehe. »Nach dem, was ich bisher weiß, handelt es sich um einen Einzeltäter ohne bisher erkennbaren Bezug in ein terroristisches Netzwerk«, sagte Schily.

In der Tat spricht einiges für die These vom Einzeltäter. Allerdings gerieten bisher vor allem organisierte Islamisten arabischer Herkunft ins Visier der Bundesanwaltschaft: die Hamburger Terrorzelle um Mohammed Atta, die Frankfurter Meliani-Gruppe, die zurzeit wegen eines geplanten Sprengstoffanschlags in Strasbourg vor Gericht steht (Jungle World, 18/02), die über die gesamte Bundesrepublik verstreute Zelle der al-Tawhid und der Kreis in der Hamburger Buchhandlung Attawhid.

Menschen türkischer Herkunft traten hingegen bislang nicht als mutmaßliche Angehörige islamistischer Terrornetzwerke in Erscheinung. Der einzige, gegen den Generalbundesanwalt Kay Nehm bisher ermittelte, ist längst wieder auf freiem Fuß. Der Kölner Student Harun Aydin, ein enger Vertrauter Metin Kaplans, des »Kalifen von Köln«, mag vieles sein, ein gemeingefährlicher Terrorist ist er nicht. Als solchen aber präsentierte ihn die Generalbundesanwaltschaft im Oktober des vergangenen Jahres.

Diese Pleite erwähnte Otto Schily nicht, als er Mitte vergangener Woche zusammen mit dem Präsidenten des Bundeskriminalamts (BKA), Ulrich Kersten, eine Bilanz des deutschen Antiterrorkampfes zog. Seit dem 11. September 2001 sei über 23 600 Hinweisen und Spuren nachgegangen worden, berichtete er. Davon seien 17 200 Fälle bereits abgeschlossen. Derzeit würden insgesamt 72 Ermittlungsverfahren mit islamistisch-terroristischem Hintergrund geführt, davon 50 vom BKA. Allerdings zeitigten sie bisher nur wenige konkrete Ergebnisse.

So ist bis heute unklar, was sich tatsächlich hinter der Zelle al-Tawhid verbirgt, die Nehm im April ausgehoben haben will. Insgesamt 23 Objekte wurden seinerzeit durchsucht und zwölf Personen in mehreren deutschen Städten festgenommen. Sieben davon sitzen noch immer in Untersuchungshaft. Die palästinensisch-jordanische Gruppe habe zum Zeitpunkt ihres Auffliegens gerade erste Pläne entwickelt, Anschläge gegen israelische bzw. jüdische Einrichtungen in Deutschland zu verüben, heißt es bis heute nebulös.

Auch die Begründung für den Schlag gegen die Hamburger Attawhid-Buchhandlung im Juli 2002, den Schily in seiner Bilanz positiv erwähnte, wirkt bislang wenig überzeugend. Das Vorgehen habe auf Ermittlungen gegen acht inzwischen namentlich bekannte und weitere bislang nicht bekannte Personen wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung beruht. Die Beschuldigten hätten eine islamistisch-fundamentalistische Grundeinstellung und seien verdächtig, sich in Hamburg zu einer Vereinigung zusammengeschlossen zu haben, um gemeinsam Anschläge zu begehen. Doch Anhaltspunkte für Planungen mit konkreten Anschlagszielen liegen bis heute nicht vor, musste Schily einräumen.

Trotzdem sei die Ermittlungsarbeit nach dem 11. September äußerst erfolgreich gewesen. So sei beispielsweise die Anklage des Generalbundesanwalts gegen Mounir El Motassadeq zustande gekommen. In seiner Anklageschrift vom 23. August wirft Nehm dem 28jährigen Marokkaner die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Beihilfe zum Mord in über 3 000 Fällen vor.

El Motassadeq, der bereits am 28. November 2001 verhaftet wurde, soll als Mitglied der Hamburger Zelle um die Attentäter Mohamed Atta, Marwan Alshehhi und Ziad Jarrah »bis zuletzt in die Attentatsvorbereitungen eingebunden« gewesen sein und habe die »Anschläge in den USA aktiv unterstützt«, ebenso wie Said Bahaji, Ramzi Binalshibh und Zakariya Essabar, nach denen immer noch in der ganzen Welt gesucht wird.

Das haben sie alle mit Ussama bin Laden gemeinsam. Dabei lebt er seit Juli in Köln. Zumindest wenn es nach dem Willen seiner dort wohnenden türkischen Eltern geht. Offiziell ist das Baby noch namenlos. Das Standesamt weigerte sich, den Namen in die Geburtsurkunde einzutragen. Nun muss das Kölner Amtsgericht entscheiden.


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