02.10.2002

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Jungle World

*   Jetzt wird wieder gespurt
Von Pascal Beucker

Die linken Grünen nach dem Wahlsieg.

Es hatte etwas Anrührendes, wie Hans-Christian Ströbele da am Wahlabend im Berliner Tempodrom sich von den grünen Partygästen feiern ließ und ins Mikrofon jauchzte: »Ich sage auch nach der Wahl nein zum Krieg und nein zu Korruption und ja zum Umsteuern in Sachen sozialer Gerechtigkeit!« Und keiner aus der um ihn herum tänzelnden grünen Führungsriege sagte ihm ins Gesicht, was er dachte: Was interessiert's uns?

Fünf linke Störenfriede hat Ströbeles Mitstreiter Winfried Hermann in der neuen grünen Bundestagsfraktion ausgemacht. Neben ihm und Ströbele noch Irmgard Schewe-Gerigk und die Parlamentsneulinge Markus Kurth und Jutta Dümpe-Krüger. Mit Blick auf den geringen Stimmenvorsprung von Rot-Grün fabuliert Hermann bereits von einer »Sperrminorität«. Die neue Legislaturperiode beginnt, das alte Gefasel bleibt.

Erinnert sich noch einer an Karl-Heinz Hansen? Wie Ströbele mit einem Direktmandat ausgestattet, saß er zur Zeit der sozialliberalen Koalition in den siebziger Jahren für die SPD im Bundestag und stimmte unter Missachtung der Fraktionsdisziplin gegen alles, was seinen Grundüberzeugungen widersprach. Ob Berufsverbote, »Anti-Terror«-Gesetze oder Nato-Doppelbeschluss - die SPD war dafür, Hansen stimmte dagegen. Bis die Partei ihn 1981 rausschmiss.

Sie seien damals sechs bis acht linke Abgeordnete gewesen, die in Opposition zur rechten Linie der SPD-Fraktion gestanden haben, hat Hansen einmal im Rückblick erzählt. Auch das reichte damals für eine »Sperrminorität«. Sie ist jedoch nie zum Tragen gekommen. Denn immer wenn es darauf ankam, hätten sich fünf bis sechs der vermeintlichen Dissidenten vorher zusammengesetzt, um zu vereinbaren, wer doch mit der Regierung stimmt, um ihr keine Niederlage zu bereiten.

Das gleiche Verfahren praktizierten Ströbele, Hermann & Co. bei Schröders Vertrauensfrage im vergangenen Jahr. Damals gab es nur zwei grüne Abgeordnete, die auf keinen Fall für einen Kriegseinsatz stimmen wollten. Und die sind in der neuen Fraktion nicht mehr vertreten.

So werden sich Fischers Freunde auch in den kommenden vier Jahren auf ihre »Abweichler« verlassen können - sogar noch besser als zuvor. Ein Hansen ist nicht unter ihnen. Nicht einmal mehr ein Christian Simmert oder eine Annelie Buntenbach. Markus Kurth teilte bereits mit, er sei »nicht nach Berlin gekommen, um Koalitionskrisen zu provozieren«. Die vermeintlichen Störenfriede werden keine deutsche Kriegsbeteiligung, keinen Sozialabbau und keine weitere Aushöhlung des Rechtsstaats verhindern.

Aber desto lauter werden sie dafür an den alternativen Stammtischen in Kreuzberg, Tübingen oder Dortmund die letzten Aufrechten geben. Mit dem Verschwinden der PDS aus dem Bundestag fällt das noch leichter. Damit erfüllen sie die gleiche Funktion für die Grünen, wie einst Gerhart Baum oder Hildegard Hamm-Brücher für die gewendete FDP: Sie halten enttäuschte Wähler bei der Stange.

Ströbele hat den Grünen mit dem Gewinn des Direktmandats die PDS vom Hals geschafft, und er hat ihnen einen Haufen Stimmen von Menschen gebracht, die eigentlich nach vier Jahren rot-grüner Regierung nie wieder grün wählen wollten. Dafür darf er nun weiter den linken Politclown spielen. Locker konterte Joschka Fischer denn auch die Frage, was er von dem Wahlslogan »Ströbele wählen heißt Fischer quälen« halte. »Quält mich, wählt ihn«, habe er vorher gesagt. »Aber nun hat die Qual ein Ende«, meinte er nach der Wahl. Jetzt wird weiter regiert.


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