16.10.2002

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Jungle World

*   Der Mann ohne Fähigkeiten
Von Pascal Beucker

Wolfgang Clement, der künftige Minister für Wirtschaft und Arbeit, ist ein typischer sozialdemokratischer Biedermann mit konservativen Gesellschafts- und neoliberalen Wirtschaftsvorstellungen.

Wolfgang Clement»Ich sage ohne Übertreibung, es gibt niemanden, der so wie Wolfgang Clement in der Lage wäre, diese Aufgabe anzupacken und sie zu meistern«, übertrieb Bundeskanzler Gerhard Schröder am Anfang der vorigen Woche, als er den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Wolfgang Clement als künftigen »Superminister« für Wirtschaft und Arbeit präsentierte.

Auch wenn sich Clement zunächst zierte, das ihm bereits am 15. September hinter verschlossenen Türen und ohne Wissen der bisherigen Amtsinhaber Werner Müller und Walter Riester unterbreitete Angebot anzunehmen, konnte er es gar nicht ablehnen. Denn es verschafft ihm einen guten Abgang aus Düsseldorf, mit dem er nicht mehr hatte rechnen dürfen. Schließlich war das Ende der kurzen Ära Clements als Ministerpräsident des Landes bereits absehbar. Mit Glück hätte er dann bei der nächsten Landtagswahl im Jahr 2005 noch einmal antreten dürfen. Dann wäre es nur noch um die Modalitäten der Übergabe an seinen Nachfolger gegangen.

Nun geht Clement nach Berlin, ohne dass sein Ruf als »Macher« und »Modernisierer«, den er besonders in der Wirtschaft genießt, ernsthaften Schaden gelitten hat. »Ich erwarte, dass wir ein Ministerium für Arbeit und Wirtschaft bekommen und nicht andersherum«, verlangte der DGB-Vorsitzende Michael Sommer deshalb in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Die Gegenseite zeigt sich erfreut über die Ernennung Clements. Michael Rogowski, Präsident des BDI, sagte, er sei »froh, dass da jetzt ein Mann an der Spitze stehen wird, der pragmatisch und offen ist, der standfest ist, der zupackt und vor allem einer, der Gewicht hat in der SPD«. Die Berufung Clements zum neuen »Superminister« der rot-grünen Bundesregierung, so verkündete Rogowski, sei »ein Hoffnungsschimmer, dass die Politik sich etwas unabhängiger macht von gewerkschaftlichen Einflüssen und endlich die Fesseln löst, die sie zunehmend erwürgen«. Die Regierung habe nun die Chance zu zeigen, dass es ihr ernst ist mit einer wirtschaftspolitischen Wende. »Weniger Staat, mehr Markt; weniger Intervention, mehr Wettbewerb; weniger Kollektivismus, mehr Eigenverantwortung, weg vom Umverteilungsdenken hin zur Erschließung von Wachstumspotenzial« - dahin müsse die Reise gehen, so Rogowski.

Dafür ist Clement in der Tat der richtige Mann. In Bochum geboren, verkörpert er jenen unangenehmen Typ des sozialdemokratischen Biedermanns, der konservative Gesellschafts- mit neoliberalen Wirtschaftsvorstellungen verbindet. Wenn es um die Interessen der Unternehmensverbände ging, agierte er, wenn es sein musste, als Ministerpräsident auch gegen die Linie der rot-grünen Bundesregierung. Ob es um sein Nein zur zweiten Stufe der Ökosteuer, seine Ablehnung des Dosenpfands, sein vehementes Eintreten für den Import von und die Forschung mit embryonalen Stammzellen, die Liberalisierung des Ladenschlusses oder sein Faible für neue Technologien und industrielle Großprojekte ging - auf Clement war Verlass. Auch beim Abbau sozialer Standards. Zum Schrecken mancher Sozialdemokraten glänzte er mitten im Bundestagswahlkampf mit dem Plan, im bevölkerungsreichsten Land Studiengebühren einzuführen.

Erstaunlich ist nur, dass sein Image als »Macher« auch außerhalb der Kreise, die von seinem Wirtschaftslobbyismus profitieren, bislang gut ankam. Denn Clement ist vor allem ein Mann der großen Worte und der mageren Resultate. Zu Beginn der Legislaturperiode versprach er dafür zu sorgen, dass es in Nordrhein-Westfalen nicht mehr als 500 000 Arbeitslose gebe. Heute haben über 816 000 Menschen keinen Job. Das von ihm regierte Bundesland fand sich außerdem im ersten Halbjahr 2002 in allen Ländervergleichen zum Wirtschaftswachstum am Schluss der Rangliste, das Bruttoinlandsprodukt ging um ein Prozent zurück und die Haushaltslage in NRW ist desaströs.

Auch sonst hatte Clement während seiner Zeit in der Landesregierung, der er seit 1989 angehört, wenig vorzuzeigen. Angefangen bei dem mit großem Anspruch gestarteten Privatsender Vox, als dessen Pate Clement gilt und der heute nur noch Billigserien abspult, über das Medienprojekt »High Definition Oberhausen«, in dem Hunderttausende Euro an Landesmitteln versickerten und mit dem sich wegen der vermuteten Veruntreuung von Steuergeldern seit 1998 zwei Untersuchungsausschüsse des Landtags befassten, bis zum Magnetschwebezug Metrorapid - immer wieder hatte und hat der gelernte Jurist ein Händchen für Unternehmungen, die scheitern oder zu scheitern drohen.

Zum Verhängnis wird Clement dabei neben seiner Ungeduld auch sein Hang zum vermeintlich »großen Wurf«. Erst einmal von einer Idee überzeugt, prescht er vor, beratungsresistent und ohne Rücksicht auf den richtigen Zeitpunkt, geschweige denn auf die eigene Partei oder den kleineren Koalitionspartner.

So erreicht er nur wenig und trifft dafür häufig Fehlentscheidungen. So wollte er als frisch vereidigter Ministerpräsident Mitte des Jahres 1998 das kleinste Landeskabinett der Republik schaffen und alle möglichen Bereiche zu »Superministerien« zusammenführen, auch das Innen- mit dem Justizministerium. Der Verstoß gegen die Gewaltenteilung wurde ein halbes Jahr später höchstrichterlich gestoppt.

Auch wenn sie wortreich seinen Abgang beklagen, ist die Beförderung Clements ein Glücksfall für die Sozialdemokraten an Rhein und Ruhr. So können sie vielleicht noch die drohende Niederlage der Landespartei verhindern. Denn auch in Wahlen ist Clement ein Verlierer. Bei seiner ersten Landtagswahl als Ministerpräsident im Mai vor zwei Jahren kamen die Sozialdemokraten ausgerechnet in ihrem Stammland nur noch auf verheerende 42,8 Prozent der Stimmen. Ihr schlechtestes Ergebnis seit dem Jahr 1958. Auch bei der Bundestagswahl bescherte er seiner Partei eine blamable Stimmausbeute. Von 46,9 Prozent rutschte sie auf 43 Prozent.

Freuen können sich auch die Grünen des Bundeslandes. Dass die rot-grüne Koalition in NRW überhaupt bis heute hält, ist allein ihrer unerschöpflichen Leidensfähigkeit und Selbstverleugnung zu verdanken. Denn am liebsten hätte Clement nur mit sich selbst regiert. Da das nicht geht, flirtete der gläubige Katholik, der unter Freunden die Zusammenarbeit mit den Grünen auch schon mal als »eine Strafe Gottes« bezeichnete, noch kurz vor der Bundestagswahl mit Jürgen Möllemanns FDP.

Allerdings werden all jene, die ihn nicht vermissen, Clement vielleicht schneller wiedersehen, als es ihm und ihnen lieb ist, als Zeugen eines Untersuchungsausschusses. Seit einigen Wochen beschäftigt sich der Landtag mit Vorwürfen wegen Filz und Vetternwirtschaft gegen den designierten »Superminister«. Es geht um die Auftragsvergabe von zwei landeseigenen Gesellschaften an einen Freund Clements. Er soll für seine Tätigkeit als »Strohmann« der Staatskanzlei bei der Anmietung neuer Räume im Düsseldorfer Stadttor später »Dankeschön-Aufträge« mit einem Gesamtvolumen von mehreren Millionen Euro bekommen haben.

Das behaupten jedenfalls die CDU und die FDP. Außerdem soll auch noch der Verlobte einer Tochter Clements mit Aufträgen ohne eine vorangegangene Ausschreibung bedacht worden sein. Während die Landesregierung alle Vorwürfe zurückweist und von einer »Kampagne« gegen Clement spricht, prüft die CDU nun, ob sie einen Untersuchungsausschuss zur Klärung der Vorwürfe beantragen will. Er würde dann auch »von seinem Zitierrecht Gebrauch machen«, heißt es bereits von der Union.

So könnte der Grünenquäler Clement in seinem neuen Amt nicht nur Fischer, Trittin & Co., sondern auch Schröder noch viel Freude bereiten.


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