06.11.2002

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Jungle World

*   Ihr Name ist Hase
Von Pascal Beucker

Die Krise der FDP.

Die bisherige Strategie der FDP habe sich »im Grundsatz bewährt«, verkündete der Parteivorsitzende Guido Westerwelle nach der Klausurtagung des Partei- und Fraktionsvorstandes am vergangenen Freitag in Berlin. Nur Jürgen W. Möllemann habe sie mit seinen Eskapaden vermasselt. Wie bequem, wenn sich jemand als Sündenbock anbietet. Das einzige Problem: Die Realität sieht anders aus.

Denn nicht nur, dass der »Kanzlerkandidat« der FDP zu offensichtlich von seinen eigenen Wahlkampfblödheiten abzulenken versucht. Immer deutlicher wird auch, dass die Führung der FDP Möllemanns Treiben zumindest tolerierte. So hätte im Thomas-Dehler-Haus in Berlin der antiisrealische Flyer Möllemanns verhindert werden können, wenn man es denn gewollt hätte.

Möllemanns Postwurfsendung kurz vor der Wahl war keine Geheimaktion einer einzigen Person. Etliche Parteikollegen im nordrhein-westfälischen Landesverband waren vorher eingeweiht. Zudem hatte Möllemann über seine Absicht bereits auf einer Veranstaltung in Neuss am 6. September, zehn Tage bevor das Faltblatt in die Briefkästen flatterte, in allen Details berichtet.

Nur einem der anwesenden Liberalen wurde dabei mulmig. Der Kommunalpolitiker schrieb in einem Brief an seinen Parteivorsitzenden: »Versuchen Sie alles, diesen Sonderwahlkampf in NRW zu verhindern.« Doch Westerwelle verhinderte nichts. Der Brief sei ihm nicht vorgelegt worden, beteuert er. Aus seinem Büro wanderte das brisante Schreiben zur Büroleiterin der Generalsekretärin Cornelia Pieper. Jene will ihre Chefin ebenfalls nicht informiert haben.

Nun wird darüber spekuliert, dass es sich bei diesen Darstellungen um Notlügen handeln könnte. Vielleicht war es aber auch genau so, wie es behauptet wird. Schließlich wissen solch enge Mitarbeiter meist ziemlich genau, woran sie mit ihren Vorgesetzten sind. Warum hätten die Büroleiterinnen Alarm schlagen sollen, wenn Westerwelle und Pieper ihren Möllemann doch zuvor hatten gewähren lassen?

Auch nachdem Westerwelle Anfang Juni mit seinem »Machtwort« die Antisemitismusdebatte für beendet erklärt hatte, vergaß Möllemann »sein« Thema auf kaum einer Wahlkampfveranstaltung. Und nicht selten war Westerwelle anwesend. Nicht einmal der erklärte Gegner Möllemanns, Walter Döring, störte sich an den antisemitischen Ausfällen seines Parteikollegen.

Der baden-württembergische Landesvorsitzende intervenierte nicht, als Möllemann bei einem gemeinsamen Auftritt Mitte August wieder einmal Ariel Sharon attackierte und versprach, das auch weiterhin zu tun. »Und auch Michel Friedman wird das nicht ändern können«, bekräftigte er auf der Veranstaltung in Friedrichshafen am Bodensee und erhielt dafür viel Applaus. Und Döring schwieg. Es war ja Wahlkampf.

Die Führung der FDP hatte nichts dagegen, dass Möllemann mit dem Schüren antisemitischer Ressentiments den Extremismus in der Mitte der Gesellschaft anzusprechen versuchte. Wie hätten da einfache Angestellte des Thomas-Dehler-Hauses erkennen sollen, dass ihre Vorgesetzten zwar nichts gegen die verbalen Ausfälle Möllemanns hatten, aber deren Verbreitung in Form eines Flugblatts eventuell hätten verhindern wollen? So konnte Westerwelle ahnungslos bleiben. Wie es alle anderen auch geblieben sein wollen, die den antisemitischen Flyer hätten verhindern können. Wie praktisch.


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