04.12.2002

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Jungle World

*   Die Partei wird desinfiziert
Von Pascal Beucker

Der Parteitag der nordrhein-westfälischen FDP zeigte, wie schwer den Liberalen die Distanzierung von Jürgen W. Möllemann fällt.

Am späten Nachmittag platzt Guido Westerwelle der Kragen. Nachdem er am vergangenen Sonntag stundenlang mit stoischer Miene die Debatte um den »Fall Möllemann« auf dem Sonderparteitag der nordrhein-westfälischen FDP in Düsseldorf verfolgt hat, reicht es ihm plötzlich. Wutentbrannt ergreift der Parteivorsitzende das Mikrofon und brüllt ins Auditorium: »So läuft das hier nicht!« Da verwechselten einige offensichtlich den Täter und die Opfer, schnauft er. Das, was sein einstiger Stellvertreter getan habe, »kann sich keine demokratische Partei bieten lassen«.

Die FDP dürfe sich nicht länger von der Debatte um Möllemann »infizieren« lassen. »Wir haben gemeinsam die Aufgabe und Verantwortung, unsere Partei zu schützen.« »Das geht nur mit einem klaren Schnitt«, fordert er. Westerwelle ändert die Stimmung im Saal. Da ihnen schon ihr Landesvorsitzender abhanden gekommen ist, wollen die Liberalen in Nordrhein-Westfalen nicht auch noch ihren Bundesvorsitzenden demontieren. Bei der anschließenden Wahl von Möllemanns Nachfolger setzt sich überraschend der bisherige stellvertretende Landesvorsitzende Andreas Pinkwart durch, der von Westerwelle unterstützt wird. Er gewinnt die Stichwahl gegen die von den Anhängern Möllemanns bevorzugte zweite Stellvertreterin, Ulrike Flach.

Es war ein erbärmliches Bild, dass die FDP an Rhein und Ruhr bei ihrem Versuch einer Aufarbeitung der Ära Möllemann abgab. »Wir sind einem Guru gefolgt und keinem politischen Vorsitzenden«, beschrieb das Landesvorstandsmitglied Christoph Dammermann in einem der wenigen einsichtigen Beiträge das Verhältnis seiner Partei zu Möllemann. Er war ihr Heilsbringer, und nicht wenige glauben immer noch an ihn. Schließlich war er es, der die Partei im Jahr 1999 wieder zurück in die Kommunalparlamente und im Jahr 2000 mit einem Rekordergebnis von fast zehn Prozent der Wählerstimmen zurück in den Landtag brachte. Welche zwielichtigen Methoden und welche dubiosen finanziellen Mittel er dabei wählte, das ist vielen bis heute nicht wirklich wichtig.

Mit Verve verteidigen etliche Delegierte ihren gefallenen Tausendsassa. »Wer Möllemann aus dieser Partei rauswirft, der wirft auch mich raus«, zetert der Kreisvorsitzende der FDP in Hamm, Georg Schroeter. »Die Dämonisierung von Jürgen Möllemann ist degoutant«, meint Heinz Dingerdissen aus Dortmund. Von einer nicht gerechtfertigten »Kampagne insbesondere der Bundes- und der Landespartei« spricht der Bezirksvorsitzende des Münsterlandes, Heinz-Wilhelm Steinmeier.

Ein Delegierter klagt, in der Parteiführung seien »Kultur und Moral zu Grunde gegangen«, andere sprechen vom »Versuch der endgültigen politischen Hinrichtung« und davon, dass »seit Uwe Barschel keine Partei so eliminatorisch« mit einem Mitglied umgegangen sei wie die FDP mit Möllemann. Und keiner, nicht einmal seine Gegner, vergessen in ihren Beiträgen, Möllemanns »große Verdienste« zu loben.

Sein Versuch, antisemitische Ressentiments zu schüren und damit Wählerstimmen zu gewinnen, ist den meisten nicht der Erwähnung wert. Im Gegenteil, mehrere Redner verteidigen ausdrücklich seinen gegen Michel Friedman und Ariel Sharon gerichteten Flyer, an dem sie nichts Anrüchiges erkennen wollen. Wer wie Möllemann die abscheulichen palästinensischen Mordanschläge in Israel verschweige, »verfälscht die Wahrheit«, hält ihnen Burkhard Hirsch daraufhin entgegen. Doch aus dem Saal schallt die Antwort zurück: »Woher kommen die denn?«

Ein Delegierter geißelt Paul Spiegels vermeintlichen Einfluss auf das Präsidium der FDP und wirft Westerwelle vor, sein Handeln sei fremdbestimmt. Jamal Karsli, der von Möllemann protegierte Kurzzeitliberale, hätte an dieser Stelle hinzugefügt, was der Redner meinte: fremdbestimmt von der jüdischen Lobby.

Aber nicht nur die Überlegungen der Anhänger Möllemanns fallen sonderbar aus. Denn es mutet auch eigenartig an, wenn Westerwelle behauptet, Möllemann habe »im Alleingang die Grundachse der FDP verschieben« wollen, um aus der FDP eine »rechtspopulistische Partei« zu machen. Niemand habe davon gewusst, niemand habe das gewollt, behauptet der Parteivorsitzende und nennt als Beweis stets Möllemanns angeblich unabgesprochenen Wahlkampfflyer.

Dabei bildete er nur den Schluss einer Kampagne, die nicht ohne die klammheimliche Akzeptanz der Partei und ihrer Führung hätte stattfinden können. Man ließ ihn gewähren und leugnete einfach, was unübersehbar war. So erklärte Westerwelle im Juni dieses Jahres die durch die Karsli-Affäre ausgelöste »Antisemitismusdebatte« einfach für beendet und nahm seinen damaligen Stellvertreter in Schutz, anstatt mit ihm zu brechen. Möllemann sei ein Demokrat und deswegen seien die Angriffe gegen ihn »unanständig« und nur ein »billiges Wahlkampfmanöver«. Der Vorwurf, die FDP bediene »braune Klischees«, sei »ehrverletzend und charakterlos«, sagte Westerwelle damals und trat danach ohne Bedenken mit Möllemann auf unzähligen Wahlkampfveranstaltungen auf.

Westerwelle wollte zu dieser Zeit nicht hören, was ihm und seinen Parteifreunden der Wuppertaler FDP-Kreisvorsitzende Rolf Köster bereits auf dem Landesparteitag der nordrhein-westfälischen Liberalen Mitte April sagte. Als alle anderen noch ihrem »Mister 18 Prozent« wie besoffen zujubelten, warf Köster Möllemann vor: »Ihr Aufruf zu 'drastischen Sanktionen gegen Israel', Ihr Boykott-Aufruf und die Äußerung, Israel sei ein terroristisches Land, und das 'Verständniszeigen' für terroristische Gewalt gegen Israel lassen jegliches Maß an Objektivität vermissen.« Und er fügte hinzu: »Diejenigen, die sich in einem diffusen deutschen Nationalismus einbilden, 'wir seien wieder wer' und wir müssten es nun auch aller Welt, insbesondere Israel, erweisen, dass wir ihnen Regieanweisungen erteilen können, wollen wir nicht als Bündnisgenossen oder Wähler.«

Einen Monat später warf Köster Möllemann in einem Mitgliederrundbrief vor, er betreibe die »Haiderisierung« der FDP und wolle sie zu einer Partei umformen, »die Neo-Liberalismus und Neo-Nationalismus miteinander verbindet«. Anfang Juni sorgte er dafür, dass Möllemann nach den Ausfällen gegen Friedman seinen Fallschirmabsprung über Wuppertal absagen musste.

Am Sonntag kandidierte dann auch Köster für den Landesvorsitz der nordrhein-westfälischen FDP. Er versprach einen »radikalen Neuanfang, der nicht mit falschem Pathos beschwichtigt, keine Verantwortlichkeiten verschiebt, der nicht verkleistert, versteckt, vertuscht oder täuscht«. Doch einen solchen Nestbeschmutzer wollten die Delegierten nicht. Mit 63 von 400 Stimmen scheiterte Köster bereits im ersten Wahlgang.

Und Möllemann? Er zog es vor, der Veranstaltung am Sonntag fernzubleiben. Zur Zeit muss er sich um andere Dinge kümmern. In Düsseldorf wird wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Parteiengesetz gegen ihn ermittelt, in Münster wegen vermuteter Steuerhinterziehung. Hinzu kommt noch ein Verfahren gegen Unbekannt wegen der vom Bundesschatzmeister der FDP, Günter Rexrodt, festgestellten Finanzmanipulationen der nordrhein-westfälischen FDP in den Jahren 1999 und 2000.

Seinem Publikum zeigt sich der abgestürzte Fallschirmspringer zurzeit lieber nur im Fernsehen. Am Mittwoch der vergangenen Woche präsentierte er sich nach siebenwöchigem Schweigen in der ARD-Sendung »Farbe bekennen« als verfolgte Unschuld. Das Vorbild des Interviews, so spottete die FAZ, sei »unzweifelhaft Lady Dis BBC-Interview als betrogene Ehefrau« gewesen.


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