15.06.2002

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taz

*   Der "Kanalarbeiter" versackt im Müll
Von Pascal Beucker

Karl Wienand, sozialdemokratisches Urgestein, auf Bewährung frei, sitzt in U-Haft.

Er muss den Genossen wie ein böser Geist aus dem vorigen Jahrhundert erschienen sein: Ausgerechnet Karl Wienand! Tapfer hatten Kölner, Landes- und Bundes-SPD so getan, als hätten sie es nicht mitgekriegt, als bereits Anfang März erstmals der Name des 75-Jährigen im Zusammenhang mit dem Kölner Schmiergeld- und Spendenskandal auftauchte. Nein, von ihm wurde keine Ehrenerklärung verlangt, er musste nicht vor die Schmude-Kommission, gegen ihn läuft bis heute kein Parteiordnungsverfahren. SPD-Bundestagsfraktionschef Peter Struck fragte: "Lebt der überhaupt noch?" Ob die Parteioberen hofften, der böse Geist würde einfach wieder verschwinden? Dabei hat die SPD dem "Schlawienand" viel zu verdanken. Immerhin hätte ohne seine krummen Geschäfte Kanzler Willy Brandt wohl schon 1972 seinen Abschied nehmen müssen. Bis heute hat der damalige parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion zwar nicht die Namen der Unionsabgeordneten verraten, die er "konfirmierte". Nur die Zahl derjenigen, die sich durch Wienands Großzügigkeit überzeugen ließen, beim konstruktiven Misstrauensvotum nicht für Rainer Barzel zu stimmen, verriet er: "Es waren vier."

Wienand ist ein "sozialdemokratisches Urgestein". Seit 55 Jahren gehört er der Partei an. Die Karriere des Bauarbeitersohns, dessen Vater die Nazis einsperrten, weil er Kommunist war, verlief nach seinem Beitritt 1947 rasant: mit 24 Jahren Leiter der DGB-Bundesschule in Bielefeld, mit 25 Mitglied im SPD-Bezirksvorstand Mittelrhein und Bürgermeister der Gemeinde Rosbach, mit 26 Jahren 1953 jüngster Abgeordneter im Bundestag. Dort wurde Wienand 1963 als Nachfolger von Fritz Erler Vizevorsitzender des Verteidigungsausschusses. 1967 machte ihn Fraktionschef Helmut Schmidt zum parlamentarischen Geschäftsführer.

Ende der 60er, Anfang der 70er war Wienand eine große Nummer in der SPD. Nach Ansicht des Historikers Arnulf Baring gehörte er in der Ära Brandts "zum sozialliberalen Kernbereich, zur Hand voll ihrer wichtigsten Figuren". Wienand war derjenige, der hinter den Kulissen die Strippen zog. Ohne seine Kungelkünste wären viele Projekte der sozialliberalen Koalition gescheitert. Der zum rechten Parteiflügel zählende "Kanalarbeiter" galt als Mann für "heikle Fälle" und "fürs Grobe".

Schon damals machte Wienand immer wieder von sich reden. So wurde im Dezember 1973 seine Immunität wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung aufgehoben. Ein Jahr später legte er sein Mandat nieder. Wienand startete seine zweite Karriere, zunächst als Geschäftsführer der Bonner "Gesellschaft für kosmetische plastische Chirurgie und Ästhetik mbH Klinik International", dann als Unternehmensberater. So ist er seit 20 Jahren für den Gummersbacher Anlagebauer Steinmüller tätig, seit 15 Jahren für Trienekens.

In die Schlagzeilen geriet er Mitte der 90er-Jahre als mutmaßlicher Stasi-Agent. 1996 wurde er zu zweieinhalb Jahren Haft und einer Million Mark Geldstrafe verurteilt. Wienand bestreitet bis heute die Vorwürfe, doch der Bundesgerichtshof bestätigte 1997 das Urteil. 1999 begnadigte Bundespräsident Roman Herzog ihn, ordnete allerdings eine fünfjährige Bewährungszeit an. Die ist noch nicht um. Jetzt sitzt Wienand wieder im Knast.


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