Zum vorerst letzten Mal
gelang es Jürgen W. Möllemann gestern, sich in den Mittelpunkt zu
stellen.
Würde er zurücktreten
oder nicht? Bis gestern Mittag gelang es Jürgen Möllemann, sich
selbst zu einem spannenden Thema zu machen. Doch dann musste er das
Unausweichliche vollziehen: Er gab als stellvertretender
FDP-Parteivorsitzender auf. Schon am Wahlabend hatte das Präsidium
der Liberalen "einstimmig" gefordert, dass er sein Amt zur
Verfügung stelle. Möllemann hatte eine Bedenkzeit von einem halben
Tag verlangt.
Doch eigentlich gab es
gar nichts zu bedenken. Die Mobbingsignale aus der liberalen
Parteispitze waren eindeutig. Westerwelle zeigte sich gestern
"fest entschlossen", Möllemann "in seine Schranken zu
weisen". Der Vize hatte kurz vor der Wahl ein Flugblatt verteilen
lassen, mit dem er auf antisemitische Stimmen zielte.
Mit seinem freiwilligen
Rückzug hat Möllemann den Liberalen weitere Komplikationen erspart.
Denn anders als bei Ministern ist es nicht möglich, die Amtsträger
von Parteien zu entlassen. Sie müssen abgewählt werden. Die FDP
hätte also einen Sonderparteitag einberufen müssen, um Möllemann zu
entthronen. Die Konkurrenzparteien werden bedauern, dass es zu diesem
Schauspiel nicht mehr kommt. Wochenlang hätten die Medien über eine
zerstrittene FDP berichten können.
Allerdings hat
Möllemanns Rückzug aus der Parteispitze nicht viel zu bedeuten. Sein
Stammland ist Nordrhein-Westfalen, wo er Parteivorsitzender ist und
die liberale Landtagsfraktion anführt. Ob er auch dort entmachtet
wird - das wollten die örtlichen Gremien erst gestern Abend
entscheiden. Westerwelle drohte seinen Besuch an.
Vor Ort sind die
Meinungen geteilt. Möllemanns Rücktritt "reicht nicht",
forderte der Kölner FDP-Vorsitzende Reinhard Houben gegenüber der
taz. "Amokläufe können wir uns nicht leisten." Auch
FDP-Landesvize Andreas Pinkwart plädierte für einen
"Generationswechsel"; er gilt als einer der möglichen
Nachfolger Möllemanns. Doch der will von einem Rücktritt nichts
wissen: "Ich beabsichtige auch weiterhin, den größten und
erfolgreichsten Landesverband der FDP zu führen."
Und er genießt
durchaus Unterstützung. "Aufgrund des signifikant besseren
Ergebnisses in Nordrhein-Westfalen verbietet sich eine Diskussion um
den Landesvorsitz", erläuterte der FDP-Landtagsabgeordnete
Schultz-Tornau der taz. Und auch Landes-Vizin Ulrike Flach will erst
einmal die Wahl "gründlich zu Ende analysieren".
Schließlich war das FDP-Ergebnis in Nordrhein-Westfalen mit 9,3
Prozent deutlich besser als der Bundesdurchschnitt von nur 7,4
Prozent. Möllemann forderte daher gestern auch prompt "eine
umfassende und ehrliche Analyse aller Ursachen des enttäuschenden
Wahlergebnisses".
Schließlich war es
nicht allein seine Idee, ein Projekt 18 samt Kanzlerkandidat
auszurufen. Westerwelle hat nur zu gern dabei mitgewirkt, den
FDP-Wahlkampf auf seine Person zuzuschneiden. Sein Strahlen im
Guido-Mobil war echt. Es hieß aus gutem Grund nicht Mölli-Mobil.
Viele Liberale,
Prominente und Fußvolk, haben das Projekt 18 immer für Größenwahn
gehalten. Aber sie schwiegen. Schließlich wollten sie die Wahl nicht
gefährden. Und es erleichterte sie auch, dass Westerwelle so
siegessicher seine eigene Person inszenierte. So viel eitle Freude -
die konnte doch nicht grundlos sein.
Diese Zweifler werden
sich nun melden. Ganz leise fingen sie damit schon am Wahlabend in der
Berliner Parteizentrale an. "Weniger Spaß, mehr Inhalte",
forderten sie, während sie in die Nusspralinen bissen, die mit dem
Konterfei von Westerwelle verziert waren. Sie waren es leid,
"alles immer locker zu sehen".
Westerwelle weiß, dass
Widerstand drohen könnte. Also beschwört er seine Partei seit zwei
Tagen, "auf Kurs" zu bleiben. Die "Strategie der
Unabhängigkeit" sei doch erfolgreich gewesen. Aber war sie das?
Man wird sehen, wie lange die Liberalen in Niedersachsen dabei
bleiben, für die Landtagswahl im Februar keine Koalitionsaussage zu
treffen.
Westerwelle hat den
Machtkampf mit Möllemann vorerst gewonnen. Aber es ist ein
gefährlicher Sieg. Solange der Machtkampf währte, hatte er immer
einen potenziell Schuldigen, wenn etwas schief lief: Möllemann. Nun
ist der FDP-Chef erstmals allein verantwortlich. Liberale Schlappen
gehören nur noch ihm. Diese Position hat Westerwelle zwar angestrebt
- doch auch erkennbar gefürchtet. Wann immer es parteiintern brisant
wurde, hat sich der FDP-Chef nach oben abgesichert: Er rief die
liberalen Ehrenvorsitzenden Lambsdorff und Genscher an.
So war es auch am
letzten Donnerstag, als Westerwelle nicht mehr gemeinsam mit
Möllemann auf der FDP-Abschlussveranstaltung in Bonn auftreten
wollte. Das entschied er nicht etwa allein. Es war eine Sprecherin von
Genscher, die die Absage an Möllemann bekannt gab.
Trotz aller Zentrierung
auf seine Person - tatsächlich hat sich Westerwelle seine Autorität
bisher geborgt. Doch schon altersbedingt werden Lambsdorff und
Genscher nicht auf ewig als die beiden Parteiweisen auftreten können.
Bald wird Westerwelle allein agieren müssen.
Die FDP ist in Aufruhr.
Da muss es dringend Kontinuitäten geben. Eine konnte Westerwelle
gestern vermelden: Wolfgang Gerhardt wird weiter die FDP-Fraktion im
Bundestag führen.
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