09.10.2002

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taz

  Ein Fischkopp als Ministerpräsident
Von Pascal Beucker

Der designierte NRW-Landeschef Peer Steinbrück gilt als wirtschaftspolitischer Modernisierer - und "Grünenfresser".

Peer SteinbrückMit einem solchen Glücksfall hatte Peer Steinbrück nicht mehr rechnen dürfen. Insgeheim begann sich der 55-Jährige bereits damit abzufinden, dass er nach der Inthronisierung des Mülheimers Harald Schartau als SPD-Landeschef keine reelle Chance mehr hatte, Wolfgang Clement als nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten zu beerben. Im Zweifel für einen Einheimischen - das war die bittere Pille gewesen, die schon der letzte Norddeutsche schlucken musste, der auf den Chefsessel an Rhein und Ruhr schielte. Durch die überraschende Berufung Clements nach Berlin bleibt dem Hamburger Steinbrück nun das Schicksal des Flensburgers Klaus Matthiesen erspart, der einst im Kampf der Kronprinzen Johannes Raus gegen den Bochumer Noch-Amtsinhaber den Kürzeren gezogen hatte.

Ein Fischkopp als Ministerpräsident? Es dürfte eine Zeit dauern, bis sich die NRW-Sozis an den etwas nuschelnden norddeutschen Zungenschlag gewöhnt haben werden. Aber auch für Steinbrück brechen harte Zeiten an. Denn nun wird der knurrige Diplomvolkswirt nicht mehr vor den oft auch bierseligen sozialdemokratischen Kungelrunden und Unterbezirksstammtischen in den Kneipenhinterzimmern flüchten können. Er wird sich den richtigen Stallgeruch zulegen müssen, den Genossen an Rhein und Ruhr von ihrem Landesvater erwarten.

Allerdings ist Steinbrück kein Neuling in NRW. Denn hier, genauer gesagt in Bonn, startete bereits Mitte der 70er-Jahre seine politische Karriere. Zur Zeit der sozial-liberalen Bundesregierung Helmut Schmidts war er von 1974 bis 1983 in diversen Bundesministerien tätig. 1986 holte ihn Rau als Büroleiter in sein Ministerpräsidentenbüro. Aus dieser Zeit stammt sein enger Kontakt zu Clement, der damals Chef der Staatskanzlei war. Mitte 1990 wechselte Steinbrück zurück in seine Heimatregion. In der schleswig-holsteinischen Landesregierung war er unter anderem Wirtschafts- und Verkehrsminister.

Bereits während seiner Kieler Zeit erwarb sich Steinbrück seinen Ruf als "Grünenfresser", den er auch nicht loswurde, nachdem ihn Clement 1998 ins gleiche Ressort nach Düsseldorf holte. Als Wirtschaftsminister machte er durch ein Projekt für außertarifliche Niedriglöhne von sich reden und warnte den grünen Koalitionspartner vor einer Verhinderungspolitik bei Großprojekten. Ganz offen spielte er dabei auch immer wieder mit der Möglichkeit, anstelle von Rot-Grün eine Koalition mit der FDP einzugehen. Es stelle sich die Frage, "welche Zweckbündnisse insbesondere aus Sicht der SPD am praktischsten sind", lautete sein Credo. Im Februar 2000 übernahm der Vater von drei Kindern dann das Finanzressort, nachdem der damalige Minister Hans Schleußer (SPD) über eine Falschaussage in der Flugaffäre gestolpert war.

Steinbrück, dem es nicht an Ironie fehlt, nimmt für sich selbst den "Mut zur Ungemütlichkeit" in Anspruch. Was das bedeutet, hat er mit seinem rigorosen Sparkurs in diesem Jahr gezeigt. Sein "Haushalt der Tränen" sorgte für Demonstrationen empörter Studenten, Beamten und Gewerkschaften vor dem Düsseldorfer Landtag.

Einen grundlegenden Kurswechsel wird es mit ihm wohl nicht geben: Wie auch Clement gilt er als "Modernisierer". Seine Maxime: Richtig ist, was der Wirtschaft nützt.


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