29.10.2002

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taz

*   Die FDP im Rückwärtsgang 
Von Pascal Beucker und Lukas Wallraff

Auch Möllemanns Nachfolgekandidatin Flach wusste von Flugblattidee. FDP weitet Finanzprüfung auf ganze Landespartei aus. Westerwelle gibt 18-Prozent-Ziel auf.

"Das sind erschreckende Tage für die Bundesregierung", sagte FDP-Chef Guido Westerwelle gestern in Berlin - und meinte den Bericht zum Geschäftsklima in Deutschland. Doch das Einzige, was die Journalisten interessierte, war die erschreckende Lage der FDP angesichts eines immer weiter ausufernden Finanzskandals in Nordrhein-Westfalen.

Noch vor wenigen Tagen hatte Westerwelle erklärt, die dubiose Finanzierung der antisemitischen Flugblattaktion des ehemaligen Landeschefs Jürgen Möllemann sei die "Affäre eines Mannes". Nach neuen Enthüllungen über Mitwisser der Aktion und persönliche Barspenden Möllemanns an zwei FDP-Abgeordnete spricht jedoch vieles dafür, dass Möllemann ein regelrechtes Amigo-System in Nordrhein-Westfalen aufgebaut hatte - in Westerwelles eigenem Landesverband. Entsprechend kleinlaut gab der FDP-Vorsitzende gestern zu, er wisse nicht, wie viele Parteifreunde an dem Finanzskandal beteiligt sind.

Alles wird jetzt in Frage gestellt: die Führungsqualitäten des FDP-Chefs, aber auch das "Projekt 18", also die politische Strategie, die Möllemann erfunden und Westerwelle übernommen hatte. Nachdem mehrere FDP-Politiker öffentlich Druck ausübten, schaltet Westerwelle jetzt den Rückwärtsgang ein. "Das Wahlziel der FDP muss vor jeder Wahl neu entschieden werden." Ob er wieder als Kanzlerkandidat antreten möchte? "Selbstverständlich muss auch darüber vor jeder Wahl neu entschieden werden."

Die schlechten Nachrichten zum Finanzskandal überließ Westerwelle seinem Schatzmeister Günter Rexrodt. Dieser sagte, er könne "nicht ausschließen", dass Möllemanns Flugblattaktion aus "schwarzen Kassen" finanziert wurde. Die parteiinterne Prüfung werde jetzt "ausgeweitet auf das Finanzgebaren des gesamten Landesverbandes".

Anlass dafür gibt es genug: So wurde bekannt, dass Landesgeschäftsführer Hans-Joachim Kuhl den Möllemann-Coup maßgeblich mit einfädelte - samt Abbuchung der Versandkosten in Höhe von 838.218,68 Euro vom Konto der Möllemann-Firma WebTec. Kaum vorstellbar, dass von dieser Transaktion außer Kuhl niemand sonst etwas mitbekam. Schließlich handelte es sich um einen Betrag, etwa doppelt so hoch wie der gesamte offizielle Wahlkampfetat der NRW-FDP.

Kuhl ist inzwischen vom Dienst suspendiert. "Herr Kuhl hat sich uns gegenüber noch nicht geäußert", sagte FDP-Landesvize Ulrike Flach der taz. Flach widersprach vehement Spekulationen, Möllemanns WebTec-Konto könnte als schwarze Kasse der NRW-FDP gedient haben und möglicherweise schon vor der Finanzierung der Flyer genutzt worden sein. "Dieses Konto ist nie ein FDP-Konto gewesen", beteuert die designierte Möllemann-Nachfolgerin für den NRW-Landesvorsitz.

Allerdings gerät nun auch Flach unter Druck. Denn auch sie selbst und Landesschatzmeister Andreas Reichel waren vorab informiert. Möllemann habe mit ihr und Reichel nach einer Wahlkampfveranstaltung in Mülheim am 11. September über das Faltblatt gesprochen, räumte Flach jetzt ein. Reichel hatte behauptet, erst am 13. September von der Aktion erfahren zu haben. "Beim Bier", so Flach zur taz, habe Möllemann ihnen von seiner "Idee" berichtet. "Lassen Sie die Finger davon", hätten ihm die beiden daraufhin geraten. Doch da sei die Wurfsendung "schon auf dem Weg gewesen". Einen Tag zuvor hatte die Druckerei den Flyer ausgeliefert. Das habe ihnen Möllemann nicht verraten. Flach: "Der hat uns einfach genatzt." Trotzdem hätte da die Aktion noch gestoppt werden können. Denn erst zwei Tage später ging das Anti-Friedman-Faltblatt an die Post zur Versendung.


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