07.11.2002

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taz

*   Westerwelles FDP im Sturzflug 
Von Lukas Wallraff und Pascal Beucker

Schon jetzt liegen die Liberalen bundesweit nur noch bei knapp 5 Prozent. Die neuen Berichte aus Nordrhein-Westfalen dürften kaum helfen. Offenbar wurde der Wahlkampf 2000 mit illegalen Spenden finanziert. Grüne fordern Untersuchungsausschuss.

Was war das für eine Freude bei der FDP, als Jürgen Möllemann im Mai 2000 bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen fast zehn Prozent der Stimmen holte - der größte Erfolg der Liberalen seit Jahren. Entsprechend begeistert sonnte sich die gesamte Bundespartei im warmen Glanz des Siegers. "Wir haben diese Wahl gewonnen", jubelte der damalige Generalsekretär Guido Westerwelle und sagte "tektonische Veränderungen" in der politischen Landschaft Deutschlands voraus. Westerwelle sollte Recht behalten - aber nicht so, wie er es damals gemeint hatte.

"Diese Vorgänge gehen an die Seele der Partei", kommentierte Bundesschatzmeister Günter Rexrodt gestern die neuesten Erkenntnisse zum Finanzgebaren der nordrhein-westfälischen FDP. Die stellvertretende Landeschefin Ulrike Flach sprach von einer "Katastrophe". Kein Wunder: Im Februar stehen die nächsten, wichtigen Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen an, deren Ausgang wahrscheinlich über das Schicksal des Parteichefs Westerwelle entscheidet. Schon jetzt liegen die Liberalen laut Umfragen bundesweit nur noch knapp über der 5-Prozent-Hürde. Und der Sturzflug dürfte weitergehen.

Seit gestern ist klar, dass der grandiose Wahlerfolg vor zwei Jahren offenbar mindestens zum Teil mit illegalen Parteispenden ermöglicht worden war.

Die Überprüfung der Finanzen der NRW-FDP habe ergeben, dass dem Landesverband rund um die Landtagswahl 2000 bis zu einer Million Mark (511.000 Euro) aus noch ungeklärter Herkunft zugeflossen sind, teilte Rexrodt mit. Die FDP wolle die Verantwortlichen für die "Unregelmäßigkeiten" ermitteln und zur Rechenschaft ziehen.

Niemand bestreitet mehr, dass es sich bei den Vorgängen in NRW um weit mehr als "die Affäre eines Mannes" (Westerwelle) und um weit mehr als die dubiose Finanzierung des antisemitischen Flugblatts Möllemanns vor der Bundestagswahl handelt. Der bisherige Landesgeschäftsführer Hans-Joachim Kuhl ist bereits fristlos entlassen worden.

Über Möllemanns Nachfolge im Landesvorsitz ist ein erbitterter Streit in der FDP entbrannt. Der Wahlparteitag wurde auf Ende November verschoben. Das FDP-Bundesvorstandsmitglied Mehmet Daimagüler sprach sich gestern gegen Flach aus, die von Westerwelle vorgeschlagen wurde. Ihre Wahl wäre "das falsche Signal", denn sie stehe nicht für Glaubwürdigkeit. Flach hatte frühzeitig von der Flugblatt-Aktion Möllemanns gewusst und nichts dagegen unternommen.

Auch den Hinweis der taz auf eine dubiose Spendenquittung vom April 2000, deren Adressatin beteuert, der FDP nie gespendet zu haben, hatte Flach unlängst lapidar mit der Bemerkung abgetan, es gäbe inzwischen einige Menschen, die nichts mehr davon wissen wollten, der FDP Geld gegeben zu haben.

Die nordrhein-westfälischen Grünen plädieren inzwischen für eine parlamentarische Aufklärung der FDP-Finanzen. "Aus meiner Sicht wäre ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss zweckmäßig", sagte der stellvertretende Fraktionschef der Grünen im NRW-Landtag, Reiner Priggen, der taz. Ein solcher Ausschuss würde die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft "sinnvoll ergänzen". Aufgeklärt werden müssten nicht nur die offenbar kriminellen Machenschaften bei den NRW-Liberalen im Vorfeld der Bundestagswahl. "Die gesamte Wirkungszeit von Herrn Möllemann muss rückwärts aufgeklärt werden", forderte Priggen. Allerdings wäre die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses keine einsame Entscheidung der Grünen, sondern müsste von einem Viertel der Landtagsabgeordneten befürwortet werden. "Insofern können wir nur an die anderen Parteien appellieren, sich einem solchen Aufklärungsprozess nicht zu verweigern", sagte Priggen der taz. Bisher stehen die Grünen im Landtag mit ihrer Forderung alleine.


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