Erst nach fast
siebenstündiger Debatte konnte sich die NRW-FDP auf einen neuen
Vorsitzenden einigen: den Überraschungskandidaten Andreas Pinkwart.
Georg Schroeter redet
Tacheles: "Wer Möllemann aus dieser Partei rauswirft, der wirft
auch mich raus." Der Kommunalpolitiker sorgt zum ersten Mal für
Stimmung in der Düsseldorfer Philipshalle. Jürgen W. Möllemann sei
"außerordentlich einsatzstark" gewesen und habe
"unseren Laden in der Gesamtheit in Schwung gebracht", ruft
er den rund 400 Delegierten des außerordentlichen Landesparteitags
der nordrhein-westfälischen FDP entgegen. Und erntet "Aufhören!"-
und "Pfui!"-Rufe, aber auch Beifall. Schroeter ist nicht der
Einzige an diesem Sonntag, der eine Lanze für Möllemann bricht. Da
spricht der Bezirksvorsitzende des Münsterlands von einer
"Kampagne insbesondere der Bundes- und der Landespartei",
beklagt ein anderer Delegierter, in der FDP-Spitze seien "Kultur
und Moral zugrunde gegangen". Weitere sprechen von dem
"Versuch der endgültigen politischen Hinrichtung" und
davon, dass "seit Uwe Barschel keine Partei so eliminatorisch"
mit einem Mitglied umgegangen sei, wie die FDP zurzeit mit Möllemann.
Die NRW-Liberalen tun sich schwer mit der Abnabelung von ihrem
einstigen großen Vorsitzenden.
Das zeigte sich am
Sonntag nicht nur in zahlreichen Beiträgen von "einfachen"
Delegierten, sondern bereits zu Beginn des Parteitages bei der Rede
Ingo Wolfs, seines Nachfolgers im Vorsitz der Landtagsfraktion. Den
Großteil seiner rhetorisch bescheidenen Ansprache verwendet Wolf auf
die üblichen Tiraden gegen Rot-Grün in Land und Bund, nicht einmal
ein Fünftel auf den "Fall Möllemann" - und vergisst dabei
nicht, wie auch sonst keiner, auf die großen Verdienste und Erfolge
des "streitbaren Parteifreunds und ebenso unermüdlichen Wahlkämpfers"
hinzuweisen. Dann konstatiert er doch noch "massive Regelverstöße"
Möllemanns - nur welche das sind, darüber verliert er kein Wort.
Trotzdem ruft Wolf Möllemann auf, sein Landtagsmandat zurückzugeben,
um damit einem Fraktionsausschlussverfahren zuvorzukommen.
"Insbesondere mit Blick auf die zweieinhalbjährige intensive
politische Zusammenarbeit in der Landtagsfraktion halte ich eine
solche einvernehmliche Lösung in besonderem Maße für geboten."
"Die Ära Möllemann
ist vorbei", sagt Heinz Dingerdissen aus Dortmund mit Bedauern in
der Stimme. Der Ablösungsprozess von ihrem Übervater fällt
sichtlich schwer, von dem von ihrer Parteiführung proklamierten
"Neuanfang" ist die NRW-FDP noch weit entfernt. Dabei hatte
sich Bundesschatzmeister Günter Rexrodt - mit vereinzelten Pfiffen
begrüßt - redlich bemüht, den Delegierten die Folgen des Möllemannschen
Treibens anschaulich vor Augen zu führen. Allein wegen der
Finanzmanipulationen in den Jahren 1999 und 2000 drohten der Partei
Strafzahlungen an das Bundestagspräsidium in Höhe von 1,8 Millionen
Euro - und wenn es bei dieser Summe bleibe, sei das noch der
"beste Fall". "Der worst case führt uns noch in
ganz andere Dimensionen", so Rexrodt. Zu dem eingeschlagenen Weg
der Aufklärung habe es "nie auch nur die geringste Alternative
gegeben". Er habe aufgrund des Parteiengesetzes die Öffentlichkeit
"offensiv informieren" müssen. "Es gibt keinen unbegründeten
Vernichtungsfeldzug gegen irgendwen", rief Rexrodt in den Saal,
sondern er versuche nur, Schaden von der FDP abzuwenden. Der Applaus
blieb spärlich.
Nicht wenige wollen von
den Verfehlungen Möllemanns nichts hören. Auch seinen antisemitisch
gefärbten Wahlkampfflyer rechtfertigen mehrere Redner. Als der
Altliberale Burkhard Hirsch den Delegieren entgegenruft: Wer die unsäglichen
palästinensischen Mordanschläge in Israel "verschweigt, verfälscht
die Wahrheit", schallt ihm aus dem Saal entgegen: "Woher
kommen die denn?" Nein, es gibt immer noch keine große
Bereitschaft, sich mit dem Versuch Möllemanns auseinander zu setzen,
mit antisemitischen Ressentiments Stimmen zu fangen.
Besonders viele
Mandatsträger denken lieber an die guten Zeiten zurück: als Möllemann
sie nach dem tiefen Tal der Tränen 1999 wieder zurück in die
Kommunalparlamente und 2000 mit einem Rekordergebnis von fast 10
Prozent zurück in den Landtag brachte. Mit welchen Methoden, das
scheint ihnen bis heute nicht wirklich wichtig. Dass er sie nicht mehr
anführt, damit haben sie sich inzwischen notgedrungen abgefunden,
aber aus der Partei soll Möllemann nicht geschmissen werden. Dafür kämpfen
besonders die Münsterländer und Ruhrgebietler. "Die Dämonisierung
von Jürgen Möllemann ist degoutant", so der Dortmunder
Dingerdissen. "Es kann doch nicht sein, dass ein einziger Mann
die Schuld an allem hat." Die FDP müsse endlich wieder kämpfen:
"Im Moment reicht die Augenhöhe nur für die Liliputaner."
Außerdem sei man ja mit dem heutigen Möllemann-Kritiker Otto Graf
Lambsdorff auch anders umgegangen. Während der Flick-Affäre um
illegale Parteispenden in den 80er-Jahren habe sich Otto Graf
Lambsdorff eigentlich diskreditiert. Doch die Partei habe zu ihm
gehalten.
Auch wenn Möllemann
nicht persönlich nach Düsseldorf gekommen ist, sein Geist weht
weiterhin über den NRW-Liberalen. "Wir sind einem Guru gefolgt
und keinem politischen Vorsitzenden", sagt das
FDP-Landesvorstandsmitglied Christoph Dammermann. Und etliche würden
ihm gerne weiter folgen.
Kurz vor 16 Uhr,
nach rund dreistündiger heftiger Debatte, reißt Guido Westerwelle
der Geduldsfaden. Nein, der FDP-Bundesparteichef will nicht mehr bis
zu seiner eingeplanten Rede bis kurz vor Ende des Parteitags warten.
Offensichtlich hat er Angst, dass der Parteitag ihm wegkippt. Als
Letzter der Aussprache vor den Vorstandswahlen ergreift er erzürnt
das Wort. "So läuft das hier nicht!", brüllt Westerwelle
ins Mikrofon. Bei einigen Beiträgen habe er den Eindruck, hier würden
Opfer und Täter verwechselt. Das, was Möllemann getan habe, könne
sich keine demokratische Partei bieten lassen. "Ich möchte, dass
wir Freidemokraten den Blick wieder frei kriegen", ruft er.
"Das geht nur mit einem klaren Schnitt", fordert er.
"Wir haben gemeinsam die Aufgabe und Verantwortung, unsere Partei
zu schützen", appelliert er. Er muss hier gewinnen, und er kämpft:
Es ist sein Landesverband, seine Basis. "Das ist hier auch meine
Heimat, meine Familie!", schreit Westerwelle den Delegierten
entgegen. Die Partei müsse ihre Verbündeten in der Mitte suchen und
er wolle "keinen Weg, der sich dumpf in irgendwelchen Ecken
verirrt". Er scheint die Stimmung der Anwesenden getroffen zu
haben: Er beendet seinen Beitrag unter stehendenOvationen.
Direkt nach seiner Rede
beantragen die Kölner Delegierten eine Auszeit: Es gebe neuen
Beratungsbedarf. Und dann steigen überraschend vier Kandidaten in den
Ring. Und nachdem Wuppertals FDP-Chef Rolf Köster und der
FDP-Landtagsabgeordnete Joachim Schultz-Tornau im ersten Wahlgang
ausschieden, setzte sich in der Stichwahl der zweite Landesparteivize
Andreas Pinkwart mit 205 zu 164 Stimmen gegen die stellvertretende
Landesvorsitzende Ulrike Flach durch.
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