17.01.2002

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taz

*   Antwort erwogen
Von Pascal Beucker und Anja Krüger

Die Aberkennung der Ehrendoktorwürde durch die Universität Bonn nutzte Thomas Mann vor 65 Jahren zu seiner ersten Generalabrechnung mit dem nationalsozialistischen Deutschland.

"Fast hätt` ich es vergessen: Mitteilung der philos. Fakultät von Bonn über Aberkennung des Ehrendoktors als Folge der Ausbürgerung. - Antwort erwogen." Mit diesen knappen Worten hielt Thomas Mann am 1. Weihnachtstag 1936 in seinem Tagebuch die Nachricht über den Entzug der Ehrendoktorwürde fest, die ihm die Universität Bonn 1919 verliehen hatte.

Am 6. Dezember 1936 war dem Schriftsteller die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen worden. Zwei Wochen später teilte der Dekan der philosophischen Fakultät dem "Herrn Schriftsteller Thomas Mann" mit, dass dieser aus der Liste der Ehrendoktoren gestrichen worden sei: "Ihr Recht, diesen Titel zu führen, ist gemäß Art. VIII unserer Promotionsordnung erloschen." Die Aberkennung der Ehrendoktorwürde der Universität Bonn besiegelte endgültig den Bruch zwischen Nazi-Deutschland und dem Träger des Literaturnobelpreises.

Mann war von einer Vortragsreise, die er im Januar 1933 angetreten hatte, nicht nach Deutschland zurückgekehrt. Trotzdem waren sich die Nationalsozialisten offenbar anfangs nicht darüber einig, wie sie mit dem großen Repräsentanten der deutschen Literatur umgehen sollten. Einerseits stellte die Bayrische Politische Polizei Mitte 1933 einen Schutzhaftbefehl wegen "antinationaler Einstellung" gegen den Schriftsteller aus - was bei seiner Ergreifung die Inhaftierung im Konzentrationslager Dachau bedeutet hätte. Andererseits versuchte Joseph Goebbels' Propagandaministerium immer wieder, Mann zur Rückkehr zu bewegen, da es sein Renommee für das "neue Deutschland" nutzen wollte.

Die Werbeversuche ließen auch nicht nach, nachdem der Dichter am 16. Januar 1934 förmlich seinen Wohnort von München in den Schweizer Ort Küsnacht bei Zürich verlegt und damit amtlich dokumentiert hatte, dass er nicht daran dachte, nach Deutschland zurückzukehren. Das Bayrische Staatsministerium des Inneren reagierte auf seine offizielle Umsiedlung mit einem Antrag auf Ausbürgerung. Doch das Reichsinnenministerium lehnte ab. Im Sommer 1935 forderte Reinhard Heydrich in seiner Funktion als stellvertretender Chef und Inspekteur der Preußischen Geheimen Staatspolizei Mann "mit der nächsten Ausbürgerungsliste die deutsche Staatsangehörigkeit abzuerkennen". Dieser Antrag blieb genauso erfolglos wie ein weiterer im Herbst 1935.

Auch hatten die Nazis bereits unmittelbar nach der Machtergreifung Manns Werke aus Bibliotheken und Schulen verbannt und als "undeutsch" verfemt - aber gleichzeitig durften sie die Buchhandlungen bis zu seiner Ausbürgerung weiterhin verkaufen. Noch im Oktober 1936 erschien so Manns "Joseph in Ägypten" im Deutschen Reich.

Die ambivalente Haltung des nationalsozialistischen Regimes korrespondierte mit einem indifferenten Verhalten Manns. Zwar hegte er keinerlei Sympathien für die Faschisten, aber er sah sich mit Deutschland, der "Nation" verbunden: "Seit ich ins geistige Leben eintrat, habe ich mich in glücklichem Einvernehmen mit den seligen Anliegen meiner Nation, in ihren geistigen Traditionen sicher geborgen gefühlt. Ich bin weit eher zum Repräsentanten geboren als zum Märtyrer. "Deshalb scheute Mann den offenen Bruch und "meinte, mir, durch die Opfer, die ich gebracht, das Recht auf ein Schweigen verdient zu haben, das es mir ermöglichen würde, etwas mir herzlich Wichtiges, den Kontakt mit meinem innerdeutschen Publikum, aufrechtzuerhalten", wie der Literat in seinem Antwortschreiben auf die Aberkennung der Ehrendoktorwürde am Neujahrestag 1937 schrieb. So blieb er denn auch zunächst Mitglied im Reichsverband deutscher Schriftsteller, publizierte in Deutschland und schwieg ansonsten zu den Verhältnissen im Nazi-Reich.

Die deutschen Emigranten verbitterte diese Haltung - auch und gerade seine Kinder Klaus und Erika, die bereits 1934 und 1935 ausgebürgert worden waren. Im Januar 1936 schrieb Erika Mann ihrem "Zauberer": "Falls es ein Opfer für Dich bedeutet, dass ich Dir, mählich, aber sicher, abhanden komme -: leg es zu dem übrigen. Für mich ist es traurig und schrecklich:" Kurt Tucholsky bezeichnete im Sommer 1935 Thomas Manns Verhalten als §skandalös": ";Wir dürfen schweigen - er durfte es nicht." Am 15. Dezember 1935, unmittelbar vor seinem Tod, beklagte Tucholsky in einem Brief an Arnold Zweig, "das Theater der Verzweiflung, die noch in so einem Burschen wie Thomas Mann einen Mann sieht, der, Nobelpreisträger, sich nicht heraustraut und seine "harmlosen" Bücher in Deutschland weiter verkaufen läßt."

Erst Anfang Februar 1936 sah sich Mann gezwungen, doch Position zu beziehen. Er reagierte auf einen Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ), in dem der Schweizer Feuilletonist Eduard Korrodi mit antisemitischer Stoßrichtung versucht hatte, die emigrierten deutschen Schriftsteller zu spalten - und dabei positiv auf Mann Bezug genommen hatte. Dieser sah sich von der falschen Seite vereinnahmt. In einem "Offenen Brief", der ebenfalls in der NZZ erschien, machte er seine ablehnende Position zum Nationalsozialismus unmissverständlich deutlich: "Die tiefe, von tausend menschlichen, moralischen und ästhetischen Einzelbeobachtungen und -eindrücken täglich gestützte und genährte Überzeugung, dass aus der gegenwärtigen deutschen Herrschaft nichts Gutes kommen kann, für Deutschland nicht und für die Welt nicht, - diese Überzeugung hat mich das Land meiden lassen, in dessen geistiger Überlieferung ich tiefer wurzele als diejenigen, die seit Jahren schwanken, ob sie es wagen sollen, mir vor aller Welt mein Deutschtum abzusprechen."

Mann hatte endlich öffentlich den Bruch vollzogen. Nun erwartete er seine Ausbürgerung. Allerdings war Mann sich "noch gar nicht mal sicher, dass die regierende Bande zurückschlagen wird", wie er Hermann Hesse mitteilte - zumindest nicht sofort: "Olympiade und Außenpolitik sprechen dagegen." So war es denn auch: Die Nationalsozialisten planten die Ausbürgerung, vollzogen sie aber erst am Ende des Jahres, am 6. Dezember 1936. Mann und seine Frau Katia hatten bereits zwei Wochen zuvor die tschechische Staatsbürgerschaft angenommen. Am 19. Dezember erfolgte der Entzug der Ehrendoktorwürde durch die Universität Bonn.

Die Aberkennung der Bonner Ehrenpromotion war nicht die erste, nicht die letzte und sicher nicht die schlimmste Schmähung, der Mann durch die Nationalsozialisten und ihre Helfershelfer ausgesetzt war, doch er nutzte sie zu der langerwarteten Generalattacke auf den nationalsozialistischen Staat. Wieder schrieb er einen "Offenen Brief" - diesmal an den Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn: "Zu meiner staatsrechtlichen `Ausbürgerung` habe ich, trotz mancher Anfrage, geschwiegen; die akademische darf ich als schickliche Gelegenheit betrachten zu einem knappen persönlichen Bekenntnis." Mann rechnete, ";in diesem vierten Jahr eines Exils, das freiwillig zu nennen wohl eine Beschönigung wäre, da ich in Deutschland verblieben oder dorthin zurückgekehrt, wahrscheinlich nicht mehr am Leben wäre", mit dem nationalsozialistischen Regime ab. Er schloss mit einem "Stoßgebet": "Gott helfe unserem verdüsterten und missbrauchten Lande und lehre es, seinen Frieden zu machen mit der Welt und mit sich selbst!" Der Züricher Verleger Oprecht veröffentlichte am 15. Januar 1937 Manns "Offenen Brief" zusammen mit der Mitteilung des Bonner Dekans über die Aberkennung der Ehrendoktorwürde unter dem Titel "Ein Briefwechsel". Die Schrift verbreitete sich in kurzer Zeit in der ganzen Welt.

Das "Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda" reagierte umgehend. Es erteilte am 27. Januar 1937 die Weisung: "Thomas Mann soll ausgelöscht werden aus dem Gedächtnis aller Deutschen, da er nicht würdig ist, den Namen Deutscher zu tragen." Daher sei jede Beschäftigung mit Mann in deutschen Zeitungen ";absolut unerwünscht".

Für die Universität Bonn ist die Aberkennung der Ehrendoktorwürde Manns ein düsteres Kapitel. Bis heute sind die Umstände ungeklärt, die zu ihr führten. War es ein Akt von vorauseilendem Gehorsam, der die geistige Gleichschaltung der Universität dokumentieren würde und unangenehm wäre aufgrund der vielfältigen Kontinuitäten des akademischen Personals nach 45? Oder befolgten die Verantwortlichen der Universität ausschließlich Anweisungen von Nationalsozialisten außerhalb der Universität? Der damalige Dekan der Philosophischen Fakultät, das SS-Mitglied Karl Justus Obenauer, erklärte Mitte der 60er Jahre, seine Mitteilung an Mann habe auf einer Weisung des zuständigen Ministeriums beruht. Über den Kurator und Rektor der Universität sei ihm ein diesbezügliches Schreiben zugegangen. Dagegen spricht allerdings die kurze Zeitspanne zwischen Ausbürgerung und Aberkennung. Der deutsche Dienstweg, der auch im Falle Manns immer eingehalten wurde, braucht länger. Auch konnte sich Obenauer 1947 bei einem Spruchgerichtsverfahren nur an eine Weisung von Rektor und Kurator erinnern - nicht aber an eine ministerielle Direktive. Der seinerzeit amtierende Rektor Karl Schmidt behauptete 1948 gar, er habe eindringlich versucht, die Aberkennung zu verhindern. Nachdem dies erfolglos gewesen sei, habe er Obenauer gebeten, Mann das Aberkennungsschreiben als zuständiger Dekan zukommen zu lassen. Ein Jahr später sah sich Schmidt bereits zu einer Relativierung gezwungen: Das Reichserziehungsministerium habe nur gegen den Wunsch von ihm und Obenauer die Aberkennung angeordnet. Im selben Schreiben stellte er jedoch auch fest: "Niemand der Bonner Hochschullehrer hat ebensowenig wie irgend eine andere Persönlichkeit versucht, den Entzug aufzuhalten." ; Auch eine von der Bonner Universität in Auftrag gegebene wissenschaftliche Untersuchung aus dem Jahr 1974 über "Thomas Mann, die Universität Bonn und die Zeitgeschichte", die sich akribisch um Aufklärung bemühte, schaffte es nicht, die damaligen Vorgänge zu entschleiern.

Nach der Kapitulation des Deutschen Reiches war sich die Bonner Universität schnell darüber im klaren, dass die seinerzeitige Aberkennung der Ehrenpromotion Manns einen Makel darstellte, den es rasch zu beseitigen galt. In der ersten regulären Sitzung des neuen Verwaltungsrates im Juni 1945 stand - nach der Klärung von Geschäftsordnungsfragen - als erster Tagesordnungspunkt "Thomas Mann" zur Debatte. Die Universität wollte ihm zum 70. Geburtstag gratulieren - und quasi nebenbei erklären, dass sie nichts mit der damaligen Aberkennung der Ehrenpromotion zu tun gehabt habe. Das Gremium nahm schließlich Abstand von diesem Vorhaben. Ihm erschien es ratsam, Mann zunächst formal zu rehabilitieren.

Ein erster Schritt dazu war ein Beschluss der Philosophischen Fakultät vom 27. August 1945, Mann mitzuteilen, dass sie die Aberkennung als null und nichtig betrachte. Daraufhin bemühten sich die universitären Gremien zu klären, ob der Schriftsteller überhaupt dazu bereit sein würde, die Ehrenpromotion wieder anzunehmen - ein Prozess, der über ein Jahr dauerte. Eine öffentliche Ablehnung des Schriftstellers hätte eine unangenehme Düpierung der "entnazifizierten" Universität dargestellt. Über einen Mittelsmann versicherte sich die Universität daher, dass Mann unter bestimmten Bedingungen bereit war, dass neue Ehrendiplom in Empfang zu nehmen. Dazu gehörte für ihn die Gewissheit, dass die Wiederverleihung nicht auf Druck der Besatzungsmächte erfolgte, sondern auf einhelligen Wunsch der Universität - einschließlich der Studentenschaft, die im Dritten Reich von Anbeginn immer wieder und lautstark gegen den "Undeutschen" gehetzt hatte.

In den akademischen Gremien der Professoren war die "Einhelligkeit" schnell hergestellt. Schwierigkeiten aber gab es mit den Studenten. Der Allgemeine Studenten Ausschuss (AStA) konnte sich nicht zu einem eindeutigen positiven Votum durchringen. Am 15. November 1946 schließlich gab er eine lauwarme Erklärung ab: "Da wir überzeugt sind, dass Herrn Th. Mann die Verleihung der Dr.-Würde rechtmäßig erhalten hat, und uns der Grund der Aberkennung dieser verliehenen Würde nicht genügend bekannt ist, stehen wir einer Herbeiführung des alten Rechtszustandes nicht im Wege." Das war zwar nicht gerade die von Mann gewünschte positive Haltung zu seiner Wiedereinsetzung als Bonner Ehrendoktor, aber er gab sich damit zufrieden. Am 13. Dezember 1946, rund zehn Jahre nach der Aberkennung, erhielt Thomas Mann die Ehrendoktorwürde der Universität Bonn zurück.


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