05.09.2002

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taz

*   Vorzeige-Korrumpel vom Rhein
Von Pascal Beucker und Frank Überall

Am Montag wurde Karl Wienand aus der Untersuchungshaft entlassen. Nach knapp drei Monaten und unter strengen Auflagen. Nun hätte er viel Zeit, sich in den SPD-Wahlkampf zu stürzen. Schließlich ist er ein verdienter Genosse.

Karl Wienand ist wieder frei. Pünktlich zum Wahlkampfendspurt und knapp drei Monate nach seiner Verhaftung wegen seiner Verstrickung in den Kölner Müllskandal entließ ihn der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Köln am Montag überraschend und unter strengen Auflagen aus der Untersuchungshaft. Ob der Vorzeige-Korrumpel sich nun wie Helmut Kohl am Dienstag nun am kommenden Montag zusammen mit Gerhard Schröder auf dem Kölner Alter Markt wird feiern lassen?

Immerhin war der Mann aus Windeck an der Sieg einmal eine große Nummer in der SPD. Er gehörte Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre nach Auffassung des Historikers Arnulf Baring "zum sozialliberalen Kernbereich, zur Handvoll ihrer wichtigsten Figuren". Die Sozialdemokraten verdanken ihrem "Schlawienand" viel. Ohne seine krummen Geschäfte hätte Willy Brandt wahrscheinlich schon 1972 als Bundeskanzler seinen Abschied nehmen müssen. Bis heute hat der damalige parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion die Namen der Unionsabgeordneten nicht verraten, die sich durch seine "Großzügigkeit" überzeugen ließen, beim konstruktiven Misstrauensvotum nicht für den Unionskandidaten Rainer Barzel zu stimmen. Nur die Anzahl verriet er: "Es waren vier."

Die Karriere des Bauarbeitersohns, dessen Vater die Nazis als Kommunisten einsperrten, verlief nach seinem Parteieintritt im Jahr 1947 rasant. Mit 25 Jahren war er bereits Mitglied des SPD-Bezirksvorstands Mittelrhein und Bürgermeister der Gemeinde Rosbach, mit 26 Jahren saß er 1953 als jüngster Abgeordneter im Bundestag. Zehn Jahre später wurde er stellvertretender Vorsitzender des Verteidigungsausschusses und Wehrobmann seiner Fraktion. 1967 wurde er Parlamentarischer Geschäftsführer.
Wienand galt in der Fraktion als Mann für "heikle Fälle". Ohne die Kungel- und Saufkünste des Vertrauten von Brandt und Herbert Wehner, Duzfreundes von Helmut Schmidt und Johannes Rau wären viele Projekte der sozialliberalen Koalition gescheitert. Wenn es sein musste, griff der Skatspieler und Jäger auch zu drastischen Mitteln. Als die CSU 1970 auf ihrem Nürnberger Parteitag mit großen Tönen den Übertritt des FDP-Parlamentariers Karl Geldner verkünden wollte, war Wienand schneller. Geldner, ein notorisch klammer fränkischer Bäckermeister, bekam einen großzügigen Kredit und blieb bei den Liberalen.

Schon 1971 verhedderte sich Wienand in einem Geflecht von lukrativen Partei- und Geschäftsbeziehungen. So wurde ihm nach der missglückten Notlandung eines Flugzeugs auf der Autobahn bei Hamburg, bei der 22 Menschen starben, vorgeworfen, die Charterfluggesellschaft "Paninternational" nicht ganz uneigennützig vor einer Prüfung durch die Luftfahrtbehörde geschützt zu haben. Er soll einen Beratervertrag mit der später bankrotten Skandalfirma gehabt haben. Das jedoch bestritt Wienand vor einem Untersuchungsausschuss, nannte die überwiesenen Beträge an "Charter Charly" Darlehensrückzahlungen. Der Ausschuss kam zu keinem abschließenden Urteil. Es blieb der Verdacht von Zahlungen in Höhe von 162.500 Mark.

Im Dezember 1973 wurde seine Immunität wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung aufgehoben. Ein Jahr später legte er sein Bundestagsmandat nieder. Ende 1975 wurde er wegen Steuerhinterziehung - auch für die Bezüge von Paninternational - zu insgesamt 102.000 Mark Geldstrafe verurteilt.

Wienand startete seine zweite Karriere, zunächst als Geschäftsführer der Bonner Gesellschaft für kosmetische plastische Chirurgie und Ästhetik mbH Klinik International, dann als Unternehmensberater. Inzwischen ist er seit 20 Jahren für den Gummersbacher Anlagenbauer Steinmüller und seit 15 Jahren für den Viersener Müllunternehmer Trienekens tätig. Für den Besitzer einer Bonner Müllkippe handelte er als Bevollmächtigter Mitte der neunziger Jahre mit der Stadt Bonn einen Vertrag aus, der seinem Auftraggeber 6,25 Millionen Mark und Bonn eine "Müllaffäre" einbrachte. Sein damaliger Verhandlungspartner war der ehemalige CDU-Ratsfraktionschef und damalige Mülldezernent Reiner Schreiber. Auch er, Gerüchten zufolge ein Spezi Wienands, wurde unlängst unter Bestechungsverdacht verhaftet.

Der SPD blieb Wienand stets verbunden, und in den achtziger Jahren arbeitete er sogar an einem politischem Comeback. 1980 ließ er sich wieder in den Unterbezirksvorstand der SPD Rhein-Sieg wählen, 1981 in den Vorstand des Bezirks Mittelrhein. 1985 wurde er auch noch Mitglied des Parteirats. Politik und Geschäft gingen dabei für ihn stets Hand in Hand.
Doch 1990 war das parteipolitische Revival vorbei. Wegen wiederholtem Autofahren unter Alkoholeinfluss zu einer sechsmonatigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt, verzichtete Wienand auf seine Kandidatur für den Vorsitz im SPD-Unterbezirk Rhein-Sieg und zog sich aus der Parteiarbeit zurück.

Seine Geschäfte liefen allerdings weiter glänzend. Vor der Kölner Staatsanwaltschaft gab der Ex-Müllmulti Trienekens erst kürzlich Auskunft, wie wertvoll Wienand für ihn war: Er sei ein nützlicher Türöffner Ende der 80er und Anfang der 90-er Jahre gewesen, als die Landesregierung bei der Abfallentsorgung den Ausstieg aus der Deponiewirtschaft forcierte und stattdessen die Müllverbrennungstechnik vorantrieb, gab der inzwischen abgetretene Firmenchef zu Protokoll. Wienand habe stets seine guten Drähte zu einflussreichen Politikern in NRW betont, darunter vor allem zum inzwischen verstorbenen damaligen SPD-Umweltminister Klaus Matthiesen. "Mir wurde klar, dass Wienand zur damaligen Zeit einen erheblichen Einfluss auf Landes- und Kommunalpolitiker hatte."

Doch 1994 kam der nächste Absturz. Wienand geriet unter Spionageverdacht. 1996 wurde er zu zweieinhalb Jahren Haft und einer Million Mark Geldstrafe verurteilt. Das Düsseldorfer Oberlandesgericht befand, er habe sich aus Geldgier und verletzter Eitelkeit nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag mit der Stasi eingelassen und zwischen 1977 und 1989 bei fast 100 konspirativen Treffen im westlichen Ausland mit seinem Führungsoffizier etwa 1,3 Millionen Mark "Agentensold" kassiert. Wienand bestreitet bis heute die Vorwürfe, doch der Bundesgerichtshof bestätigte 1997 das Urteil. Im April 1999 gab Bundespräsident Roman Herzog einem Gnadengesuch Wienands wegen gesundheitlicher Probleme statt. Die Begnadigung verband Herzog jedoch mit einer fünfjährigen Bewährungszeit. Und die ist noch nicht um.

Seit der Aufdeckung des Kölner Spenden- und Schmiergeldskandals vor einem halben Jahr hat der heute 75-Jährige wieder Ärger mit der Justiz: Die Staatsanwaltschaft verdächtigt ihn der Beihilfe zu Bestechlichkeit und Bestechung sowie der Steuerhinterziehung. Von den 21,6 Millionen Mark an Schmiergeld, die Steinmüller im Zusammenhang mit dem Bau der Kölner Müllverbrennungsanlage gezahlt haben soll, soll Wienand 4,4 Millionen kassiert und zusätzlich noch den für Trienekens bestimmten Anteil in Höhe von zwei Millionen bekommen haben. Im Fall einer Verurteilung hätte er seine Bewährungsstrafe zusätzlich abzusitzen.

Bis dahin ist es allerdings noch etwas hin. Jetzt darf Wienand erst einmal seine wieder gewonnene Freiheit genießen. Doch bei Schröder auf dem Alter Markt wird er sich am Montag wohl nicht blicken lassen. Denn auch wenn er es sich nicht erklären kann: Die Genossen lassen sich nicht mehr gerne mit ihm sehen. Mitte Juni musste er sogar sein Parteibuch zurückgeben, um einem Ausschluss zuvorzukommen. Das Ende einer schillernden sozialdemokratischen Karriere.


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