SPD-Bundeskanzler
Gerhard Schröder kämpft im Endspurt vor der Bundestagswahl mit
vergessen geglaubten Parolen wie „Gerechtigkeit“ und „Gemeinsinn“
um die Stammwählerschaft. Aber sein NRW-Ministerpräsident macht Sorgen.
Er sei
froh über jeden Schritt, den er nicht mehr tun müsse, hat Hans-Jürgen
Wischnewski erst kürzlich gesagt und ihm ist anzusehen, wie ernst er das
meint. 80 Jahre alt ist „Ben Wisch“, der „Held von Mogadischu“,
inzwischen alt und gesundheitlich geht es dem sozialdemokratischen
Urgestein nach mehreren Hüftoperationen und zwei nicht mehr so gut. Aber
auch wenn ihm das Laufen sehr schwer fällt und er die Bühne auf dem Kölner
Alter Markt nur langsam und mit Hilfe betreten kann: Wenn seine Partei
ihn braucht, ist der erfahrene Krisenmanager und einzige bekannte
Alt-Sozi der Domstadt ohne Verwicklung in den Kölner SPD-Spendenskandal
noch einmal zur Stelle. Die Rhein-Ruhr-Sozialdemokraten mobilisieren ihre
letzten Reserven.
Das
haben sie auch dringend nötig. Denn die Wählergunst in
Nordrhein-Westfalen dürfte entscheidend sein, ob Gerhard Schröder
Bundeskanzler bleiben kann. 46 Prozent plus X lautet die Zielmarke für
die NRW-Genossen. Die müssen sie schaffen, so zeigt die Statistik: Noch
nie in der Geschichte der Bundesrepublik schaffte es die SPD in die
Regierung, wenn sie in ihrem Kernland weniger als 46 Prozent holte.
Doch
noch reicht es nicht. Laut der letzten Umfrage von Infratest dimap für
die WDR-Sendung Westpol vom Wochenende verbesserte sich die SPD im bevölkerungsreichsten
Bundesland im Vergleich zu Ende August zwar um zwei Prozentpunkte. Damit
käme sie jetzt auf 42 Prozent – noch 4 Prozent „unterm Durst“. Die
CDU verlor zwei Punkte und landet bei 35 Prozent, während die FDP bei
elf Prozent verbleibt. Die Grünen verbesserten sich um einen
Prozentpunkt auf acht Prozent.
Kein
Wunder, dass die SPD im Wahlkampfendspurt nun ihre Kräfte auf NRW
konzentriert. Sie weiß: Die Zeiten, wo die Partei in Städten wie
Bottrop, Oberhausen oder Duisburg nur eine Bierflasche aufstellen musste,
um das Direktmandat zu holen, sind vorbei.
Nach den
unzähligen Spenden- und Schmiergeldskandalen müssen die Genossen kämpfen.
Und das tun sie – mit einem enormen materiellen Einsatz. So berichtet
der Spiegel, dass die SPD in NRW etwa 6.000 Großflächenplakate
aufgestellt hat – angeblich so viel wie die Christdemokraten in der
ganzen Bundesrepublik. Kostenpunkt für 30 Tage pro Plakat: 350 Euro.
Doch
nicht nur die Skandale belasten den SPD-Wahlkampf. Hinzu kommt noch ein
sozialdemokratischer Ministerpräsident, der vor allem durch cholerische
Ausfälle von sich reden macht. Wolfgang Clement, der in seiner Amtszeit
bisher vor allem Flops produziert und bei der Landtagswahl 2000 das
schlechteste Ergebnis für die NRW-Sozis seit Jahrzehnten eingefahren
hat, erweist sich zunehmend als Belastung für den Kanzler. Während Schröder
– anders als noch 1998 – mit einem eindeutigen Bekenntnis zu Rot-Grün
über die Plätze zieht, spielt sein Partei-Vize mit der gelben Karte Möllemanns
und sondert Spitzen und Drohgebärden gegen den kleinen Koalitionspartner
ab. Während Schröder unablässig alte und schon vergessen geglaubte
sozialdemokratische Werte wie Solidarität, soziale Gerechtigkeit und
Chancengleichheit beschwört, um das klassische sozialdemokratische
Klientel zurück an die Urnen zu locken, lebt Clement weiter sein Faible
für unsinnige Großprojekte aus und betreibt Sozialkahlschlag – wenig
überraschend, dass der bundesweite Stimmungsumschwung zugunsten von
Rot-Grün Nordrhein-Westfalen nur verspätet und bislang noch
unzureichend erreicht hat.
Die
fehlenden mindestens vier Prozent sollen nun in den letzten Tagen bis zur
Wahl durch intensiven Personaleinsatz gewonnen werden: Von Parteigeneral
Franz Müntefering bis zum Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin –
kein Spitzengenosse, der nicht zur Zeit zwischen Rhein und Weser die
Werbetrommel rührt. Allein Schröder tingelt in den letzten zwei Wochen
vor der Wahl sieben Mal quer durch das Land: In Köln, Essen und Münster
war er bereits in den vergangenen Tagen, Aachen, Gelsenkirchen und
Bielefeld stehen in den nächsten auf seinem Terminplan. Seine große
Abschlusskundgebung ist für den 20. September in Dortmund geplant, der
einstigen „Herzkammer der Sozialdemokratie“. Zwei Tage später wird
abgerechnet.
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