12.09.2002

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taz

*   Sozialdemokratisches Zittern im Westen
Von Pascal Beucker

SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder kämpft im Endspurt vor der Bundestagswahl mit vergessen geglaubten Parolen wie „Gerechtigkeit“ und „Gemeinsinn“ um die Stammwählerschaft. Aber sein NRW-Ministerpräsident macht Sorgen.

Hans-Jürgen WischnewskiEr sei froh über jeden Schritt, den er nicht mehr tun müsse, hat Hans-Jürgen Wischnewski erst kürzlich gesagt und ihm ist anzusehen, wie ernst er das meint. 80 Jahre alt ist „Ben Wisch“, der „Held von Mogadischu“, inzwischen alt und gesundheitlich geht es dem sozialdemokratischen Urgestein nach mehreren Hüftoperationen und zwei nicht mehr so gut. Aber auch wenn ihm das Laufen sehr schwer fällt und er die Bühne auf dem Kölner Alter Markt nur langsam und mit Hilfe betreten kann: Wenn seine Partei ihn braucht, ist der erfahrene Krisenmanager und einzige bekannte Alt-Sozi der Domstadt ohne Verwicklung in den Kölner SPD-Spendenskandal noch einmal zur Stelle. Die Rhein-Ruhr-Sozialdemokraten mobilisieren ihre letzten Reserven.

Das haben sie auch dringend nötig. Denn die Wählergunst in Nordrhein-Westfalen dürfte entscheidend sein, ob Gerhard Schröder Bundeskanzler bleiben kann. 46 Prozent plus X lautet die Zielmarke für die NRW-Genossen. Die müssen sie schaffen, so zeigt die Statistik: Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik schaffte es die SPD in die Regierung, wenn sie in ihrem Kernland weniger als 46 Prozent holte.

Doch noch reicht es nicht. Laut der letzten Umfrage von Infratest dimap für die WDR-Sendung Westpol vom Wochenende verbesserte sich die SPD im bevölkerungsreichsten Bundesland im Vergleich zu Ende August zwar um zwei Prozentpunkte. Damit käme sie jetzt auf 42 Prozent – noch 4 Prozent „unterm Durst“. Die CDU verlor zwei Punkte und landet bei 35 Prozent, während die FDP bei elf Prozent verbleibt. Die Grünen verbesserten sich um einen Prozentpunkt auf acht Prozent.

Kein Wunder, dass die SPD im Wahlkampfendspurt nun ihre Kräfte auf NRW konzentriert. Sie weiß: Die Zeiten, wo die Partei in Städten wie Bottrop, Oberhausen oder Duisburg nur eine Bierflasche aufstellen musste, um das Direktmandat zu holen, sind vorbei.

Nach den unzähligen Spenden- und Schmiergeldskandalen müssen die Genossen kämpfen. Und das tun sie – mit einem enormen materiellen Einsatz. So berichtet der Spiegel, dass die SPD in NRW etwa 6.000 Großflächenplakate aufgestellt hat – angeblich so viel wie die Christdemokraten in der ganzen Bundesrepublik. Kostenpunkt für 30 Tage pro Plakat: 350 Euro.

Doch nicht nur die Skandale belasten den SPD-Wahlkampf. Hinzu kommt noch ein sozialdemokratischer Ministerpräsident, der vor allem durch cholerische Ausfälle von sich reden macht. Wolfgang Clement, der in seiner Amtszeit bisher vor allem Flops produziert und bei der Landtagswahl 2000 das schlechteste Ergebnis für die NRW-Sozis seit Jahrzehnten eingefahren hat, erweist sich zunehmend als Belastung für den Kanzler. Während Schröder – anders als noch 1998 – mit einem eindeutigen Bekenntnis zu Rot-Grün über die Plätze zieht, spielt sein Partei-Vize mit der gelben Karte Möllemanns und sondert Spitzen und Drohgebärden gegen den kleinen Koalitionspartner ab. Während Schröder unablässig alte und schon vergessen geglaubte sozialdemokratische Werte wie Solidarität, soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit beschwört, um das klassische sozialdemokratische Klientel zurück an die Urnen zu locken, lebt Clement weiter sein Faible für unsinnige Großprojekte aus und betreibt Sozialkahlschlag – wenig überraschend, dass der bundesweite Stimmungsumschwung zugunsten von Rot-Grün Nordrhein-Westfalen nur verspätet und bislang noch unzureichend erreicht hat.

Die fehlenden mindestens vier Prozent sollen nun in den letzten Tagen bis zur Wahl durch intensiven Personaleinsatz gewonnen werden: Von Parteigeneral Franz Müntefering bis zum Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin – kein Spitzengenosse, der nicht zur Zeit zwischen Rhein und Weser die Werbetrommel rührt. Allein Schröder tingelt in den letzten zwei Wochen vor der Wahl sieben Mal quer durch das Land: In Köln, Essen und Münster war er bereits in den vergangenen Tagen, Aachen, Gelsenkirchen und Bielefeld stehen in den nächsten auf seinem Terminplan. Seine große Abschlusskundgebung ist für den 20. September in Dortmund geplant, der einstigen „Herzkammer der Sozialdemokratie“. Zwei Tage später wird abgerechnet.


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