26.09.2002

Startseite
taz

*   Liberale Götterdämmerung am Rhein
Von Pascal Beucker
Klamauk- und Radauwahlkampf, das Spielen mit antisemitischen Ressentiments – alles hätten die nordrhein-westfälischen Liberalen ihrem Landeschef verziehen. Nur eins nicht: dass Möllemann nicht den Erfolg damit hatte, den er ihnen versprach.

Jürgen W. MöllemannDer Anruf kam am frühen Abend und lange nach Redaktionsschluss der taz-Mittwochsausgabe. Am Apparat: Ulrike Flach, die Stellvertreterin Jürgen W. Möllemanns bei den nordrhein-westfälischen Liberalen. Am Dienstag Mittag hatte sie noch eine Lanze für ihren Landeschef gebrochen. „Wir können es uns nicht leisten, Möllemann zu verlieren“, verkündete die 51-jährige Mülheimer Politikerin gegenüber der taz. Schließlich müsse die Partei von einem „guten Vorsitzenden“ in die Landtagswahl 2005 geführt werden. Da sehe sie derzeit keine Alternative zu dem großen Zampano. Doch das war etwa vier Stunden früher gewesen. Inzwischen, so teilte Flach nun mit, habe sich ihre Haltung geändert. Jetzt habe Möllemann-Herausforderer Andreas Pinkwart ihre volle Unterstützung bei seinem Versuch, Möllemann auf dem Sonderparteitag am 7. Oktober zu stürzen. „Das Maß ist voll“, resümierte die Bundestagsabgeordnete. Um Jürgen W. wird es einsam.

Den 180-Grad-Schwenk seiner Vize hat weder der Austritt der liberalen Grand Old Lady Hildegard Hamm-Brücher bewirkt, noch die späte Einsicht, dass eine demokratische Partei nicht mit dem Schüren antisemitischer Ressentiments auf Stimmenfang gehen darf – Auslöser waren läppische Sätze über Parteichef Guido Westerwelle, die Möllemann nie und schon gar nicht bereits am 6. September gesagt haben will, die aber der stern in einer Vorabmeldung zitierte: „Er hat schwere strategische Fehler gemacht und sich nicht getraut, Führung zu zeigen, Themen zu setzen und die dazu passenden Figuren nach vorn zu schieben... Westerwelle ist einfach zu dünn.“

Die FDP ist doch ein sonderbarer Verein. Einst im Ruf der Bürgerrechtspartei stehend, scheint ihr jetziges Personal genau das zu sein, was ihre Vorderen propagieren: leistungs- und erfolgsorientiert – und mehr nicht. Die Leistung, für die die meisten Parteimitglieder in NRW Möllemann bisher in blindem Gehorsam folgten, war, dass er ihnen nach dem tiefen Tal der Tränen Mitte der 90-er Jahre wieder einen Haufen von Mandaten und Pöstchen bescherte. Dafür nahmen sie seine Kapriolen billigend in Kauf – sogar, dass sich der Dampfplauderer (aus rein machtpolitischen Gründen) auf Landesebene mit der SPD einlassen wollte, während sie doch in der Regel vor Ort unverbrüchlich mit den Christdemokraten verbandelt sind.

Nach dem in der Tat grandiosen Abschneiden bei der Landtagswahl 2000 ließen sie sich auch ohne Widerspruch auf Möllemanns nächsten Coup ein: das „Projekt 18“. Seine 8-Prozent-Kampagne für den Landtag war der erfolgreiche Versuch gewesen, nicht die gefährliche Diskussion aufkommen zu lassen, die Liberalen könnten an der 5-Prozent-Hürde scheitern. Joschka Fischer kopierte bei der Bundestagswahl diese Strategie für die Grünen – ebenso erfolgreich. Möllemann wollte die Schraube weiterdrehen und die Partei machte mit: Erwachsene Menschen liefen herum mit „18“-Stickern, Hemden, Schuhen und Unterhosen. Schließlich, so hatte ihr Meister gelehrt, sind Performance und Schlagzeilen alles. Der nach dem Aderlass der „Wende“ von 1982 – damals verlor die FDP ihre klügsten Nachwuchsköpfe und ungeheure intellektuelle Kapazitäten – reichlich muffige Haufen fühlte sich plötzlich „hip“. Kohls alte Funktionspartei mutierte zur vermeintlich erfolgreichen „Spaßpartei“.

Nach der Bundestagswahl herrscht Katerstimmung an den liberalen Stammtischen. Obwohl dazu objektiv gesehen keinerlei Veranlassung besteht. Denn die bundesweit 7,4 Prozent sind ein hervorragendes Ergebnis für eine Partei, die außer hohlen Phrasen und ihren Dreschern sowie Politikrezepten reaktionärer Prägung von anno dazumal nichts zu bieten hat – die also inzwischen völlig überflüssig ist, außer als Mehrheitsbeschafferin für die Union.

Trotz des Wermuttropfens, nicht gemeinsam mit Edmund Stoiber rot-grün abgelöst zu haben, hätte auch normalerweise die FDP euphorisch ihren 1,2 Prozent-Hinzugewinn gefeiert. Wenn sie denn nicht selber von Möllemanns Klamauk überzeugt gewesen wäre.
Der Politdesperado hatte dabei frühzeitig erkannt: In die Höhen, in die er die FDP illusioniert hat, konnte die Partei nur durch kräftige rechtspopulistische Einschläge kommen. So wie es Haider in Österreich vorgemacht hat. „Tabubrüche“ gehörten dabei zur Kalkulation. 

Möllemanns Ausfälle gegen die israelische Regierung und gegen Michel Friedman waren und sind kein privater Spleen, sondern ein ebenso bewusstes Spielen mit latent vorhandenen antisemitischen Stimmungen, wie er auch ganz gezielt das Bild von der bösen „politischen Klasse“ bemühte, der er sich angeblich tapfer entgegenstelle. Möllemann wollte die FDP als vermeintliche „Protestpartei“ auch für den rechten Bodensatz der Gesellschaft attraktiv machen.

Die Parteifunktionäre machten bei dem Spuk mit, denn er versprach Erfolg. Dafür nahmen sie auch, wie beispielsweise in Köln, billigend in Kauf, dass langjährige FDP-Mitglieder jüdischen Glaubens in großer Sorge fragten, ob ihre und die Partei von Ignatz Bubis plötzlich eine antisemitische Richtung einschlägt. Auch wenn dabei den einen oder die andere das liberale Gewissen plagte: Abgesehen von ein paar aufrechten und entsprechend einflusslosen Altliberalen wie Baum und Hirsch wollte sich niemand Möllemann entgegenstellen.

Nicht einmal der Bundesvorsitzende begehrte auf, obwohl die FDP mit der „Antisemitismusdebatte“ jegliche Reputation zu verspielen drohte. Erst der übermächtige gesellschaftliche Druck und die – ebenfalls sehr späte – Intervention des Altvorderen Hans-Dietrich Genscher brachte ihn nach langer Zeit des Zögerns dazu, Möllemann Anfang Juni in die Schranken zu weisen. Einen Bruch wagte Westerwelle indes nicht. Er erklärte die Debatte für beendet und führte einfach weiter Wahlkampf – zusammen mit Jürgen W. Möllemann. Dabei hatte dieser von seinen Angriffen gegen Friedman substanziell nichts zurückgenommen. Nicht nur Westerwelle war’s egal.

Nachdem der Parteichef Möllemann doch noch gebremst hatte, war allerdings der Traum von einem exorbitant besseren Wahlergebnis als 1998 de facto ausgeträumt. Denn mit seinem „Machtwort“ verprellte Westerwelle die Stimmen des „gesunden Volksempfindens“, die für einen Prozentsatz eindeutig im zweistelligen Bereich notwendig gewesen wären. Den Rest erledigte das peinliche Agieren der Parteiführung bei der Flutkatastrophe.

Möllemanns unappetitliche Postwurfsendung wenige Tage vor der Wahl war nur noch der kopflose Versuch, von seiner Wahlerfolgsstrategie zu retten, was noch zu retten war: Zumindest an der Heimatfront sollte der Sinkflug gestoppt werden. Tatsächlich kann er das überdurchschnittliche Ergebnis von 9,3 Prozent in NRW vor allem als Resultat seines persönlichen Einsatzes begreifen.

Ex-Woche-Chefredakteur Manfred Bissinger hat die FDP nach der Wahl mit der New Economy verglichen: Eine Blase ist geplatzt. Möllemann muss dafür als Sündenbock herhalten – für eine Bundesspitze, die sich mit ihrem „Spaßwahlkampf“ lächerlich gemacht hat und nun nicht über eigene Fehler nachdenken will, und für eine Parteibasis, die sich hatte in den Rausch treiben lassen, sie wäre auf dem Weg zur „Volkspartei“ und jetzt einen dicken Kopf hat. Sie verzeiht dem Münsteraner Politentertainer alles, außer: nicht den Erfolg gehabt zu haben, den er ihnen versprach.

Deswegen dürfte es für Möllemann auch schwer werden, den Sonderparteitag am 7. Oktober gegen seinen blassen Gegenkandidaten und bisherigen Stellvertreter Andreas Pinkwart zu überstehen. Ihm droht eine Niederlage, wie er sie schon einmal, 1994, gegen den ebenso blassen Joachim Schultz-Tornau erleben musste. Das Ergebnis damals war, dass die FDP ein halbes Jahr später aus dem Landtag flog.

Stürzt Möllemann, wird das zwei sehr erfreuliche Folgen haben: Erstens dürfte damit endgültig der Versuch der Haiderisierung der FDP gestoppt sein. Zweitens stutzt sich die NRW-FDP wieder auf Normalmaß. Bei der Wahl 2005 wird sie um den Wiedereinzug in den Landtag kämpfen müssen.


© Pascal Beucker. Alle Rechte an Inhalt, Gestaltung, Fotos liegen beim Autor. Direkte und indirekte Kopien, sowie die Verwendung von Text und Bild nur mit ausdrücklicher, schriftlicher Genehmigung des Autors.