Klamauk- und Radauwahlkampf, das Spielen
mit antisemitischen Ressentiments – alles hätten die nordrhein-westfälischen
Liberalen ihrem Landeschef verziehen. Nur eins nicht: dass Möllemann
nicht den Erfolg damit hatte, den er ihnen versprach.
Der Anruf kam am frühen Abend und lange
nach Redaktionsschluss der taz-Mittwochsausgabe. Am Apparat: Ulrike
Flach, die Stellvertreterin Jürgen W. Möllemanns bei den
nordrhein-westfälischen Liberalen. Am Dienstag Mittag hatte sie noch
eine Lanze für ihren Landeschef gebrochen. „Wir können es uns nicht
leisten, Möllemann zu verlieren“, verkündete die 51-jährige Mülheimer
Politikerin gegenüber der taz. Schließlich müsse die Partei von einem
„guten Vorsitzenden“ in die Landtagswahl 2005 geführt werden. Da
sehe sie derzeit keine Alternative zu dem großen Zampano. Doch das war
etwa vier Stunden früher gewesen. Inzwischen, so teilte Flach nun mit,
habe sich ihre Haltung geändert. Jetzt habe Möllemann-Herausforderer
Andreas Pinkwart ihre volle Unterstützung bei seinem Versuch, Möllemann
auf dem Sonderparteitag am 7. Oktober zu stürzen. „Das Maß ist
voll“, resümierte die Bundestagsabgeordnete. Um Jürgen W. wird es
einsam.
Den 180-Grad-Schwenk seiner Vize hat weder
der Austritt der liberalen Grand Old Lady Hildegard Hamm-Brücher
bewirkt, noch die späte Einsicht, dass eine demokratische Partei nicht
mit dem Schüren antisemitischer Ressentiments auf Stimmenfang gehen darf
– Auslöser waren läppische Sätze über Parteichef Guido Westerwelle,
die Möllemann nie und schon gar nicht bereits am 6. September gesagt
haben will, die aber der stern in einer Vorabmeldung zitierte:
„Er hat schwere strategische Fehler gemacht und sich nicht getraut, Führung
zu zeigen, Themen zu setzen und die dazu passenden Figuren nach vorn zu
schieben... Westerwelle ist einfach zu dünn.“
Die FDP ist doch ein sonderbarer Verein.
Einst im Ruf der Bürgerrechtspartei stehend, scheint ihr jetziges
Personal genau das zu sein, was ihre Vorderen propagieren: leistungs- und
erfolgsorientiert – und mehr nicht. Die Leistung, für die die meisten
Parteimitglieder in NRW Möllemann bisher in blindem Gehorsam folgten,
war, dass er ihnen nach dem tiefen Tal der Tränen Mitte der 90-er Jahre
wieder einen Haufen von Mandaten und Pöstchen bescherte. Dafür nahmen
sie seine Kapriolen billigend in Kauf – sogar, dass sich der
Dampfplauderer (aus rein machtpolitischen Gründen) auf Landesebene mit
der SPD einlassen wollte, während sie doch in der Regel vor Ort unverbrüchlich
mit den Christdemokraten verbandelt sind.
Nach dem in der Tat grandiosen Abschneiden
bei der Landtagswahl 2000 ließen sie sich auch ohne Widerspruch auf Möllemanns
nächsten Coup ein: das „Projekt 18“. Seine 8-Prozent-Kampagne für
den Landtag war der erfolgreiche Versuch gewesen, nicht die gefährliche
Diskussion aufkommen zu lassen, die Liberalen könnten an der 5-Prozent-Hürde
scheitern. Joschka Fischer kopierte bei der Bundestagswahl diese
Strategie für die Grünen – ebenso erfolgreich. Möllemann wollte die
Schraube weiterdrehen und die Partei machte mit: Erwachsene Menschen
liefen herum mit „18“-Stickern, Hemden, Schuhen und Unterhosen.
Schließlich, so hatte ihr Meister gelehrt, sind Performance und
Schlagzeilen alles. Der nach dem Aderlass der „Wende“ von 1982 –
damals verlor die FDP ihre klügsten Nachwuchsköpfe und ungeheure
intellektuelle Kapazitäten – reichlich muffige Haufen fühlte sich plötzlich
„hip“. Kohls alte Funktionspartei mutierte zur vermeintlich
erfolgreichen „Spaßpartei“.
Nach der Bundestagswahl herrscht
Katerstimmung an den liberalen Stammtischen. Obwohl dazu objektiv gesehen
keinerlei Veranlassung besteht. Denn die bundesweit 7,4 Prozent sind ein
hervorragendes Ergebnis für eine Partei, die außer hohlen Phrasen und
ihren Dreschern sowie Politikrezepten reaktionärer Prägung von anno
dazumal nichts zu bieten hat – die also inzwischen völlig überflüssig
ist, außer als Mehrheitsbeschafferin für die Union.
Trotz des Wermuttropfens, nicht gemeinsam
mit Edmund Stoiber rot-grün abgelöst zu haben, hätte auch
normalerweise die FDP euphorisch ihren 1,2 Prozent-Hinzugewinn gefeiert.
Wenn sie denn nicht selber von Möllemanns Klamauk überzeugt gewesen wäre.
Der Politdesperado hatte dabei frühzeitig erkannt: In die Höhen, in die
er die FDP illusioniert hat, konnte die Partei nur durch kräftige
rechtspopulistische Einschläge kommen. So wie es Haider in Österreich
vorgemacht hat. „Tabubrüche“ gehörten dabei zur Kalkulation.
Möllemanns Ausfälle gegen die
israelische Regierung und gegen Michel Friedman waren und sind kein
privater Spleen, sondern ein ebenso bewusstes Spielen mit latent
vorhandenen antisemitischen Stimmungen, wie er auch ganz gezielt das Bild
von der bösen „politischen Klasse“ bemühte, der er sich angeblich
tapfer entgegenstelle. Möllemann wollte die FDP als vermeintliche
„Protestpartei“ auch für den rechten Bodensatz der Gesellschaft
attraktiv machen.
Die Parteifunktionäre machten bei dem
Spuk mit, denn er versprach Erfolg. Dafür nahmen sie auch, wie
beispielsweise in Köln, billigend in Kauf, dass langjährige
FDP-Mitglieder jüdischen Glaubens in großer Sorge fragten, ob ihre und die Partei von
Ignatz Bubis plötzlich eine antisemitische Richtung einschlägt. Auch
wenn dabei den einen oder die andere das liberale Gewissen plagte:
Abgesehen von ein paar aufrechten und entsprechend einflusslosen
Altliberalen wie Baum und Hirsch wollte sich niemand Möllemann
entgegenstellen.
Nicht einmal der Bundesvorsitzende
begehrte auf, obwohl die FDP mit der „Antisemitismusdebatte“ jegliche
Reputation zu verspielen drohte. Erst der übermächtige
gesellschaftliche Druck und die – ebenfalls sehr späte –
Intervention des Altvorderen Hans-Dietrich Genscher brachte ihn nach
langer Zeit des Zögerns dazu, Möllemann Anfang Juni in die Schranken zu
weisen. Einen Bruch wagte Westerwelle indes nicht. Er erklärte die
Debatte für beendet und führte einfach weiter Wahlkampf – zusammen
mit Jürgen W. Möllemann. Dabei hatte dieser von seinen Angriffen gegen
Friedman substanziell nichts zurückgenommen. Nicht nur Westerwelle
war’s egal.
Nachdem der Parteichef Möllemann doch
noch gebremst hatte, war allerdings der Traum von einem exorbitant
besseren Wahlergebnis als 1998 de facto ausgeträumt. Denn mit seinem
„Machtwort“ verprellte Westerwelle die Stimmen des „gesunden
Volksempfindens“, die für einen Prozentsatz eindeutig im zweistelligen
Bereich notwendig gewesen wären. Den Rest erledigte das peinliche
Agieren der Parteiführung bei der Flutkatastrophe.
Möllemanns unappetitliche Postwurfsendung
wenige Tage vor der Wahl war nur noch der kopflose Versuch, von seiner
Wahlerfolgsstrategie zu retten, was noch zu retten war: Zumindest an der
Heimatfront sollte der Sinkflug gestoppt werden. Tatsächlich kann er das
überdurchschnittliche Ergebnis von 9,3 Prozent in NRW vor allem als
Resultat seines persönlichen Einsatzes begreifen.
Ex-Woche-Chefredakteur Manfred
Bissinger hat die FDP nach der Wahl mit der New Economy verglichen: Eine
Blase ist geplatzt. Möllemann muss
dafür als Sündenbock herhalten – für eine Bundesspitze, die sich mit
ihrem „Spaßwahlkampf“ lächerlich gemacht hat und nun nicht über
eigene Fehler nachdenken will, und für eine Parteibasis, die sich hatte
in den Rausch treiben lassen, sie wäre auf dem Weg zur „Volkspartei“
und jetzt einen dicken Kopf hat. Sie verzeiht dem Münsteraner
Politentertainer alles, außer: nicht den Erfolg gehabt zu haben, den er
ihnen versprach.
Deswegen dürfte es für Möllemann auch
schwer werden, den Sonderparteitag am 7. Oktober gegen seinen blassen
Gegenkandidaten und bisherigen Stellvertreter Andreas Pinkwart zu überstehen.
Ihm droht eine Niederlage, wie er sie schon einmal, 1994, gegen den
ebenso blassen Joachim Schultz-Tornau erleben musste. Das Ergebnis damals
war, dass die FDP ein halbes Jahr später aus dem Landtag flog.
Stürzt Möllemann, wird das zwei sehr
erfreuliche Folgen haben: Erstens dürfte damit endgültig der Versuch
der Haiderisierung der FDP gestoppt sein. Zweitens stutzt sich die
NRW-FDP wieder auf Normalmaß. Bei der Wahl 2005 wird sie um den
Wiedereinzug in den Landtag kämpfen müssen.
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