12.02.2003

Startseite
Jungle World

*   Grün ist der Wechsel
Von Pascal Beucker und Paul Urban

Die derzeitige Krise der Sozialdemokraten führt zu Spekulationen über schwarz-grüne Bündnisse. Köln wird seit kurzem von einem regiert.

Barbara Moritz (Bündnis 90/Die Grünen)Im Moment ist Barbara Moritz eine gefragte Frau. »Ich kann kaum mehr einkaufen gehen, ohne auf das Bündnis mit der CDU angesprochen zu werden«, sagt die Vorsitzende der Fraktion der Grünen im Kölner Rathaus. Dann spricht die 51jährige Lehrerin geduldig von der »Notgemeinschaft«, die ihre Partei mit den Christdemokraten eingegangen sei, vom finanziellen Desaster der Stadt und von der dringend notwendigen Haushaltskonsolidierung. Dabei vermeidet sie jeglichen euphorischen Ton: »Für uns kommen jetzt harte Zeiten.«

Seit dem Dienstag der vergangenen Woche wird Köln von einer schwarz-grünen Koalition regiert, es ist das erste Bündnis der CDU mit den Grünen in einer deutschen Millionenstadt. Zustande gekommen ist es, weil die zuvor regierende Koalition aus der CDU und der FDP eine verheerende Niederlage im Rat der Stadt einstecken musste. Trotz einer Mehrheit von einer Stimme scheiterte sie im Dezember und im Januar mit dem Versuch, den städtischen Wohnungsbaukonzern GAG an das internationale Investmentunternehmen Terra Firma Capital Partners zu verkaufen.

Mit dem in der Stadt heftig umstrittenen Geschäft, bei dem es um 420 Millionen Euro ging und gegen das die Grünen, die SPD, die PDS, die Gewerkschaften und die Sozialverbände Sturm liefen, hatten die CDU und die FDP den städtischen Haushalt für das Jahr 2003 finanzieren wollen.

Unmittelbar nach der zweiten Abstimmungsniederlage kündigte der Fraktionsvorsitzende der CDU, Rolf Bietmann, Gespräche mit den Grünen an, da »die bisherige Koalition für wichtige Entscheidungen keine sichere Mehrheit bietet«. Und die Grünen, die über 15 statt wie die FDP über vier Mandate im Rathaus verfügen, standen bereit. Rund zwei Wochen dauerten die Verhandlungen, dann einigten sich die Verhandlungsführer der CDU und der Grünen.

Für Barbara Moritz ist die schwarz-grüne Zusammenarbeit in Köln »keine Liebesbeziehung, sondern ein aus der Not geborenes Zweckbündnis bis zur Kommunalwahl 2004«. Nach 19 Jahren in der Opposition habe ihre Partei einfach Verantwortung übernehmen müssen, um Schlimmeres zu verhindern. Denn angesichts eines riesigen Haushaltsdefizits von über 500 Millionen Euro gehe es »lediglich darum, aus den gegebenen Möglichkeiten das Beste zu machen«.

Ein neues Phänomen ist die ungewohnt wirkende Farbkombination in Köln indes nicht. Die bisher dauerhafteste schwarz-grüne Koalition in einem Rathaus wurde 1989 in der hessischen Gemeinde Otzberg bei Darmstadt gebildet. Seit dem Juni des Jahres 2001 wird bereits die Landeshauptstadt Saarbrücken von der CDU und den Grünen regiert. Bündnisse der Christdemokraten mit den Grünen gibt es derzeit auch in Mecklenburg-Vorpommern, in Niedersachsen, in Rheinland-Pfalz und in Hessen.

Interessant ist allerdings der Zeitpunkt, zu dem nun in der viertgrößten Stadt Deutschlands ein schwarz-grünes Bündnis entsteht. Bei den vergangenen Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen haben beide Parteien Stimmengewinne erzielen können, während die SPD schwere Niederlagen einstecken musste. Vor allem die Schwäche der Sozialdemokraten gefährdet derzeit die rot-grüne Bundesregierung.

Richard Herzinger schrieb in der Zeit: »Die Grünen aber werden sich nun verstärkt überlegen, ob sie ihr Schicksal weiter an eine immer tiefer in die ideologische Sinnkrise driftende Sozialdemokratie binden wollen.« Die schwarz-grüne Option werde gerade bei den Grünen enorm an »Zugkraft« gewinnen, denn: »Warum sollten die Grünen ihr wachsendes Selbstvertrauen immer nur dazu einsetzen, einem sklerotischen Partner über die Hürde zur Macht zu verhelfen?«

Die Kölner Grünen versuchen, dem Verdacht entgegenzuwirken, sie könnten mit der Wendung zur CDU auch in dieser Hinsicht die Geschichte der FDP nachvollziehen. Sie vermeiden daher jede ideologische Überhöhung der neuen Farbenlehre in Köln. Mit den skurrilen Schwärmereien ihres baden-württembergischen Parteifreundes Oswald Metzger habe das, was in Köln geschehe, nichts zu tun.

Metzger hat kürzlich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die Art und Weise kritisiert, »wie sich die grüne Führungsriege um Joseph Fischer in den letzten drei Monaten von der SPD vorführen ließ« und schwarz-grünen Bündnissen »mehr Charme, kreative Veränderung und gesellschaftliche Modernisierung als allen anderen politischen Farbkonzepten« zugetraut. »Schwarz-grün symbolisiert das Aufbrechen von Tabus, versinnbildlicht die Bereitschaft, im Interesse der dringend notwendigen gesellschaftlichen Erneuerung aus den eingefahrenen Pfaden des politischen Establishments auszubrechen«, schrieb Metzger. Er wies zurecht daraufhin, dass sich die CDU und die Grünen auf der »Werteebene« durchaus nahe stünden.

Vor allem beim Thema Umweltschutz und bei der Vorstellung, welche Rolle der Staat spielen solle, gebe es Übereinstimmungen. Die Grünen wie die CDU wollten die Schöpfung bewahren, den »allmächtigen Staat« zurückdrängen, auf mehr Eigenverantwortung und Bürgerbeteiligung setzen und das »Leben zu Lasten künftiger Generationen« beenden. Auch ein »gewisser Wachstumsskeptizismus« sei den Grünen und den Christdemokraten gemein.

Tatsächlich sind der Wertkonservatismus und der Wirtschaftsliberalismus in beiden Parteien zu finden. Dennoch spricht Metzger momentan noch für eine Minderheit in seiner Partei. Andere Grüne versuchen, eine allzu große Nähe zur CDU zu bestreiten. Der parlamentarische Geschäftsführer der Partei im Bundestag, Volker Beck, sagte in der vorigen Woche: »Die Voraussetzung, dass die Union für uns auf Landes- und Bundesebene ein Gesprächspartner wird, wäre, dass sie endlich ihre programmatische Erneuerung in Angriff nimmt.«

Solange die CDU in ihren Wahlkämpfen »die ausländerfeindliche Karte« ziehe, im ökologischen Bereich Defizite aufweise und in der Wirtschaftspolitik die Belange der Arbeitnehmer außer Acht lasse, gebe es kaum Chancen für eine Zusammenarbeit.

Tatsächlich ist vor allem die Ausländerpolitik, neben der Sicherheitspolitik, ein Thema, bei dem die Vorstellungen der beiden Parteien ein gehöriges Stück auseinandergehen. In Köln gaben sich die Grünen daher auch alle Mühe, Ergebnisse auszuhandeln, die der Parteibasis zu vermitteln waren. Es gelang ihnen aber am Ende, dass bei diesem Thema der grüne Anteil am Koalitionsvertrag deutlich wurde.

So vereinbarten die beiden Parteien eine Wende im Umgang mit Flüchtlingen. Die schwarz-gelbe Politik der Abschreckung, die die Stadt Köln in die Schlagzeilen brachte (Jungle World, 38/01), soll angeblich nicht fortgeführt werden. Die unmenschliche Verfrachtung von Flüchtlingen auf Schiffe oder in Wohncontainer soll scheinbar beendet werden, künftig soll es wieder feste Unterkünfte geben. Auch die Sammelverpflegung soll abgeschafft werden. »Die bisherige Flüchtlingspolitik hatte uns ja auch keine Freunde in Köln gemacht – vom Katholikenausschuss bis zu den Gewerkschaften«, gibt sich der Christdemokrat Bietmann lernfähig.

Vielleicht folgt seinem Beispiel ja bald der eine oder andere Parteikollege. Der Generalsekretär der CDU in Nordrhein-Westfalen, Herbert Reul, sagte dem Kölner Express, dass schwarz-grüne Koalitionen »auf jeden Fall nicht mehr als unrealistisch abgetan werden« sollten. Sollte der Niedergang der Sozialdemokraten weitergehen, könnte vielleicht auch in dem einen oder anderen Bundesland demnächst ein »Tabubruch« fällig sein.


© Pascal Beucker. Alle Rechte an Inhalt, Gestaltung, Fotos liegen beim Autor. Direkte und indirekte Kopien, sowie die Verwendung von Text und Bild nur mit ausdrücklicher, schriftlicher Genehmigung des Autors.