26.02.2003

Startseite
Jungle World

*   Lügen und Blackouts
Von Pascal Beucker

Eichel vor dem Untersuchungsausschuss.

»Der 17. Juli 2002 war die Mutter aller Katastrophen«, behauptet der Christdemokrat Peter Altmeier. Nein, damals wurde kein Krieg begonnen, auch kein neues Buch des Fernsehpfarrers Jürgen Fliege kam auf den Markt. »An diesem Tag schrieb Ihr Referatsleiter Dieter Schoof, dass er mit 10 Milliarden Euro weniger Einnahmen rechne«, hielt Altmeier dem Finanzminister Hans Eichel (SPD) am vergangenen Donnerstag vor. Außerdem habe ein anderer Referatsleiter ein Haushaltsdefizit von insgesamt 3,4 Prozent errechnet.

Ob dem Herrn Minister beide Vorgänge bekannt seien, fragte Altmeier. Und Eichel antwortete: »Ja.« Aber er fügte hinzu: »Der Minister bestimmt die politische Linie des Ministeriums, nicht Referenten und Abteilungsleiter.« Er habe die wirtschaftliche Entwicklung eben optimistischer eingeschätzt.

Damit wäre eigentlich alles gesagt gewesen. Doch der Schlagabtausch, den sich Altmeier und Eichel im so genannten Lügenausschuss des Bundestages lieferten, dauerte ganze fünf Stunden. Und am Tag danach fragten sich die Kommentatoren des Landes ganz ernsthaft, wer das Duell im Ausschuss gewonnen habe. Es wurde nach Herzenslust philosophiert. Der Kommentator der Süddeutschen Zeitung verstieg sich gar zu der Feststellung, der Ausschuss habe »durchaus eine kathartische Wirkung: Er erinnert Politiker und Öffentlichkeit daran, es mit dem Lügen und Belogenwerden nicht zu weit zu treiben.«

Doch das Gegenteil ist der Fall. Denn dieser Ausschuss ist der kümmerliche Rest, der von der Idee eines parlamentarischen Untersuchungssausschusses als Instrument der Aufklärung übrig geblieben ist. Vor den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen diente er als ein Wahlkampfspektakel für die CDU und die FDP, jetzt stellt er nur noch eine Beschäftigungstherapie für nicht ausgelastete Abgeordnete und Journalisten dar.

Denn ob Eichel nun dem Prinzip Hoffnung gefrönt oder ob er geflunkert hat, interessiert heute niemanden mehr. Eichel wäre einfach nur ein schlechter Politiker, hätte er tatsächlich vor der Wahl gesagt, dass die Neuverschuldung der Bundesrepublik im Jahre 2002 mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen und der Vertrag von Maastricht verletzt werden könnte.

Eigentlich wirft die Union den Sozialdemokraten nur vor, dass sie aus ihren Fehlern der Vergangenheit gelernt haben und sich genauso dreist wie die Christdemokraten Wahlsiege zu erschleichen verstehen. Die Konservativen wussten im Jahr 1990 auch, dass sich »blühende Landschaften« besser verkaufen lassen als die düsteren Prognosen des damaligen Kanzlerkandidaten der SPD, Oskar Lafontaine. Das leere Versprechen gehört zum erfolgreichen Geschäft in der Politik. Nur schlechte Verlierer können sich darüber aufregen.

Und wann hätten Unionspolitiker vor einem Untersuchungsausschuss je Rede und Antwort gestanden? Helmut Kohl hatte vor dem Flick-Ausschuss in den achtziger Jahren einen »Blackout«, wie Heiner Geißler das damals nannte. Vor dem Untersuchungsausschuss zur Parteispendenaffäre der CDU weigerte sich Kohl einfach, die Namen seiner angeblichen Spender zu nennen. Roland Koch, der Hüter der »jüdischen Vermächtnisse«, wollte sich vor den Spendenausschüssen in Berlin und Wiesbaden erst gar nicht vereidigen lassen. Aber das ist alles Schnee von gestern, denn: »Der 17. Juli 2002 war die Mutter aller Katastrophen.«


© Pascal Beucker. Alle Rechte an Inhalt, Gestaltung, Fotos liegen beim Autor. Direkte und indirekte Kopien, sowie die Verwendung von Text und Bild nur mit ausdrücklicher, schriftlicher Genehmigung des Autors.