21.05.2003

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Jungle World

*   Aus dem Streiklokal
Von Pascal Beucker

Die Rhein-Zeitung wird bestreikt, aber das Koblenzer Blatt erscheint einfach weiter. Wer berichtet eigentlich über den Arbeitskampf bei einer Monopolzeitung?

Bild kämpft für Sie! Wer kennt noch die alte Werbung des Kampfblatts der Arbeiterbewegung aus der Zeit, als Hans Esser dort den Aufmacher schrieb? Zumindest der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) und die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi scheinen sich erinnert zu haben. Oder war es einfach schiere Verzweiflung, die sie dazu trieb, in der vergangenen Woche ausgerechnet in Bild mit einer Anzeige gegen die drastischen Sparpläne des Verlegers der Rhein-Zeitung zu protestieren?

Es geht allerdings auch um einiges: den Abbau von 200 Arbeitsplätzen und ein weit reichendes Outsourcing-Programm, mit dem der Koblenzer Verleger Walterpeter Twer die Kosten drücken will. Die Gewerkschaften und Betriebsräte fordern einen Sanierungstarifvertrag, aber der gelernte Druckingenieur Twer will erst gar nicht verhandeln. Auch ein Streik, der am Montag vergangener Woche auf einer Beschäftigtenversammlung mit rund 90prozentiger Mehrheit beschlossen wurde, konnte an seiner Haltung bisher nichts ändern.

Das könnte auch daran liegen, dass die Leser der Rhein-Zeitung von dem Ausstand, an dem sich über 180 Beschäftigte aus Redaktion, Druck, Verwaltung und Anzeigenabteilung beteiligen, nichts mitbekommen. Die Rhein-Zeitung erscheint nämlich einfach weiter. Die Verlagsleitung sollte sich »nicht darauf verlassen, dass organisierter Streikbruch auf Dauer funktioniert«, schimpft zwar DJV-Hauptgeschäftsführer Hubert Engeroff, aber das klingt hilflos.

Die Rhein-Zeitung, die ihren Hauptsitz in Koblenz hat, ist kein Käseblättchen. Sie kommt mit ihren beinahe 20 Bezirksausgaben und Kopfblättern immerhin auf eine verkaufte Auflage von über 235 000 Exemplaren täglich. In dem segmentierten und regionalisierten Zeitungsmarkt von Rheinland-Pfalz, auf dem sich ansonsten noch die Mainzer Allgemeine, der Trierische Volksfreund und die Ludwigshafener Rheinpfalz tummeln, ist die Rhein-Zeitung in vielen Gegenden das einzige lokale Angebot.

Doch trotz seines Monopols soll das im Mittelrhein-Verlag erscheinende Blatt tiefrote Zahlen schreiben. Es heißt, die aktuellen Liquiditätsprobleme beliefen sich auf rund sechs Millionen Euro. Darauf will der Verleger Twer mit einer Senkung der Personalkosten um 40 Prozent reagieren.

Schon 1999 begann er damit, Teile des Verlages auszulagern. Lokalredaktionen wurden zu Dienstleistungsunternehmen, die täglich ein fertiges Produkt billig an die Zentrale liefern. Doch schon bei diesen Maßnahmen ging es nicht nur um Einsparungen. Nach Ansicht der Gewerkschaften ging und geht es Twer auch darum, seine Betriebe tarif-, gewerkschafts- und betriebsratsfrei zu bekommen.

In mehreren Schritten soll die zurzeit noch 900köpfige Belegschaft reduziert werden. Derzeit stehen 81 betriebsbedingte Kündigungen, davon über 50 Redakteursstellen, an. Außerdem will sich Twer, der bereits vor einigen Jahren aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten ist, bei der Entlohnung nicht mehr tariflich binden lassen – auch nicht durch einen Haustarifvertrag. »Wir können uns den Luxus der Tarifverträge nicht mehr leisten«, verkündete er unlängst auf einer Betriebsversammlung.

»Das ist der offenkundige Versuch, Sozialdumping auf dem Rücken der Beschäftigten durchzusetzen«, konstatiert Hubert Engeroff vom DJV. Den Plänen Twers hat der Betriebsrat bereits Anfang Januar einen eigenen Vorschlag entgegengestellt. Zu dem Sanierungskonzept, das die beteiligten Betriebsräte mit Hilfe einer Beratungsfirma erstellt haben, gehören als zentrale Elemente Altersteilzeit und Vorruhestand, Einsparungen im Sachkostenbereich, Umsatzerhöhung durch Erschließung neuer Geschäftsfelder, Abbau von Hierarchien und Leitungsebenen sowie eine Ausbildungsinitiative. Und nicht nur das: Alle Mitarbeiter der Rhein-Zeitung erklärten sich bereit, Gehaltseinbußen hinzunehmen. Doch den Verleger konnte das bisher nicht beeindrucken. Für die Mitarbeiter ist das unverständlich. Sie hätten ihm »Verzichtsangebote auf dem Tablett nachgetragen«, empören sie sich.

Für rheinland-pfälzische Verhältnisse ist Walterpeter Twer, der 1980 in den von seinem Vater 1948 mitgegründeten Mittelrhein-Verlag als Gesellschafter und Mitverleger eintrat, so etwas wie ein Medientycoon. Denn sein Imperium reicht weit über die Rhein-Zeitung hinaus. Druckereien gehören ebenso dazu wie der Angelreisen-Spezialanbieter Kingfisher Reisen und rund 30 Anzeigenblättchen: vom Koblenzer Schängel bis zum in mehreren Städten erscheinenden Super Sonntag. Diese Blätter mit einer wöchentlichen Gesamtauflage von knapp einer Million Exemplaren dienen Twer auch offenbar als Vorbilder für die Rhein-Zeitung, mutmaßt Jürgen Dehnert, Sprecher des rheinland-pfälzischen Verdi-Landesbezirks: kaum Personal, minimale Kosten und hoher Gewinn.

Darüber hinaus ist Twer auch noch Verleger des Paul-Parey-Zeitschriftenverlags, dessen diverse Special-Interest-Titel zusammen auf eine Auflage von mehreren hunderttausend Exemplaren kommen. Zu seinem Portfolio gehören dabei solche Perlen des Journalismus wie Wild und Hund, Deutsche Jagd-Zeitung, Fisch & Fang und natürlich Der Raubfisch. Auch der »Große Visier-Waffenkalender« fehlt nicht im Sortiment. Passend zu seiner Reiter-Revue leistet sich Twer zudem noch in Bremberg im Taunus das Vergnügen eines eigenen Pferderennstalls, der im vergangenen Jahr stolz melden durfte, dass es einer seiner Reiter als erster aus Rheinland-Pfalz schaffte, sich für das Finale des westdeutschen Championats der Berufsreiter zu qualifizieren.

Nicht mit allen seinen Unternehmungen konnte Twer solche Triumphe feiern. »Er tummelt sich halt in vielen Bereichen – und nicht immer sehr erfolgreich«, formuliert Verdi-Sprecher Dehnert diplomatisch. So investierte Twer in den Neunzigern auch in Osteuropa. 1994 gründete der Mittelrhein-Verlag die MRV Bohemia, die laut Eigenwerbung zu einer führenden Zeitungsgruppe in Tschechien avancierte und zu deren Geschäftsbereich mehrere Tageszeitungen, Anzeigenblätter in allen großen Städten, zwei moderne Rollen-Offset-Druckereien, eine Fullservice-Media-Agentur und eine landesweite Zustellorganisation gehörten. Jüngst gestand Twer ein, dass sich der dortige Zeitungsmarkt nicht wie erwartet entwickelt habe. Mitarbeiter sprechen von Millionenverlusten, die nicht unmaßgeblich zu der jetzigen prekären finanziellen Situation des Mittelrhein-Verlages beigetragen hätten. Genaues weiß man jedoch nicht.

Für die Journalistengewerkschaften steht jedenfalls fest, dass die gegenwärtige Krise vor allem selbst verschuldet ist. »Das Unternehmen hat nach haarsträubenden Fehlentscheidungen die jetzige Situation zu verantworten«, ist der stellvertretende Verdi-Landesbezirksleiter Achim Schulze überzeugt. Doch wie schlecht es aussieht, weiß auch er nicht. Denn Twer lässt sich nicht in die Bücher schauen. Das jedoch fordern Verdi und der DJV. »Wir wollen in den Topf gucken, selbst wenn er leer ist«, heißt es bei ihnen. Und sie interessieren sich brennend dafür, was eigentlich mit den Gewinnen früherer Jahre geschehen ist. Ihr Protest geht jedenfalls weiter, auch wenn es keiner mitbekommt. Außer den Lesern von Bild.


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