14.05.2003

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taz

*   Die Geflügelpest ist jetzt amtlich 
Von Pascal Beucker und Nick Reimer

Bundesanstalt bestätigt den Ausbruch der Seuche am Niederrhein. Die ganze Region ist in Alarmbereitschaft. Zehntausende Hühner müssen nun sterben. Bundesweiter Krisenstab einberufen. Japan, Israel und Polen verhängen ein Einfuhrverbot.

"Jetzt haben wir den Ernstfall." Mit diesen Worten bestätigte Alexander Müller, Staatssekretär im Bundesministerium für Verbraucherschutz (BMVEL), gestern den ersten Fall von Geflügelpest in Deutschland. Trotz umfangreicher Schutzmaßnahmen entlang der Grenzen zu Belgien und den Niederlanden, wo die Pest im März ausgebrochen war, brach die auch als Hühnergrippe bezeichnete hochansteckende Tierseuche auf dem Campen-Hof im Landkreis Viersen (NRW) aus. Den "Ernstfall" bestätigten positive Ergebnisse der Bundesforschungsanstalt für Viruskrankheiten. Nachdem sich der Verdacht bestätigt hat, haben Japan, Israel und Polen Importverbote für deutsches Geflügel verhängt.

Was dem eingetretenen Ernstfall folgt, ist keine Arbeit für Zartbesaitete und auch kein schönes Bild: Komplett in grünen Schutzanzügen, die Gesichter hinter Schutzbrillen und Atemmasken verborgen, packen Mitarbeiter einer Tierkörperbeseitigungsfirma die Hühner an den Beinen und töten sie in einer gelben Tonne mit Kohlendioxid.

84.000 Tiere, so hatte Nordrhein-Westfalens Landesumweltministerin Bärbel Höhn am Freitag angeordnet, müssen vorsorglich notgeschlachtet werden. Um den betroffenen Hof in Schwalmtal-Amern wurde eine 20 Kilometer umfassende Pufferzone verhängt. Jeglicher Transport von Geflügel oder Geflügelprodukten einschließlich Abfällen ist hier zunächst für 21 Tage verboten.

An allen Einfahrtsstraßen stehen Schilder mit dem Hinweis "Geflügelpest-Sperrbezirk". Für Autos sind Desinfektionsschleusen eingerichtet worden. Mitarbeiter des THW reinigen rund um die Uhr Futtermitteltransporter, Milchlaster und landwirtschaftliche Fahrzeuge mit Ameisensäure. Landesweit wurden Wettkampfflüge von Brieftauben untersagt. "Darüber hinaus sind keine weiteren Maßnahmen geplant, da sich bisher keine Hinweise auf neue Fälle ergeben haben", sagte Höhn.

Im Verbraucherschutzministerium kam gestern nach Redaktionsschluss der Seuchenstab zusammen: Müller vom BMVEL und die für Tierseuchen zuständigen Staatssekretäre der Länder. Allgemein wurde von dem Treffen erwartet, dass Nordrhein-Westfalen beantragt, Zootiere und seltene Zuchttiere gegen die Geflügelpest zu impfen. Zuvor hatte Höhn bereits gefordert: "Anstelle des Mottos ,töten statt impfen' sollte ,impfen statt töten' treten."

Allerdings ist dies nach Angaben des Bundesministeriums kompliziert. "Es gibt keinen Markerimpfstoff", erklärte Ministeriumssprecherin Ursula Horzetzky. Nach einer Impfung könne so nicht mehr unterschieden werden, ob das Tier Antikörper in sich trage "weil es krank oder weil es geimpft wurde". Zudem würde eine Impfung zwar das Tier vor Erkrankung schützen, nicht aber die weitere Ausbreitung der Seuche verhindern. "In Deutschland gibt es 110 Millionen Geflügeltiere. Man müsste die schon alle impfen", so Horzetzky. Zudem sei die Impfung aufwändig und teuer: Jedes Tier müsse einzeln zweimal gespritzt werden - macht 220 Millionen Spritzen. "Die Frage ist, ob das wirtschaftlich und logistisch zu bewerkstelligen ist."

Zentral sollte auf dem Treffen des Krisenstabes beim BMVEL die Frage sein, wie die Geflügelpest nach Deutschland eingeschleppt wurde. "Dass die nach Ausbruch in Holland eingerichteten Schutzmaßnahmen irgendwo missachtet wurden, liegt ziemlich nahe", so Horzetzky.

Bei den Betroffenen herrscht Frustration. So auf einem Geflügelhof in Moers: Weil es vor einer Woche mehrere hundert Küken von einem benachbarten Hof des infizierten Betriebs gekauft hatte, hat das Ehepaar Göntgen nun einen leeren Stall. Auch hier verrichtete die Tierkörperbeseitigungsfirma ganze Arbeit: Die Schlachter zogen die Köpfe aller 3.850 Legehennen durch ein unter Strom gesetztes Wasserbad. Klaus Göntgen: "Es ist ein erbärmliches Gefühl."


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