Er hat
von "Mehltau" gesprochen, von "Bremsklötzen" und
"quälenden Prozessen". Peer Steinbrück hat sich in der
rot-grünen Koalitionskrise in Nordrhein-Westfalen den Ruf erworben,
ein Grünenfresser zu sein. Hat er wirklich persönlich etwas gegen
die Partei? Oder ist alles nur Taktik?
Manchmal
zogen sich die Spiele über Tage hin: Länder erobern, Koalitionen
schmieden, Siedlungen bauen. Die Welt neu ordnen. Eine komplexe
Angelegenheit, diese Gesellschaftsspiele, zu denen der
schleswig-holsteinische Wirtschaftsminister Peer Steinbrück den einen
oder anderen Kieler Kabinettskollegen schon mal einlud. Ohne
strategisches Denken und Risikobereitschaft ging gar nichts. Und natürlich
musste man den Ehrgeiz aufbringen, sich den Spielverlauf über die
Unterbrechungsphasen hinweg zu merken. Dazwischen lagen die wirklichen
Regierungsgeschäfte an der Förde.
Wie lange ist
das her? Sechs, sieben Jahre wohl. Rainder Steenblock in seinem
Berliner Bundestagsbüro rechnet. Vielleicht hätte er, der damals grüner
Umweltminister war in der rot-grünen Koalition in Schleswig-Holstein,
einfach der Einladung des Sozialdemokraten Steinbrück folgen sollen.
Vielleicht hätte er für einen Moment alle politischen Kontroversen
ausblenden und vergessen sollen, dass er seine Freizeit, wenn schon
spielend, dann lieber in geselliger Doppelkopfrunde verbringt.
Ob er etwas
genützt hätte, so ein Spieleabend - Steenblock spekuliert darüber
nicht. Mittlerweile ist er Abgeordneter im Bundestag geworden und
Steinbrück in Nordrhein-Westfalen Ministerpräsident. Aber ihn beschäftigt
der Gedanke trotzdem. Die Nachrichten über die Koalitionskrise in
Nordrhein-Westfalen erinnern ihn an vergangene eigene Leiden: "Es
stimmt ja nicht, dass Steinbrück die Grünen hassen würde, dass er
Berührungsängste hätte, dass er ideologisch gegen uns wäre."
Pause. Was dann? "Er findet uns obernervig."
Er sagt das
beinahe nachsichtig jetzt, da die chronische Verstimmung zwischen Peer
Steinbrück und der grünen Partei eskaliert, diesmal allerdings 500
Kilometer südlich von Kiel in Nordrhein-Westfalen. Dort provoziert
Steinbrück - erst vor acht Monaten zum Regierungschef aufgerückt -
gerade einen Koalitionsbruch. Selbst wohlwollende Parteifreunde haben
mittlerweile den Eindruck eines Getriebenen, der nicht weiß, wohin es
ihn treibt. Angesichts der Probleme des Landes dürfe es jetzt
"keine selbsttherapeutischen quälenden Prozesse" mehr
geben, propagierte Steinbrück jüngst - und bescherte gleichzeitig
seiner Regierungskoalition einen mehrwöchigen "ergebnisoffenen
Klärungsprozess". Was dabei herauskommen soll? "Wir
brauchen einen Politikwechsel, damit niemand einen Regierungswechsel
will", verkündet Steinbrück - doch selbst seine eigenen
Genossen wissen nicht so recht, was sie sich darunter vorstellen
sollen. Von dem SPD-Landesparteitag am morgigen Samstag erhoffen sich
denn viele Delegierte, endlich erklärt zu bekommen, wohin der 56-Jährige
steuert.
Bis zur
Landtagswahl sind es noch zwei Jahre. Eigentlich. Doch Steinbrück stänkert
gegen den Koalitionspartner: "Alles, was sich wie Mehltau über
die Landschaft legt, was nach Bremsklötzen riecht, kann sich diese
Koalition nicht leisten."
Rainder
Steenblock wundert sich nicht. Er sagt: "Der Konfliktaufbau ist
derselbe, wie in Schleswig-Holstein so in Nordrhein-Westfalen."
Nur dass der Bruch diesmal wahrscheinlicher ist. Nur dass Steinbrück
sich diesmal nicht erneut in ein anderes Bundesland wird flüchten können,
sollten nicht nur die Grünen, sondern auch seine eigenen Genossen die
Nase voll haben von seinem wenig diplomatischen Polterstil. Ich oder
die - die Entscheidung scheint unausweichlich. Doch der Reihe nach.
Kiel 1996,
Steinbrück kontra Steenblock, sie sind die wichtigen Gegenspieler in
Heide Simonis rot-grüner Koalition. Zwei fast gleich alte Männer.
Der eine, Steinbrück, ist studierter Volkswirt aus bürgerlicher
Familie, politisch geprägt durch die sozialliberalen Koalition der
70er-Jahre. Zu seinem strategischen Denken, seiner Risikobereitschaft
gehört es, als Kieler Wirtschaftsminister auf Großprojekte zu
setzen: Milliarden für Ostseeautobahn und für Transrapid. Der
andere, Steenblock, in K-Gruppen sozialisiert, toleriert als
Umweltminister, dass Grünen-Abgeordnete Grundstücke entlang der
Autobahntrasse kaufen, um gegen das Verkehrsprojekt der eigenen
Regierung vor Gericht klagen zu können.
Für Steinbrück,
der seine politische Karriere als gewissenhafter Verwaltungsreferent
begonnen hatte, kam es einer Strafe gleich, sich mit Menschen
abstimmen zu müssen, von denen er sich verraten fühlte, und die er
folglich für politikunfähig hielt. Er, "der selbst stets mit
offenem Visier kämpft", wie der ehemalige Kieler Justizminister
Gerd Walter sagt, machte die Grünen fortan klein. Er, "der
rational argumentiert und emotional wird, wenn ihm das verweigert
wird", wie sein Vorgänger im Kieler Wirtschaftsministerium, Uwe
Thomas, sagt, verschärfte die Spielregeln. Die grüne
Diskussionsfreudigkeit empfand er ohnehin als Palaver. In der öffentlichen
Wahrnehmung entstand das Bild vom "Grünen-Fresser".
Vor Gericht
errangen die Autobahnkläger einen vorübergehenden Teilerfolg. Seinem
ehemaligen Kommilitonen Wolfgang Kubicki, der Fraktionschef der FDP im
Kieler Landtag wurde und mit dem Steinbrück seit Jahren gern bei
einem Glas Rotwein über Politik debattiert, vertraute er seine
Verzweiflung an: "So ist das Leben nicht."
So ist das
Leben doch, und dieser Tage ganz besonders.
Düsseldorf,
Frühsommer 2003. Plötzlich steht Steinbrück, der Ministerpräsident
des größten Bundeslandes, als potenzieller Königsmörder da. Ihm,
der noch bei der Debatte um die Agenda 2010 vor wenigen Wochen als
einer der Getreuen des Kanzlers galt, wird vorgeworfen, mit seinen
Attacken gegen die Grünen und seiner Sympathie für ein Bündnis mit
den Liberalen gefährde er nicht nur Rot-Grün im bevölkerungsreichsten
Bundesland, sondern arbeite aktiv auf die politische Wende auf
Bundesebene hin. Steinbrück - ein heimlicher Umstürzler?
"Abwegig",
sagt sein ehemaliger Büroleiter Jürgen Fenske, sagt eine frühere
Pressesprecherin, sagt sein langjähriger Freund und Exinnenminister
Ekkehard Wienholtz, sagen die meisten, die ihm nahe gekommen sind. Man
müsse sich ihn doch bloß ansehen.
Man sieht
sich ihn an, in Talkshows, auf Pressekonferenzen, im Landtag. Ein
klassisch-adrett gekleideter Mann mit hoher Stirn und norddeutschem
Akzent tritt da auf, einer, den man gefahrlos durch die Fußgängerzonen
von Köln, Essen und Münster schicken könnte, ohne dass er, jede
Wette, erkannt würde. Manchmal wirkt Steinbrück, als wundere er sich
selbst darüber, wie er, der Fachpolitiker mit dem Charisma eines Behördenleiters,
es eigentlich zum Ministerpräsidenten bringen konnte. Dass die
nordrhein-westfälischen Genossen nach Wolfgang Clements Wechsel ins
Bundeskabinett lieber ihren Parteivorsitzenden Harald Schartau als
neuen Regierungschef gesehen hätten, hätte die Landesverfassung
dessen Wahl zugelassen, ist ein offenes Geheimnis. Steinbrücks
Aufstieg wirkt wie ein Betriebsunfall.
Kein Unfall,
findet Steinbrück. Er möchte sein Macher-Image aufpolieren - beim
Metrorapid, beim Flughafenausbau, bei Garzweiler. Großprojekte als
Zukunftsvision. Die Grünen sind ihm dabei hinderlich.
Seine
Umfragewerte sind mittlerweile unter die des CDU-Oppositionsführers Jürgen
Rüttgers gerutscht. Ihm dagegen, der Zeit seiner Laufbahn als Import
ohne Verankerung in den jeweiligen SPD-Verbänden galt, schwindet die
Autoriät innerhalb der Landespartei dahin. Und Norddeutscher zu sein
unter rheinischen Karnevalsprinzen und rippenhemdtragenden Taubenzüchtern
aus dem Ruhrgebiet macht die Sache nicht leichter.
Fremdheit
macht unsicher. Oder aggressiv. Also macht Steinbrück seinem
Unwohlsein öffentlich Luft, wählt die klassische Offensive, sagt
gerade heraus, was er denkt, wie es schon in Kiel seine Art gewesen
ist, und das mit Absicht: die Grünen sollen wieder klein gehalten
werden, auf dass allen klar werde, dass die Spielregeln immer noch er
bestimmt. Die Regeln von Metrorapid, Flughafenausbau, Garzweiler. Gut
möglich, dass er den Koalitionsbruch als Risiko einkalkuliert hat.
Sein oberstes Ziel ist er sicher nicht.
Steinbrück hätte
ahnen können, dass sein Vorgehen nicht unbedingt erfolgreich ist.
Schon einmal musste er gehen, weil er die Folgen einer voreiligen
Attacke unterschätzt hatte.
Es war 1998,
es ging um die Ostseepolitik Schleswig-Holsteins. Der
Wirtschaftsminister hatte im Auftrag des Kabinetts ein Konzeptpapier
entworfen. Journalisten wurden eingeladen. Zahlen, Prognosen,
trockener Stoff. Da plötzlich entfuhr es Steinbrück: Schluss müsse
sein mit dem ewigen "Klein-Klein" der Landesregierung,
aufgehört werden mit einer Politik "auf Pepita-Niveau".
Heide Simonis verstand. Steinbrück überlebte politisch nur, weil die
Nordrhein-Westfalen ihn wenige Monate später in ihr Kabinett
retteten.
Nun ist
Steinbrücks Spiel in Düsseldorf in der Endphase angekommen. Seine
Mitspieler von der SPD werden langsam ungeduldig, viele sehen den Sinn
des Koalitionsstreits nicht. Die Gegenspieler von der CDU sind im
Aufwind, sie wollen keine große Koalition, sondern Neuwahlen. Auch
die FDP würde Steinbrück nichts schenken. Und die Grünen, für die
Regierungsteilhabe an sich lange ein hoher Wert war, haben keine Lust
mehr. "Es läuft auf den Bruch zu", schätzt ein Spitzengrüner
aus Düsseldorf.
In Berlin
guckt Rainder Steenblock, der frühere Umweltminister, auf das Birkenwäldchen
vor seinem Bundestagsbüro. In 500 Jahren, sagt er, werde sich daraus
ein schöner Buchen- und Eichenwald entwickeln. Vorausgesetzt, die
Menschen griffen nicht ein in die Natur. Menschen wie Steinbrück.
Steenblock sagt: "Die Grünen dürfen nicht in die Falle laufen,
Rot-Grün für die einzige politische Option zu halten, um regieren zu
können." Er sagt das leidenschaftslos. Und dann, beinahe
dankbar: "Das habe ich von Peer Steinbrück gelernt." |