07.07.2003

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taz

*   Wundenlecken vor heißem Herbst 
Von Pascal Beucker

Parteitage von SPD und Grünen in Nordrhein-Westfalen segnen Koalitionseinigung ab. Während sich Ministerpräsident Peer Steinbrück Kritik anhören muss, fühlen sich Grüne als Sieger. Doch schon protestieren Polizisten, Lehrer und Feuerwehrleute.

Es ist nicht leicht, in diesen Tagen Sozialdemokrat in Nordrhein-Westfalen zu sein. "Warte nur auf die nächsten Wahlen, dann wird dir dein Grinsen schon vergehen", schnauzt eine junge Frau wütend einen jungen Mann mit SPD-Anstecknadel an. Auch ihr Sohn, bewaffnet mit einem Fähnchen der Polizeigewerkschaft, schaut den Genossen böse an. Die Polizistin und ihr Sohn sind zwei von mehreren hundert Demonstrierenden, die sich vor der Bochumer RuhrCongress-Halle versammelt haben, um die 368 Delegierten des Sonderparteitags der NRW-SPD mit "Räuber"- und "Lügner"-Rufen zu begrüßen. Als er es endlich in den Sitzungssaal geschafft hat, klagt ein Genosse, ihm seien die Ohren "zugepfiffen" worden. Die rot-grüne Koalitionskrise ist vorbei, nun tragen die Ergebnisse der Einigung ihre ersten Früchte.

Wenn es nach den protestierenden Polizisten, Lehrern, Feuerwehrleuten und anderen Landesbediensteten gegangen wäre, das "Düsseldorfer Signal für Erneuerung und Konzentration", für das im Saal Ministerpräsident Peer Steinbrück und SPD-Parteichef Harald Schartau inbrünstig werben, hätte keine Chance. Denn mit der Vereinbarung, mit der SPD und Grüne ihre wochenlange Koalitionskrise beendeten, verabschiedeten sich die Koalitionspartner nicht nur vom umstrittenen Metrorapid und von einem deutlichen Teil der Kohlesubventionen. Sie verabredeten außerdem ein striktes Sparprogramm. So sollen die Arbeitszeit im öffentlichen Dienst auf 41 Wochenstunden heraufgesetzt, das Weihnachtsgeld gekürzt und das Urlaubsgeld ganz gestrichen werden. Lehrer sollen eine Stunde mehr arbeiten. "Es wird ein sehr schwieriger Vermittlungsprozess gegenüber den Menschen in diesem Lande", weiß Steinbrück und bereitete die SPD auf einen "heißen Herbst" vor.

Auch bei seiner eigenen Partei hat Steinbrück noch einiges zu vermitteln. Immer noch herrscht bei vielen Unverständnis über das Krisentheater der vergangenen Wochen. "Das Management des Verfahrens war miserabel", hält ihm ein Delegierter entgegen. Die Stimmung auf dem Parteitag ist gedrückt, trotzdem bleibt ein Aufbegehren der Basis aus. Denn immerhin besteht Rot-Grün weiter. Das hatte sich die übergroße Mehrheit in der Partei gewünscht. Bei wenigen Gegenstimmen und einigen Enthaltungen stimmt die große Mehrheit einer Resolution zu, in der das "Düsseldorfer Signal" als ein "erfolgreiches Ergebnis des Klärungsprozesses" gewertet und die Fortsetzung der Koalition begrüßt wird. Dazu beigetragen haben sicherlich auch Steinbrücks ungewohnte Züge von Selbstkritik: "Ich weiß, dass euch sehr viel zugemutet worden ist", räumte er ein.

Während die SPD in Bochum Wunden leckte, feierten sich in Düsseldorf die Grünen. Bei dem "Düsseldorfer Signal" sei die "grüne Handschrift überall erkennbar", sagte Landeschefin Britta Haßelmann zu Beginn des grünen Landesparteitags. Die Grünen seien aus dem Streit als Sieger hervorgegangen und könnten jetzt gestärkt in die Kommunal- und Europawahlen 2004 gehen. Die Vereinbarung mit der SPD wurde dann auch mit großer Mehrheit gebilligt. Noch besser wäre die Stimmung bei den Grünen allerdings gewesen, wenn sie nicht ebenfalls Besuch bekommen hätten: Auch vor ihrer Versammlungshalle demonstrierten rund 200 Polizisten. So warnte denn auch Umweltministerin Bärbel Höhn: "Wir sind jetzt noch nicht automatisch ein Erfolgsprojekt." Zentrales Problem der nächsten Zeit sei die desolate Haushaltslage. Der anstehende Doppelhaushalt 2004/2005 werde "grausam".


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