16.07.2003

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taz

*   Die schleichende Sirupwerdung 
Von Marius Zippe und Pascal Beucker

Die Folgen der Niedrigwasserstände deutscher Flüsse für Mensch und Natur: Erst leidet die Schifffahrt, dann die Kröten, dann der Wald.

Die Bilder der Augustflut sind den Dresdnern noch bestens in Erinnerung. Nicht mal ein Jahr ist es her, dass die Elbe die sächsische Landeshauptstadt Viertel für Viertel flutete, dass brackige Wassermassen die barocken Wahrzeichen der Altstadt umspülten.

Für die Touristen in der sächsischen Landeshauptstadt müssen die Hochwassergeschichten ihrer Gästeführer derzeit besonders grotesk wirken. Von der Augustusbrücke in der Altstadt sieht man nun keinen sibirischen Strom, sondern ein sirupartig dahinfließendes Flüsschen mit dem Namen Elbe. Die Steinaufschüttungen um die Brückenpfeiler wachsen täglich zu immer größeren Inseln. Auch die Ufer sehen trostlos aus. Normalerweise geht das Wasser direkt in die saftig grünen Elbwiesen über. Jetzt ziehen sich am Ufer breite, schmutzige Flussschotterstreifen entlang.

Was Einheimischen sofort auffällt, ist die eigentümliche Ruhe auf der sonst stark befahrenen Elbe. Seit zwei Wochen fahren kaum noch Schleppkähne, weil der Pegel zu niedrig ist. Auf achtzig Zentimeter soll der Wasserspiegel heute fallen, schätzt Ulrich Finke, Leiter im Dresdner Schifffahrtsamt. Für den Wasserexperten sind extreme Niedrigwasser an sich nichts Ungewöhnliches. Erst in den Jahren 1999 und 2000 habe es Wasserstände bis zu siebzig Zentimeter gegeben, sagt er. Was Finke aber beunruhigt, ist, dass die Wasserstände schon so früh im Jahr gefallen sind und nicht erst im Hochsommer.

Bei der "Sächsischen Dampfschifffahrt", einer wichtigen Institution für den Tourismus in Dresden, müssen erstmals seit vielen Jahren komplette Strecken gestrichen werden. Die weißen Schaufelraddampfer haben zwar weniger Tiefgang als Güterschiffe und konnten bislang noch die Elbe hoch und runter schippern. Ab heute müssen die Touristen auf Fahrten nach Meißen und in Teile der Sächsischen Schweiz verzichten.

Die anhaltende Hitze dampft auch die Flüsse im Westen der Republik zusammen. "An der Donau ist der Frachtverkehr fast vollständig zusammengebrochen", sagt der Leiter des Schifffahrtsamtes in Regensburg, Rolf Diesler. Bei einer Beobachtungsfahrt sah er höchstens fünf bis zehn Prozent der Frachtschiffe, die sonst auf der Donau unterwegs sind. Die Pegel werden wohl weiter fallen, denn Hoffnung auf eine schnelle Änderung des Wetters hat Diesler nicht.

Nur ein wenig entspannter ist zurzeit die Situation am Rhein. Hier mussten die linksrheinischen Fahrtrinnen Geisenbrücken bei Oberwesel und Braubacher Grund zwischen Koblenz und Boppard gesperrt werden. Allerdings können die Schiffe auf die rechtsrheinische Seite wechseln. An vielen Orten baggern gegenwärtig Spezialschiffe die Fahrtrinnen aus.

Administrative Einschränkungen des Schiffsverkehrs, wie sie bei Hochwasser üblich sind, gibt es bei Niedrigwasser nicht, erklärt die Kölner Wasserschutzpolizei. Das sei nicht nötig, denn die Lastkahnkapitäne würden selber die Pegelstände beobachten. Danach berechnen sie die Lasten, die sie noch laden können, ohne auf Grund zu laufen. Wenn dann eine bestimmte Frachtmenge unterschritten werde, lohne sich die Fahrt irgendwann nicht mehr.

Erst die katastrophale Flut, nun fallende Wasserpegel: Alles Zufall?

Ernst Paul Dörfler vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) erkennt an den allerorts niedrigen Wasserständen die Ergebnisse einer schon lange schleichenden Entwicklung. In den Neunzigerjahren habe es im Durchschnitt zehn Prozent weniger Niederschläge gegeben, im ersten Halbjahr 2003 sogar weniger als die Hälfte.

Besonders hart könnte die Trockenheit Amphibientiere wie Grasfrösche und Erdkröten treffen. Diese pflanzen sich in feuchten Gebieten fort, die in diesem Jahr viel zu zeitig austrocknen. Langfristig schädigt die Niederschlagsarmut aber vor allem die noch vorhandenen Auenwälder, sagt Dörfler. Gerade bei alten Bäumen wüchsen die Wurzeln nicht mehr so schnell wie das Grundwasser sinke.

Grundsätzlich ist die Natur auf Hoch- und Niedrigwasser eingestellt, meint Dörfler. Allerdings gibt es eine Einschränkung: Es dürfen keine ständigen Extreme aufeinander folgen. Doch genau das sagen Klimaforscher für die Zukunft voraus. Wenn sich der Ausstoß von Treibhausgasen unverändert um ein Prozent pro Jahr erhöht, dann steigt die Temperatur auf der Erde um zwei bis drei Grad. Die Folge sind größere Wetterturbulenzen.

Extremereignisse wie Hochwasser oder längere Trockenperioden werden sich daher in Zukunft häufen, vermutet Werner Lahmer vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung. In einer aktuellen Studie prognostiziert der Wissenschaftler eine Zunahme der Trockenheit im Sommer. Zurzeit sei der Wettertrend so, dass Niederschläge verstärkt im Winter fielen und im Sommer ausblieben. Die diesjährige Hitze und Trockenheit wäre demnach nur ein Vorgeschmack auf zukünftige Sommer. Und der erste einheimische Skorpion in Deutschland nur eine Frage der Zeit.


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