10.03.2004

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Jungle World

*   Die ideale zweite Wahl
Von Pascal Beucker

Horst Köhler hat große Chancen, Bundespräsident zu werden. Der Kandidat der Union und der FDP gefällt auch Rot-Grün.

Die Kritik aus der Regierungskoalition am Kandidaten der Union und der FDP fiel verhalten aus und kam nur aus der zweiten Reihe. »Ein Bundespräsident muss die Fähigkeit zur Sinnstiftung und zum Führen einer Wertedebatte haben«, nörgelte der Vizevorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Joachim Poß. Die Besetzung des höchsten Staatsamts mit einem Experten der Wirtschafts- oder Finanzpolitik führe hingegen »zu einer weiteren Ökonomisierung der Gesellschaft«.

Sein Amtskollege Michael Müller betonte, er habe persönlich nichts gegen Horst Köhler. Aber dessen wirtschaftspolitische Überzeugungen entsprächen nicht »dem europäischen Geist«, da er »die Philosophie des kapitalorientierten Managements« vertrete.

Für Gerhard Schröder ist die überraschende Nominierung des bisherigen Geschäftsführenden Direktors des Internationalen Währungsfonds (IWF) das Beste, was ihm unter der gegebenen Kräftekonstellation in der Bundesversammlung hätte passieren können. Deutlich besser sogar als seine eigene Alibi-Kandidatin, die Politologieprofessorin Gesine Schwan, die Rot-Grün nie nominiert hätte, wenn man ihr für die Wahl am 23. Mai eine realistische Chance ausrechnen würde. Denn auf Köhler kann sich der Kanzler verlassen.

Am 22. Februar 1943 wird Horst Köhler im von den Nationalsozialisten besetzten polnischen Skierbieszow geboren. Seine Eltern, aus Rumänien stammende Siebenbürger Sachsen, fliehen mit ihm noch vor Kriegsende vor den anrückenden sowjetischen Truppen nach Deutschland. Nach fast zehn Jahren in der Nähe von Leipzig siedelt die Familie über in den »goldenen Westen«, nach Ludwigsburg. Im Anschluss an Abitur und Wehrdienst studiert Köhler ab 1965 Wirtschaftswissenschaften an der Universität Tübingen. 1969 macht er seinen Abschluss als Diplom-Volkswirt und bekommt einen Job als wissenschaftlicher Referent am Tübinger Institut für angewandte Wirtschaftsforschung. Von dort wechselt er 1976 in die Grundsatzabteilung des sozial-liberalen Bundeswirtschaftsministeriums und promoviert zum Thema »Freisetzung von Arbeit durch technischen Fortschritt«.

Offensichtlich mit einem guten Gespür für das richtige Timing ausgestattet, wechselt Köhler 1981 – kurz vor dem Ende der Koalition aus SPD und FDP – in die Staatskanzlei der schleswig-holsteinischen Landesregierung. Da der allein regierende Ministerpräsident Gerhard Stoltenberg viel Wert auf das richtige Parteibuch legt, wird Köhler Mitglied der CDU und sichert sich so sein Comeback in Bonn. Denn nach dem Regierungswechsel nimmt ihn Stoltenberg 1982 mit ins Bundesfinanzministerium. Hier fungiert er zunächst als Redenschreiber, wird dann Leiter des Ministerbüros und 1987 Leiter der Grundsatzabteilung.

1989 geht Stoltenberg, Theo Waigel (CSU) kommt und Köhler bleibt. Er übernimmt die Abteilung »Geld und Kredit« und ist maßgeblich an den Verhandlungen über die Wirtschafts- und Währungsunion zwischen der BRD und der DDR beteiligt. Als Anfang 1990 Hans Tietmeyer in das Direktorium der Deutschen Bundesbank wechselt, wird Köhler Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Er ist zuständig für die Währungspolitik, die Finanzbeziehungen zur EG und für die Treuhandanstalt. In allen internationalen Wirtschafts- und Finanzfragen wird er der wichtigste Berater Helmut Kohls.

Der setzt ihn darüber hinaus als diplomatischen Unterhändler auf Wirtschaftsgipfeln und anderen Konferenzen ein. So handelt er die Milliardenzahlungen für den Abzug der Roten Armee aus Ostdeutschland und die Bonner Finanzhilfen für den ersten Golfkrieg mit aus und wirkt an der Formulierung des Maastricht-Vertrags mit. Dabei präsentiert sich Köhler als Verfechter des Euro und einer verstärkten politischen Integration, ganz wie der Kanzler.

Später sieht Köhler einiges, was damals mit seiner Hilfe beschlossen wurde, mit anderen Augen. 1995 nennt er in der Zeit die Einführung der D-Mark in der ehemaligen DDR eine »Sturzgeburt«, spricht von Fehlern im Einigungsprozess. In Sachen Stabilitäts- und Wachstumspakt wird er pragmatisch: Die seinerzeit heilig gesprochene Defizitgrenze von drei Prozent müsse nicht unbedingt eingehalten werden.

Ein »Schatz« sei er, hat Kohl einmal über seinen früheren Berater gesagt, der ihm während der gemeinsamen Zeit stets größte Loyalität bewies. Trotzdem haftet Köhler das Image an, er sei stets politisch unabhängig gewesen. So wird kolportiert, er habe in seinem Ministerium als Einziger vor der Staatsverschuldung gewarnt und Sympathien für den Kohl-Gegner Kurt Biedenkopf gehegt.

Mitte 1993 wechselt Köhler in das Amt des Präsidenten des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes. Fünf Jahre steht er dem Verband vor, der für ihn eine Schnittstelle zwischen Politik und Bankengeschäft darstellte. Dann erinnert sich Waigel an Köhler und nominiert ihn für das Amt des Präsidenten der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) in London, zu deren Chef er am 23. Juli 1998 gewählt wird.

Rot-Grün bedeutet für den flexiblen Köhler keinen Karriereknick. Nachdem Gerhard Schröder äußerst tölpelig versuchte, seinen Finanzstaatssekretär Caio Koch-Weser als Nachfolger des Franzosen Michel Camdessus an der Spitze des IWF zu etablieren und dabei am Veto der USA scheiterte, ist Schadensbegrenzung angesagt. Und die heißt Horst Köhler. Wie heute für Merkel, Stoiber und Westerwelle ist Köhler die ideale »zweite Wahl«. Er wird zum neuen IWF-Generaldirektor gewählt, Anfang Mai 2000 tritt er in Washington sein neues Amt an.

Nun also wird Köhler wohl nach Deutschland zurückkehren. Für die Beschäftigten im Bundespräsidialamt dürfte das kein Grund zur Freude sein. Seine Ankündigung können sie durchaus als Drohung auffassen: »Ich werde der Köhler bleiben, der ich bin.« Schließlich genießt der Perfektionist mit Hang zur Erbsenzählerei den Ruf, ein ausgesprochener Choleriker zu sein. Berichte über seine »Ungeduld«, die bisweilen in ungestümen Wutausbrüchen gipfelt, sind Legion.

Für das Amt des Bundespräsidenten hat sich Köhler längst einschlägig qualifiziert. Die christlich-liberale Koalition habe »nach der Wiedervereinigung und den damit verbundenen Soziallasten die Sozialsysteme viel zu großzügig ausgebaut«, sagte er der FAZ im vorigen Herbst. Schröder habe dagegen »mit der Agenda 2010 den richtigen historischen Schritt zurückgelegt«, erklärte der 61jährige unmittelbar nach seiner Nominierung durch das schwarz-gelbe Oppositionsbündnis dem Spiegel. Folgerichtig betonte Köhler, er sehe sich »nicht als ein Instrument des Machtwechsels«. Kein Wunder also, dass Schröder ihm seine persönliche Wertschätzung ausdrückte und ihm fachliche und ökonomische Kompetenz attestierte. Denn Köhler drückt aus, was der Kanzler nicht besser formulieren kann: »Es fehlt in Deutschland der Wille zur schöpferischen Zerstörung alter Strukturen.«


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