12.04.2004

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Jungle World

*   Gesetzlose Grüne
Von Pascal Beucker

Kaum haben sie die Gespräche über das Zuwanderungsgesetz abgesagt, wollen die Grünen wieder verhandeln.

Es klang nach einem Machtwort: »Das Spiel ist aus.« Reinhard Bütikofer, der Vorsitzende der Grünen, verkündete in der vorigen Woche den vorübergehenden Ausstieg seiner Partei aus den Gesprächen über ein neues Zuwanderungsgesetz. Die Zeitungen der Republik überschlugen sich mit ihren Schlagzeilen, die grüne Parteibasis jubelte, und Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) reagierte verstimmt: »Wenn Herr Bütikofer meint, er habe hier das Kommando zu führen, dann wird das nach meiner Überzeugung eine ernste Krise in der Koalition.« Besser hätte den Grünen der Einstieg in den Europawahlkampf nicht gelingen können.

Bütikofer wäre allerdings nicht Parteivorsitzender, hätte er sich nicht ein Hintertürchen offen gelassen. Er hatte seinem »Machtwort« hinzugefügt: »So macht eine Fortsetzung der Gespräche keinen Sinn.« Anders jedoch schon, wie die rot-grüne Koalition am vergangenen Freitag einvernehmlich feststellte. Das Zuwanderungsgesetz wird zur »Chefsache«. Bundeskanzler Gerhard Schröder soll ein »Sondierungsgespräch« mit der Führung der Union und der FDP anberaumen, ob ein Konsens über das Zuwanderungsgesetz noch möglich sei, vereinbarten die Koalitionspartner.

Ein Konsens ist jedoch nach wie vor unwahrscheinlich, weil auch für die Union das Thema höchst wahlkampftauglich ist. »Zuwanderung ohne Klärung von Fragen der Sicherheit ist für uns kein Weg«, betonten umgehend die CDU-Vorsitzende Angela Merkel und der Vorsitzende der CSU, Edmund Stoiber. Ein Scheitern der Vermittlungsgespräche sei nach den Worten des bayrischen Innenministers Günther Beckstein (CSU) »keine Tragödie«. Die Grünen hielten trotz »der epochalen Bedrohungslage durch gewaltbereite Islamisten« immer noch »die Freiheitsrechte von Gefährdern für wichtiger als die Sicherheit der Allgemeinheit«.

Seit Herbst 2000 mühen sich die SPD, die Grünen, die CDU/CSU und die FDP nun schon um das Zuwanderungsgesetz. Kein anderer Gesetzentwurf ist so oft durch die Institutionen der Gesetzgebung gereicht worden, zweimal durch den Bundestag, zweimal bereits durch den Bundesrat, zwischendurch landete er noch beim Bundesverfassungsgericht.

Dort scheiterte das Gesetz wegen der Abstimmung im Bundesrat im März 2002, in der der damalige Brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) ihm zu einer Mehrheit verhalf, obwohl sich sein Koalitionspartner Jörg Schönbohm (CDU) gegen das Gesetz ausgesprochen hatte. Der damalige Bundesratsvorsitzende Klaus Wowereit (SPD) wertete das uneinheitliche Brandenburger Votum als Zustimmung, was vor dem Verfassungsgericht keinen Bestand hatte.

Für die CDU und die CSU war das Zuwanderungsgesetz von Anfang an ein Wahlkampfthema. Dabei zeigten sie sich sogar resistent gegenüber den Begehrlichkeiten des deutschen Kapitals, das zu einer Einigung mahnte, weil es einen erhöhten Bedarf an qualifizierten ausländischen Arbeitskräften hat. Zunächst waren es die klassischen rassistischen und sozialdemagogischen Abschottungsparolen, mit denen die Union Front machte. Seit den islamistischen Terroranschlägen vom März dieses Jahres in Madrid dominiert nun die Sicherheitsrhetorik.

Der eigentliche rot-grüne Gesetzestext passte indes von Beginn an nicht so recht zu der Aufgeregtheit der Union. Bereits nachdem das Bundeskabinett seinen ursprünglichen Entwurf im November 2001 verabschiedet hatte, machte Schily deutlich, dass es nicht um ein Gesetz gehe, das das Land in die Lage versetzt, »auf Einwanderungsprozesse sozial, human und demokratisch zu reagieren«, wie es die Grünen noch 1998 in ihrem Programm zur Bundestagswahl gefordert hatten.

Schily versprach: »Das neue Zuwanderungsgesetz wird erheblich dazu beitragen, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu sichern, Arbeitsplätze zu schaffen, die Zukunft zu gestalten und damit zugleich die Zuwanderung besser als bisher zu begrenzen und den Missbrauch des Asylrechts einzudämmen.« Die Vorlage enthalte »nichts, was nicht vereinbar wäre« mit dem Bericht der Zuwanderungskommission der CDU unter dem saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller. In der Tat waren zahlreiche Passagen aus dem Konzept der CDU wörtlich in den Gesetzesentwurf übernommen worden.

Die Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge, Pro Asyl, bezeichnete den damaligen Entwurf als »Reformruine«. Er sei »in weiten Teilen eine Neuauflage altmodischen Fremdenabwehrrechts« und »keinesfalls das, was Flüchtlinge und die sie unterstützenden gesellschaftlichen Gruppen von einer rot-grünen Bundesregierung erwartet haben«.

Auch nach der zweiten Beschlussfassung im Bundestag vom 9. Mai 2003 kritisierten Menschenrechtsorganisationen, dass der Gesetzestext etliche Verschlechterungen gegenüber bestehenden Regelungen beinhalte. So fehlte etwa eine »Altfallregelung« für langjährig in der Bundesrepublik lebende Migranten, das Flughafenverfahren sollte unverändert fortbestehen, das Kindernachzugsalter sollte von 16 auf zwölf Jahre herabgesetzt werden.

So genannte selbst geschaffene Nachfluchtgründe sollten im Asylverfahren nicht mehr anerkannt werden, was faktisch ein Verbot exilpolitischer Betätigung bedeuten würde. Ein Aufenthaltstitel sollte demjenigen verweigert werden, der »einer Vereinigung angehört, die den internationalen Terrorismus unterstützt oder eine derartige Vereinigung unterstützt«. Für ein Einreiseverbot sollte künftig bereits die Feststellung einer »Gefährdung der freiheitlichen-demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland« genügen. Der Abschiebeschutz wegen drohender politischer Verfolgung sollte eingeschränkt werden usw. usf.

Der CDU und der CSU allerdings reicht das alles nicht. So bereicherte sie mit Hilfe Otto Schilys die nahezu abgeschlossenen Gespräche über die Zuwanderung mit einem neuen Thema: dem Kampf gegen den Terrorismus. Ohne an anderen Punkten nachzugeben, verlangen CDU und CSU immer drastischere Verschärfungen bei den so genannten Sicherheitsfragen und versuchen, das Zuwanderungsgesetz zu einem Polizeigesetz umzufunktionieren.

Bis Ende Mai will die Bundesregierung nun klären, ob ein Kompromiss über das Zuwanderungsgesetz noch erreicht werden kann. Danach müsse geklärt werden, ob die Verhandlungen im Vermittlungsausschuss fortgesetzt werden könnten, vereinbarten die Koalitionspartner. Wenn es keine Aussicht auf Erfolg gebe, werde die Koalition prüfen, welche Teile des Gesetzes sie im Bundesrat ohne die Zustimmung der von der Union regierten Bundesländer durchsetzen könne. Bütikofer gibt sich wieder zuversichtlich: »Ein neues Spiel ist angepfiffen.«


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